Der Hausärztemangel wird in Bremen und Niedersachsen zu einem wachsenden Problem bei der ambulanten medizinischen Versorgung. Immer mehr Praxen müssen neue Patienten abweisen, und die Situation wird sich nach Einschätzung von Experten eher noch verschlechtern. Der Hausärzteverband Bremen sieht die Politik in der Pflicht, entschiedener gegenzusteuern und die Arbeitsbedingungen für niedergelassene Allgemeinmediziner zu verbessern.
Rein rechnerisch stellt sich die Lage in der Stadt Bremen vergleichsweise komfortabel dar. Die fachärztliche allgemeinmedizinische Versorgung lag laut einer Statistik der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) im Oktober bei 104,9 Prozent. Die Berechnungsgrundlage für den Versorgungsgrad fußt auf einem jahrzehntealten mathematischen Modell, das aber nie an die Entwicklungen im Gesundheitssektor angepasst wurde wie an das zunehmende Durchschnittsalter der Bevölkerung, die frühzeitige Entlassung von Krankenhauspatienten mit anschließendem ambulanten Behandlungsbedarf und an den Umstand, dass immer mehr Menschen an mehreren Krankheiten leiden.
Die 104,9 Prozent sind deshalb aus Sicht von Hans-Michael Mühlenfeld, dem Vorsitzenden des Bremer Hausärzteverbandes, längst keine aussagekräftige Zahl mehr. Die Realität erlebt der Woltmershauser Allgemeinmediziner in seinem Stadtteil. Dort gab es vor einigen Jahren noch zehn Hausarztpraxen, 2023 werden es noch vier sein. „Wir können das nicht auffangen. Ich muss jeden Tag zwei bis drei Anfragen neuer Patienten abweisen. Da brechen manchmal Leute an unserem Empfangstresen in Tränen aus“, sagt Mühlenfeld. Ähnlich angespannt sei die Situation in Huchting, der Neustadt, Walle und Bremen-Nord.
Die Kassenärztliche Vereinigung bemüht sich, neue niedergelassene Allgemeinmediziner für Bremen zu gewinnen. Nach Angaben ihres Sprechers Christoph Fox könnten aktuell 17,5 solcher Hausarztstellen besetzt werden, ohne dass die rechnerische Grenze zur Überversorgung (110 Prozent) erreicht wäre. Solche Anwärter zu finden, sei aber ein schwieriges Geschäft. Die Politik unternehme „nichts, um die ärztliche Basisversorgung zu stabilisieren oder gar für den ärztlichen Nachwuchs attraktiver zu machen“. Der Engpass bei Hausärzten werde sich daher kurz- und mittelfristig eher noch verschärfen.
Das befürchtet auch Hans-Michael Mühlenfeld. Im vergangenen Jahr hätten in Bremen gerade einmal neun Allgemeinmediziner ihre entsprechende Anerkennung bei der Ärztekammer erworben. Zum Vergleich: Bei den Anästhesisten waren es 16, bei den Orthopäden und Unfallchirurgen zehn. Die nachwachsende Medizinergeneration strebt also überall hin, nur nicht in die Hausarztpraxen.
Mühlenfeld sieht dafür eine Reihe von Gründen. Einer davon sei die Arbeitsbelastung. Eine 50-Stunden-Woche sei nicht unbedingt das, was heutigen Hochschulabsolventen für ihr Berufsleben vorschwebt. Wenn sie überhaupt für eine Tätigkeit als niedergelassene Allgemeinmediziner zu gewinnen seien, dann oft eher im Angestelltenverhältnis mit klar geregelter Arbeitszeit, gern auch Teilzeit. Darüber hinaus gebe es aber auch strukturelle Hemmnisse, mit denen sich die bestehenden Hausarztpraxen herumplagen müssten. Mühlenfeld nennt beispielhaft die halbherzige Digitalisierung. „Ich melde Krankschreibungen von Arbeitnehmern neuerdings digital an die Kassen, muss aber trotzdem noch Formulare für die Dokumentation ausdrucken.“
Die Bremer Gesundheitsbehörde arbeitet an neuen Modellen, die verhindern sollen, dass die hausärztliche Unterversorgung weiter zunimmt. Sie will mittelfristig sogenannte Gesundheitszentren in den Quartieren aufbauen. In solchen Einrichtungen soll es laut Sprecherin Diana Schlee eine „umfassende gesundheitliche Beratung“ und Präventionsangebote geben, auf längere Sicht auch eine hausärztliche Versorgung durch angestellte Ärzte. Die Behörde von Senatorin Claudia Bernhard (Linke) liegt damit auf einer Linie mit dem Forschungs- und Beratungsverbund IGES, der den Aufbau solcher lokalen Gesundheitszentren mit Teams aus unterschiedlich qualifizierten Fachkräften ausdrücklich empfiehlt.
Der Hausarzt als eigenständiger Unternehmer könnte also auf längere Sicht ein Auslaufmodell sein. So sieht es auch der Sprecher der KV Niedersachsen, Detlef Haffke. In seinem Bundesland arbeitet bereits ein Viertel der Hausärzte im Angestelltenverhältnis. Der Versorgungsgrad liegt nach Haffkes Angaben im Bremer Umland niedriger als in der Hansestadt selbst. In Achim und Delmenhorst mit ihren jeweiligen ländlichen Nachbargemeinden zum Beispiel erreicht er aktuell 96,6 beziehungsweise 95,4 Prozent.