Farge. Auf alten Luftaufnahmen wird deutlich, dass "Valentin" ein Fremdkörper ist. Wie ein Sarg liegt er in der Landschaft. Heute haben Schmutzpartikel den ehemaligen U-Boot-Bunker auf großen Flächen schwarz gekleidet. Bevor Grabeskälte die Besuchergruppe in Empfang nimmt, informiert Gerd Meyer sie über Fakten, die an den Anti-Kriegs-Roman "Die letzten Tage der Menschheit" des österreichischen Schriftsteller Karl Kraus erinnern.
20 Besucher führt Gerd Meyer an diesem Vormittag durch die riesige Gruft, die kaltes Schweigen ausstrahlt. Meyer, Jahrgang 1946, hat die Internationale Friedensschule Bremen im Bürgerhaus Vegesack mitgegründet. Er versteht sich als Friedensarbeiter, versucht Ursachen von Gewalt und Aggression und damit Wege eines friedlichen Zusammenlebens aufzuzeigen. Ein gleichermaßen archaisches wie grauenvolles Beispiel für menschliches Leiden im Krieg und unter wahnhafter Gewaltherrschaft ist das zweitgrößte Bunkerbauwerk der Welt, das dem Dorf Farge zu trauriger Berühmtheit verhalf. Ein 426 Meter langer, 97 Meter breiter und bis zu 33 Meter hoher Sarkophag.
Sarkophag ist die griechische Bezeichnung für Steinsarg, bedeutet wörtlich übersetzt: "Fleisch verzehrend". Beim Bau von Valentin sind 1700 KZ-Häftlinge aus ganz Europa ums Leben gekommen. "Wahrscheinlich aber wohl 5000", erläutert Gerd Meyer. Die meisten zu Skeletten abgemagerten Zwangsarbeiter starben in den Gefangenenlagern bei Neuenkirchen. Länger als neun Monate überlebte kaum jemand die Schinderei an der Weser. Auf Informationstafeln im Bunker ist eine Aussage des französischen KZ-Häftlings Raymond Portefaix zu lesen: "Der Zement zersetzt die Nasenschleimhaut. Die Brocken werden mit Fingern aus der Nase gezogen."
Ein Gefühl von Einsamkeit und Monumentalität ist bei Olaf Kunitz aufgekommen. Der 49-Jährige aus dem Harz nutzt den Besuch bei Bekannten in Bremen-Nord zu einem Abstecher in den "Hort der Nazi-Gigantomanie", wie er sagt. Sein Großvater hat im Konzentrationslager Buchenwald gesessen, jetzt wecken dessen Erzählungen wieder Erinnerungen bei dem Enkel.
Zu Beginn des Rundgangs müssen die Besucher Helme aufsetzen. Gegen möglichen Steinschlag, denn der Betonriese bröckelt. Gleichwohl soll er weiterhin zugänglich gemacht und in seiner monströsen Brüchigkeit erhalten werden. 3,8 Millionen Euro haben Bund und Land Bremen investiert, um diesen Denkort zu erhalten
In drei Jahren aber läuft die Finanzierung aus. Dann, so der Mann von der Internationalen Friedensschule, ist die Politik erneut gefordert. Sie schaffte es zwar, dass Intendant Klaus Pierwoß 1999 "Die letzten Tage der Menschheit" im Farger Bunker aufführen konnte. Aber bis heute ist es ihr nicht gelungen, den Schriftzug "Nie wieder Krieg" an der Weserseite des Kolosses anbringen zu lassen. Weil die Bundeswehr keine politischen Parolen duldete.