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Der scheidende Grohner Hortleiter Wilfried Quenstedt-Riebau hinterlässt einen Ort der Geborgenheit „Herkunft ist nicht entscheidend“

Das Horthaus Grohn und Wilfried Quenstedt-Riebau: Das eine ist ohne den anderen eigentlich nicht denkbar. Und doch wird man sich daran gewöhnen müssen, dass diese scheinbar unauflösliche Einheit bald Geschichte ist. Nach mehr als 33 Jahren als Leiter des Kinder- und Familienzentrums Grohn tritt Willy Quenstedt in den Ruhestand. Niemand verfügt über so viel Erfahrung mit Sozialarbeit in Vegesacks sozialem Brennpunkt wie er.
15.10.2014, 00:00 Uhr
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„Herkunft ist nicht entscheidend“
Von Jürgen Theiner

Das Horthaus Grohn und Wilfried Quenstedt-Riebau: Das eine ist ohne den anderen eigentlich nicht denkbar. Und doch wird man sich daran gewöhnen müssen, dass diese scheinbar unauflösliche Einheit bald Geschichte ist. Nach mehr als 33 Jahren als Leiter des Kinder- und Familienzentrums Grohn tritt Willy Quenstedt in den Ruhestand. Niemand verfügt über so viel Erfahrung mit Sozialarbeit in Vegesacks sozialem Brennpunkt wie er.

Wie stünde es um viele Kinder aus der Grohner Düne, wenn es das Horthaus an der Friedrich-Klippert-Straße nicht gäbe? Man mag es sich gar nicht ausmalen. Zwischen Schulschluss und spätem Nachmittag gestaltet das Horthaus ein Kontrastprogramm zur bildungs- und anregungsarmen Umgebung, in die viele Schüler sonst mit der letzten Pausenklingel entlassen würden.

Für etwa 120 Kinder in festen Gruppen und weitere in offenen Angeboten ist das Horthaus so etwas wie ein zweites Zuhause. Es bietet den Sechs- bis Zwölfjährigen – und nicht nur solchen aus der Düne – einen breiten Fächer pädagogisch angeleiteter Aktivitäten und ein Klima der Geborgenheit, in dem Erfolgserlebnisse möglich werden.

Für diese Arbeit zeichnet seit den ersten Tagen des Horthauses Willy Quenstedt verantwortlich. „Als ich hier im April 1981 anfing, stand noch der Bauzaun“, entsinnt sich der 63-Jährige. Die Düne stand damals erst wenige Jahre. Ihre Zukunft als schlecht beleumundetes Wohnsilo war nicht unbedingt vorgezeichnet. Doch den Bedarf an außerschulischer Betreuung für Kinder im Grundschulalter hatte die Stadt immerhin erkannt und an der Friedrich-Klippert-Straße für viel Geld ein Horthaus als architektonisches Unikat errichtet.

Quenstedt war zu diesem Zeitpunkt als Sozialarbeiter noch nicht lange im Job. Er stammt – und hier liegt wohl eine prägende Übereinstimmung mit vielen seiner späteren Schützlinge – aus einfachen Verhältnissen. In dem kleinen Dorf nahe dem ostfriesischen Wiesmoor war Bildung in den 1950er-Jahren kein großes Thema. Also begann der Handwerkersohn Quenstedt nach der Volksschule eine Lehre als Werkzeugmacher bei den Olympia-Werken in Wilhelmshaven. Dieser Riesen-Betrieb, der einer ganzen Region Arbeit gab, verhieß Quenstedt ein gutes Auskommen auf lange Sicht.

Doch bald empfand der junge Facharbeiter die Bahn, in der sein Leben verlief, als beengend. Zur Zeit des Vietnam-Krieges entwickelte er ein kritisches politisches Bewusstsein, gespeist unter anderem durch sein Engagement in der örtlichen evangelischen Kirchengemeinde. „Irgendwann wurde mir klar: Ich muss in eine andere Sphäre“, sagt Quenstedt.

Der Schlüssel dazu war Bildung. Quenstedt besuchte die Abendschule in Wilhelmshaven und begann danach ein Studium der Sozialarbeit an der Bremer Hochschule für Sozialpädagogik und Sozialökonomie. Die Einrichtung in Findorff war stramm auf Linkskurs, ihr Ansatz klar: Sozialarbeit gibt es, weil das kapitalistische System Menschen aussondert. Individuelle Schuldzuweisungen an die Betroffenen verboten sich von selbst. Diese holzschnittartige Sicht hat Quenstedt später hinter sich gelassen, doch eines blieb: Das Streben nach einer Gesellschaft, die fair ist, die niemanden zurücklässt und denen eine Stütze bietet, die allein nicht klarkommen.

Wer so denkt, dem bietet Grohn ein reiches Betätigungsfeld. Insbesondere in der Düne leben zahlreiche Menschen, die den Anschluss an die deutsche Erwerbs- und Leistungsgesellschaft noch nicht gefunden haben. Vorbehalte gegen die fremden Kulturen, aus denen diese Neubürger überwiegend stammen, lässt Quenstedt nicht gelten. Aus tiefster Überzeugung sagt er: „Die Herkunft von Leuten ist nicht entscheidend.“ Den Beleg liefert ihm die Jacobs University, wo gebildete, aufgeschlossene junge Menschen weitgehend spannungsfrei zusammenleben. Zum Problem werde Herkunft erst durch ihre Koppelung an Schicksal und Armut. Den Schlüssel für eine erfolgreiche Integration von Zuwandererfamilien sieht Quenstedt deshalb im „Eingebundensein in Arbeits- und Verdienststrukturen“. Die nachwachsende Generation müsse auf dieses Ziel hingeführt werden. Auf eigenen Beinen stehen – das ist Quenstedts Ansage an die Kinder. Oder anders ausgedrückt: „Ich muss selbst etwas tun, damit ich was erreiche. Ich muss auch mal durchhalten.“

Aus Sicht des erfahrenen Sozialarbeiters reicht es aber nicht, diese Haltung nur zu predigen. Kinder müssten in einem Klima der Geborgenheit aufwachsen, in dem sie Erfolgserlebnisse haben und sich sagen können: „Ich kann auch dazugehören, ich schaffe das.“

Eben dieses Klima wollte Quenstedt seinen Schützlingen stets bieten. Das Horthaus Grohn als ein Ort positiver emotionaler Grundstimmung, in dem junge Menschen in einer ganz wichtigen Phase ihrer Persönlichkeitsentwicklung einen stabilen Rahmen vorfinden – das war und ist die Vorstellung des scheidenden Leiters. Und wenn man das hohe Ansehen, das er unter den Akteuren im sozialen Sektor und in der Ortspolitik genießt, zum Maßstab nimmt, dann wird man sagen können: Er hat sie erfolgreich umgesetzt.

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