Stephan Jeck zockt. Er muss Richtung GVZ zur Arbeit, Spätschicht, und jetzt steht er an der Haltestelle N neben dem Bremer Hauptbahnhof. Von hier fahren die Busse los, aber den 63er, der ihn zum GVZ bringen könnte, lässt er jetzt einfach abrauschen. Mit Absicht, direkt vor der Nase weg.
Stephan Jeck hat einen anderen Plan. Jeden Moment müsste die 63S kommen; S wie Schnellverbindung. Zehn Minuten braucht der Bus bis zur Haltestelle Reedeich-Nord, Jecks Ziel. Zehn Minuten, da kann der 63er nicht mithalten, denn der fährt eine Schleife durch die Neustadt. 17 Minuten, fast doppelt so lange, braucht er. Klare Sache für Profis wie Stephan Jeck: Sie warten auf die 63S. Das Problem: Es ist schon kurz nach eins, und der Bus ist weit und breit nicht in Sicht.
Bestimmt 40 Menschen warten mit Jeck. Sie stehen in Gruppen zusammen, unterhalten sich auf arabisch, russisch, englisch oder deutsch. So wie sie aussehen – Schutzjacken mit Firmenlogo, Arbeitshosen mit Kniepolstertaschen, Rucksäcke mit Verpflegung – arbeiten sie alle irgendwo im GVZ; im DHL-Zentrum, bei der BLG, bei Hellmann. Die Ersten werden langsam unruhig. Auf der Digitalanzeige am Bussteig ist die Ankunftszeit des nächsten 63S verschwunden. Stattdessen wird der übernächste Schnellbus angezeigt – in elf Minuten. Der Schichtbeginn rückt näher, und sie stehen immer noch am Hauptbahnhof.
„Was ist denn jetzt schon wieder los?“, fragt einer in die Runde, ohne damit jemanden direkt zu meinen. Der Mann steckt sich noch eine an. Ein Zug, zwei Züge, ein dritter auf Lunge, und dann kommt der 63S endlich.
Jetzt beginnt für Stephan Jeck und seine Mitfahrer der zweite Teil der Wette: Wie schnell ist der 63S wirklich am Ziel? Er muss nämlich – genau wie der 63er, der sonst über die Bürgermeister-Smidt-Brücke fährt und das nicht mehr darf – über die Stephanibrücke, und dort wird gerade gebaut. Seit Anfang der Woche führt das zu langen Staus auf der B6. „Schauen wir mal“, sagt Jeck, als er einsteigt und sich auf einem Zweiersitz mit dem Rücken zum Fahrer einrichtet. Keine so gute Idee, wie sich zeigen soll. Auf den nächsten Kilometern wird sich Jeck ein ums andere Mal verrenken, um sehen zu können, was hinter ihm los ist. Denn kaum rollt der Bus nicht mehr unterhalb der Hochstraße, sondern will die Auffahrt zur B6 hoch, heißt es stop and go. Mit mehr stop als go.
Ab jetzt dauert eine Minute nicht mehr 60 Sekunden, jedenfalls wenn man den Blick auf den Monitor richtet, der den nächsten Halt anzeigt. Es ist 13.08 Uhr, die Haltestelle Reedeich-Nord soll in acht Minuten erreicht sein. 13.10 Uhr, der Bus hat sich keinen Meter bewegt, immer noch acht Minuten bis Reedeich-Nord. Um 13.11 Uhr und um 13.12 Uhr auch noch.
Das Fit-X-Gebäude schiebt sich rechter Hand ins Bild, weiter hinten ist der Wesertower zu erkennen, wie er über dem Wasser thront. Von rechts drängen gleich die nächsten Fahrzeuge auf die B6, zweispurig wird einspurig, dreispurig wird zweispurig. 13.17 Uhr inzwischen, neun Minuten für knapp 500 Meter.
„Ich will ja nicht gehetzt ankommen“
Jeck beginnt zu rechnen. Fünf bis sieben Minuten Fußweg muss er nach der Ankunft noch einplanen, dann hat er seinen Arbeitsplatz bei der BLG erreicht. 14 Uhr ist Schichtbeginn. „Und ich will ja nicht total gehetzt dort ankommen“, sagt er. Simone Honolka, die ein paar Stationen weiter muss, erzählt später, dass sie zur Sicherheit jetzt jeden Tag zwei Busse früher fährt, um auch bloß pünktlich zu sein.
13.20 Uhr kurz vor der Stephanibrücke, gute Nachricht für Jeck, in sieben Minuten soll er am Ziel sein. Der Fahrer kann den Bus jetzt rollen lassen, ganz langsam zwar, aber immerhin. 13.23 Uhr: noch sechs Minuten bis Reedeich-Nord. Und dann, endlich, die Baustelle ist passiert. Auf Höhe Steigenberger Hotel heißt es freie Fahrt, Tempo 60, wenig später 80. Reedeich-Nord rückt näher, vier Minuten, drei Minuten, zwei, eine. Stephan Jeck schnappt sich seinen Rucksack und macht sich zum Aussteigen bereit. 13.31 Uhr ist es inzwischen. 25 Minuten hat der Bus für die Strecke gebraucht, die er sonst in zehn schaffen soll.

Und so sieht das dann von oben aus: Bauarbeiten auf der Stephanibrücke.
Jeck denkt schon an die spätere Bauphase auf der Stephanibrücke, wenn die Arbeiten in der anderen Fahrtrichtung auf Hochtouren laufen. Denn wenn er von der Arbeit am Hauptbahnhof ankommt, ist er immer noch nicht zu Hause. Er muss noch weiter nach Osterholz-Scharmbeck. Nach der Frühschicht hat er dafür einen Puffer. Aber sein Spätdienst endet um 22 Uhr, und danach hat er keine Zeit zu verschenken. Um 22.40 Uhr fährt sein Zug.