Seit drei Wochen dient die Heinz-Thiele-Halle in Blockdiek knapp 60 Menschen aus Syrien, Afghanistan und Somalia als Unterkunft. Die Sportgeräte sind beiseite geschoben, und die Fußballnetze hängen an den Wänden. Gemeinsam ist den Menschen in der Halle, dass sie allesamt neu sind an diesem Ort – sowohl die Johanniter-Helfer und Bundeswehrsoldaten, die den Alltag organisieren, als auch die geflüchteten Menschen. Für die Johanniter ist es die erste Unterkunft, die sie in Bremen betreuen. In Niedersachsen sind sie für 14 Einrichtungen verantwortlich.
Es riecht intensiv nach frischem Holz, der Geruch strömt aus Bodenplatten und Sperrholzwänden. Von den typischen Duftnoten einer Turnhalle wie Schweiß und alte Turnschuhe ist nichts übrig geblieben. Vom Flair des Aktivraums auch nicht. Das Fußballnetz hängt schlaff an der Wand, die Bälle bleiben im Netz. Nur zwei kleine Jungs liefern sich ein Rennen auf Bobby- Cars. Die Heinz-Thiele-Halle in Blockdiek hat seit zwei Wochen eine andere Funktion. Dort leben derzeit 60 Menschen, die vor Krieg und Katastrophen geflohen sind. Weite Wege liegen hinter ihnen, Verletzungen und Schusswunden sind stumme Zeugen davon, wie hart das Schicksal es mit ihnen meint. In Blockdiek sitzen sie vor Teebechern an Tischen, lesen Handynachrichten und versuchen, zur Ruhe zu kommen.
„Es wohnen vorwiegend Männer hier. Sie sind alle sehr dankbar dafür, dass sie ein trockenes Plätzchen gefunden haben und in Sicherheit sind“, sagt der Johanniter Dennis Schmidt. Vor wenigen Wochen war er mit seinen Kollegen beim Marathon in Bremen eingeteilt, jetzt ist er mit mindestens zwei Kollegen in Blockdiek. Schmidt hat Erfahrungen im Katastrophenschutz, so schnell erschüttert den Helfer nichts – auch keine überraschend umzuwidmende Turnhalle. „Wir haben noch Personal eingestellt, das uns jetzt unterstützt. Die Ehrenamtlichen hatten sich in den ersten Tagen von ihren Arbeitgebern freistellen lassen, sie sollen nun ihre Kräfte sparen, sie werden sicher bald wieder gebraucht.“ Während er in ruhigen Worten spricht, bewegen sich seine Finger schnell über das Handy. Den tragbaren Minicomputer hat Schmidt stets dabei, um Pläne durchzusehen und Anrufe entgegenzunehmen.
Giovanna Zambrano ist die neue Kollegin im Team, seit wenigen Wochen gehört sie zu den Johannitern. Die 21-Jährige trägt einen Karton mit Spielsachen zum Tisch, sofort lassen die Kinder die Roller und Bobby-Cars fallen und scharen sich um sie. Brettspiele sind in der Box, die gespendet wurden. Die Kleinen drehen die Spiele fragend hin und her, wollen wissen, wie sie funktionieren. „Am meisten haben sich die Kinder über die Buntstifte gefreut“, Schmidt zeigt auf eine kleine Galerie aus Zeichnungen an der Wand. Die Bilder sind notdürftig mit Panzertape befestigt. Kleine Hände haben dort die Flaggen ihrer Heimatländer verewigt.
Zambrano überlässt die Spielbox den Kindern. Eigentlich ist es als gelernte Erzieherin ihr Terrain, sich um die Kleinsten zu kümmern – in der Heinz-Thiele-Halle jedoch muss ein ganzes Haus bestellt werden. „Ich organisiere Arztbesuche, gebe die Mahlzeiten mit aus, bestelle Essen, helfe beim Registrieren und zeige auch schon mal, wie ein Spannbettlaken aufzuziehen ist“, erzählt sie, während der Mann vom Sicherheitsdienst neben ihr steht. Was mit den abgegebenen Kleidern passieren soll, die nicht mehr gebraucht werden? „Darum kümmere ich mich sofort“, ist die Antwort der jungen Frau.
Am ersten Tag sei es schwierig gewesen, sofort voll einsteigen zu müssen und eben nicht nur für Kinder zuständig zu sein. Mittlerweile mache es ihr großen Spaß. Ab und zu schaufelt sie sich Zeit frei für eine Mutter-Kind-Stunde. Vor ein paar Tagen gab es sogar Tanz und Fitness. „Seit die Stellwände da sind, kommt mir der Ort schon viel komfortabler vor. Es gibt jetzt kleine Zimmer“, die Johanniterin schaut in den Raum, der von Sperrholzwänden geteilt ist. An Privatsphäre war bis vor wenigen Tagen nicht zu denken, als die Matratzen einem großen Schachbrettmuster gleich in der ganzen Halle verteilt waren. Trotz der einfachen Verhältnisse war die Stimmung bisher nie angespannt.
Schmidt muss zur Handyladestation. Dort, wo sonst Zuschauer das Geschehen auf dem Spielfeld verfolgen, sitzen junge Männer. Mehrere Mobiltelefone hängen am Stromtropf. „Es gibt in der Halle nicht viele Steckdosen. Das Handy ist für die Leute der einzige Draht zur Familie. Deshalb haben wir eine Station eingerichtet“, erklärt Schmidt die Attraktivität der Netzkabel.
Die Sportlergaststätte nebenan ist zum Lager umfunktioniert. Milchkartons, Wasserflaschen, Windeln und Duschbad stapeln sich bis unter die Decke – man ist auf alles vorbereitet. „Unser treuester Mitarbeiter ist derzeit der Wasserkocher,“ sagt Schmidt und klopft auf den dicken Kessel, der sich großer Beliebtheit erfreut. Tee werde sehr häufig getrunken.
An den Wänden hängen Brandschutzerklärungen in fünf Sprachen. Aus Bildern geht hervor: 8 Uhr ist Frühstück, 12.30 Uhr Mittag und 19.30 Uhr Abendbrot. Ausgegeben wird dieses unter anderem von Bundeswehrsoldaten. „Normalerweise sind wir in Seedorf für die Ausbildung von Rekruten zuständig, aber jetzt helfen wir schon in einigen Flüchtlingsunterkünften mit. Wir geben die Mahlzeiten aus, bauen mit auf und helfen, wo Not am Mann ist“, sagt ein Soldat, der seinen Namen nicht nennen darf. „Verständigungsprobleme gibt es eigentlich nicht. Wir haben einen Kameraden, der Arabisch und Kurdisch spricht, das ist eine große Hilfe“, erzählt der junge Mann, der schon zu mehreren Auslandseinsätzen in Afghanistan verpflichtet war. Nun hilft er den Afghanen in Deutschland bei der Ankunft.