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Hausärztemangel Der Wettbewerb um die Mangelware Arzt

Die Suche nach einer Hausarztpraxis wird in Walle immer schwieriger. Der Stadtteilbeirat sucht deshalb dringend nach Strategien, um gegenzusteuern.
07.11.2022, 08:00 Uhr
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Der Wettbewerb um die Mangelware Arzt
Von Anne Gerling

Wie können junge Hausärztinnen und Hausärzte motiviert werden, sich in Walle niederzulassen? Im Mai hatte der Sozialausschuss des Waller Beirats die Kassenärztliche Vereinigung (KV), das Gesundheitsressort und den Hausärzteverband aufgefordert, dazu Konzepte zu entwickeln. „Aufgrund der immer lückenhafter werdenden ärztlichen Versorgung der Patienten in Stadtteilen wie Walle ist politische Steuerung im Sinne einer dezentralen Verteilung von Arztpraxen vonnöten, zum Beispiel über Förderprogramme“, heißt es in dem fraktionsübergreifend einstimmig gefassten Beschluss der Ortspolitiker. Kurz zuvor hatten sich wie berichtet sieben Waller Ärztinnen und Ärzte mit einem Brandbrief an die Öffentlichkeit gewandt: Sie befürchten, dass die medizinische Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten in Zukunft nicht mehr gewährleistet werden kann.

Die KV ist unter anderem dafür verantwortlich, die ambulante Versorgung im Land Bremen sicherzustellen. Könnte sie also nicht einfach den medizinischen Nachwuchs gezielt nach Walle schicken? So einfach ist es nicht, machten die KV-Vorstände Bernhard Rochell und Peter Josenhans nun in einer Sitzung des Sozialausschusses deutlich. Denn bei der Bedarfsplanung (die regelt, wie viele Plätze es in den einzelnen Regionen je Fachrichtung gibt) werde lediglich zwischen den beiden Planungsbereichen Bremen und Bremerhaven unterschieden. „Wir haben keine Möglichkeit, dass wir unterhalb dieser Bezirke den niederlassungswilligen Ärzten sagen: Du gehst nach Walle oder nach Mitte“, sagt Josenhans, der darin außerdem auch einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit sähe: „Der Arzt entscheidet frei, wo er sich niederlassen möchte – das ist unser System.“ Die Zulassung von Ärzten obliege außerdem nicht alleinig der KV, sondern dem Landeszulassungsausschuss, der paritätisch mit mehreren Vertretern der Ärzte und Kassen besetzt sei, unterstrich der KV-Vorstand gegenüber den Waller Ortspolitikern.

Bremen hat eine der ältesten Ärzteschaften Deutschlands

„Sie sind nicht der erste Stadtteil, der uns anspricht“, sagte er aber auch. Schließlich habe Bremen „eine der ältesten Ärzteschaften in Deutschland“, bis zu 30 Prozent der Ärzte gingen in den kommenden Jahren in den Ruhestand: „Und diesen Kolleginnen und Kollegen ist das Schicksal der Patienten nicht gleichgültig.“ Als Reaktion auf diese Entwicklung sei mittlerweile die Altersgrenze aufgehoben worden: „Wer gesund ist, darf seinen Versorgungsauftrag weiterhin wahrnehmen, was auch viele machen.“

In der Stadt Bremen wäre laut Bedarfsplanung der KV das ideale Verhältnis, wenn ein Vollzeit-Hausarzt etwa 1660 Bürger versorgt. Wenn dies erfüllt ist, wird der Versorgungsgrad mit 100 Prozent ausgewiesen. In Bremen-Stadt liegt der Versorgungsgrad bei den Hausärzten laut KV aktuell bei 105 Prozent.

„Leider ist es in Wirklichkeit schlimmer, als die Zahlen sagen“, sagte dazu aber Holger Schelp vom Hausärzteverband Bremen: „Wir haben zwar auf dem Papier eine Versorgung von 105 Prozent, aber in Wirklichkeit ist eine Praxis an einem Tag in der Woche zu, und ein anderer Arzt arbeitet nur einen halben Tag. Niemand kann sich Ärzte schnitzen, die 60 Stunden die Woche arbeiten.“ Schelps Ansicht nach spielt das eine große Rolle dabei, dass sich immer weniger angehende Medizinerinnen und Mediziner für den Hausarztberuf entscheiden.

Anreize für junge Mediziner

Bei der KV sei man sich der besonderen Situation in Walle bewusst, betonte Peter Josenhans: „Dort gibt es aktuell 14 Hausärzte, und wir wissen, dass darunter einige ältere sind und dass es zum Teil eine sehr eingeschränkte Bereitschaft gibt, neue Patienten aufzunehmen.“ Nur über Anreize könnten junge Mediziner für einen Standort gewonnen werden, ist Josenhans überzeugt, der von einem Wettbewerb der Regionen um die Mangelware Arzt spricht: „Wir müssen in Zukunft immer mehr um Ärzte werben. Und das kann die KV nicht aus eigenen Mitteln, da braucht es die Politik.“

Aber was macht einen Standort interessant? Mittlerweile werben manche Regionen und Kommunen Josenhans zufolge mit Grundstücken, finanziellen Zuwendungen, Kitaplätzen oder Job-Beihilfen für Partnerin oder Partner, weshalb seiner Ansicht nach auch über Partnerschaften mit der Wirtschaft nachgedacht werden sollte.

Trend zur Angestelltenkultur

Der Trend geht Bernhard Rochell zufolge außerdem in Richtung Angestelltenstruktur. So fühlten sich Selbstständige angesichts der zunehmenden Digitalisierung und vom anwachsenden administrativen Überbau oftmals überfordert. Eine Lösung könnte sein, ihnen diese Aufgaben abzunehmen – etwa über ein Ärztehaus, mit einer Verwaltungsabteilung für sämtliche Praxen. Rochell und Josenhans kennen außerdem Ärzte, die vergeblich nach größeren Räumlichkeiten suchen, um das Praxisteam vergrößern zu können. Was ihrer Ansicht nach ein grundsätzlicher Nachteil für Bremen ist: Dass der Studiengang Medizin hier nicht angeboten wird. Denn frisch gebackene Ärzte ließen sich häufig dort nieder, wo sie studiert haben.

Und nun? "Eine Villa können wir als Beirat nicht anbieten", bedauert Beiratssprecherin Brigitte Grziwa-Pohlmann (SPD). Aus der Diskussion ergaben sich für Leon Czyborr, den für Walle verantwortlichen Stadtteilsachgebietsleiter, am Ende aber zwei Handlungsoptionen: „Wir können über mögliche Räumlichkeiten hier im Stadtteil nachdenken und auch beim Thema Mediziner-Ausbildung noch mal nachhaken.“

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