Zur Person: Michael Koppel ist 1949 in Hamburg geboren. Mitte der 80er-Jahre zog er in den Deichkamp nach Horn-Lehe. Vor zehn Jahren rief er die Internetseite www.chronik-horn-lehe.de. ins Leben. Seit 2011 ist Koppel Leiter des Stadtteilarchivs des Bürgervereins Horn-Lehe. Zu den Publikationen des Stadtteilhistorikers gehören das „Lexikon Horn-Lehe“ und die Broschüre „75 Jahre Horner Bad“. Der ehemalige Berufsschullehrer sitzt für die Grünen im Beirat Horn-Lehe.
Herr Koppel, die Horner Kirchengemeinde feiert in diesen Wochen ihr 900-jähriges Bestehen. Wie stark ist deren Geschichte mit der des Stadtteils verwoben?
Michael Koppel: Die Geschichte Horn-Lehes wäre ohne die Geschichte der Horner Kirchengemeinde undenkbar. Als die Horner Kirchengemeinde vor etwa 900 Jahren gegründet wurde, gehörte das neu zu besiedelnde Land dem Erzbistum Bremen. Der damalige Erzbischof Friedrich schloss mit fünf holländischen Siedlern und ihrem Priester einen Vertrag, der ihnen das Land zur Kultivierung überließ. Es ist davon auszugehen, dass bereits in der frühesten Anfangszeit der Besiedlung eine Kirche errichtet wurde. Erstmals erwähnt wurde sie in einer Urkunde von 1185, in der die Kirche von Erzbischof Hartwig II. dem Angarii-Kapitel „zur Mehrung des Unterhalts“ übertragen wurde. Lange Zeit war mit Begriff Gemeinde die Kirchengemeinde gemeint. Erst allmählich bildeten sich staatliche Strukturen heraus. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts unterstanden die Schulen, die Lehrer und der Schulunterricht der Kirchengemeinde. Die Kirchengemeinde zahlte die Lehrer, unterhielt die Schule, und der Unterricht beschränkte sich auf die Einübung des Katechismus, kirchlicher Gesänge sowie des Lesens und Schreibens. Erst während der französischen Besatzung von 1810 bis 1814 entstand die „politische Gemeinde Horn“, damals allerdings unter Führung der „Mairie Borgfeld“.
Sie haben zur Geschichte der Kirchengemeinde eine Ausstellung konzipiert, die noch bis Ende dieser Woche im Gemeindehaus zu sehen ist
In der Bilderausstellung ist die Entwicklung der Kirche vom Mittelalter bis in die Neuzeit nachzuvollziehen. Die erste bildliche Darstellung der Kirche „To’m Horn“ aus dem Jahre 1822 von Anton Radl zeigt die Kirche, wie sie wahrscheinlich in der Mitte des zwölften Jahrhunderts als Wehrkirche aus Granit, Backstein und Tuff errichtet wurde. Der mächtige, gedrungene Turm zeigte im Gegensatz zur heutigen Kirche nach Westen zur Riensberger Straße, die bis zur späteren Anlage der Horner Chaussee – heute Heerstraße – die Verbindungsstraße zwischen der Stadt und der Horner Gemeinde war. Sie wurde 1823/24 von dem im klassizistischen Stil errichteten heutigen Kirchenbau ersetzt. 1866 wurde die Kirche nach einem Brand umgestaltet, die klassizistischen Fenster wurden durch Fenster in neuromantischem Stil ersetzt, der Haupteingang wurde in den Turm verlegt und der Altar in die neu errichtete Apsis im Westen der Kirche verlegt. All dies, einschließlich der Zerstörung der Kirche im Jahre 1942, lässt sich anhand der Bilderausstellung nachvollziehen.
Wie schwierig waren die Recherchen zur Kirchengeschichte?
Die Ausstellung wurde aus meinen eigenen Beständen sowie den Beständen des Stadtteilarchivs des Bürgervereins Horn-Lehe zusammengestellt. Weitere Recherchen waren nicht nötig, da die Quellen im Großen und Ganzen erschlossen sind. Neue Informationen erhielt ich von Architekt Wolfram Dahms, der in den Akten des Staatsarchivs und der Bauakte die Einzelheiten des Kirchenbaus recherchierte. Das war für mich eine große Bereicherung und ein Gewinn für unser Archiv.
Werfen wir einen Blick über den Tellerrand: Als vor 900 Jahren die ersten Siedler Horn begründeten, wie sah es da ansonsten rund um den Handelsort Bremen aus?
In der Urkunde von 1113 heißt es, dass den Holländern ein Stück Land, das „bisher unangebaut, sumpfig und den Einwohnern daliegt“ , den Siedlern zur Urbarmachung überlassen wurde. Es gibt aus archäologischen Funden, sprich Scherben, den Hinweis, dass das Land nordöstlich Bremens bereits im um 800 vereinzelt von Menschen besiedelt war. Vermutlich kamen sie über die Flussarme. Einen Hinweis auf feste Siedlungen aus dieser Zeit gibt es allerdings nicht. Vor der Besiedlung des Hollerlandes gab es neben der Stadt Bremen Dörfer auf dem Bremer Dünenrücken: Uphusen, Mahndorf, Arbergen, Hemelingen, Hastedt, Walle, Gröpelingen, Oslebshausen und Grambke. Spätere Urkunden verweisen auf die Ausdehnung der Siedlungen: Oberneuland 1181, Borgfeld 1235, Kloster Lilienthal 1232. Für die Hollersiedlung war bedeutend, dass die Siedler erfahrene Wasserbauer waren – sie zogen Gräben und bauten Deiche, um das Sumpfland zu ent- und bewässern. Die langen Flurstreifen mit den seitlichen Gräben zeugen noch heute von dieser Urbarmachung.
Die Fragen stellte Jörn Seidel.
Michael Koppel hält seinen Vortrag „Horner Kirche und Geschichte des Stadtteils“ am Dienstag, 27. Oktober, um 19 Uhr im Gemeindehaus, Horner Heerstraße 28. Ebenfalls dort ist die Ausstellung zur Kirchengeschichte noch an zwei Tagen unter der Woche zu sehen: am Donnerstag von 15 bis 17 Uhr und am Freitag von 10 bis 12 Uhr. Letztmalig ist sie nach dem Gottesdienst zum Reformationsgedenken am Sonntag, 1. November, zu sehen. Mit dem Orgelkonzert am selben Tag enden auch die Festwochen zum 900-jährigen Jubiläum. Das Konzert findet wie der Gottesdienst in der Kirche, Horner Heerstraße 28, statt. Roland Dopfer, Orgel-Professor an der Hochschule für Künste, wird Werke von Bach, Buxtehude und Pachelbel sowie eigene Improvisationen spielen. Der Eintritt zu allem ist kostenfrei.