Die Frage, ob Werder in diesem Transfersommer gut oder schlecht gearbeitet hat, lässt sich noch nicht beantworten. Es gab vielversprechende Entscheidungen, aber auch riskante Deals und viele arg späte Transfers. Nach Wochen des Wartens war am Ende eine Menge Hektik drin. Ob Werder sich dabei verstärkt hat, ist offen. Denn sportlich und wirtschaftlich waren Wechsel dabei, die man sich genauer anschauen muss.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
Generell fällt auf: Es war früh klar, in welcher Liga Werder in der neuen Saison spielen würde, und auch der neue Trainer Horst Steffen stand früh fest. Dennoch dauerte es, bis der Kader Konturen annahm. Das lässt sich nur mit wirtschaftlichen Zwängen schlüssig erklären. Aber die müssen dann ernster sein, als man das zuletzt nach den Investoren-Millionen und dem Verkauf von Michael Zetterer annehmen musste.
Über allem steht der Knaller-Transfer von Victor Boniface. Mit der Verpflichtung des früheren Leverkusener Meisterstürmers sorgten die Bremer für Aufsehen. Die Fans träumen bereits von einem Top-Torjäger Boniface im Werder-Trikot. Aber gerade bei ihm wird man erst später sagen können, ob das ein guter Transfer war – denn Werder bekam nun eben nicht den großartigen Torjäger aus der Leverkusener Meistersaison. Den hätte man sich niemals leisten können, dafür hätte man das Weserstadion verkaufen müssen. Gekommen ist der Victor Boniface, der nach Verletzungen zuletzt in einem Tief steckte, der vor wenigen Wochen beim AC Mailand durch den Medizincheck gefallen ist (den er bei Werder aber bestand) und bei dem – wegen seiner dicken Krankenakte – kein anderer Verein zugreifen wollte. Eine gesunde Skepsis ist bei solch einem Transfer also sicherlich keine Miesmacherei.
Im Gegenteil: Es ist erst zwei Sommer her, dass Werder einen noch größeren Star holte, nämlich Naby Keita vom FC Liverpool. Auch damals kniete gefühlt halb Bremen nieder vor Dankbarkeit und Vorfreude. Heute weiß man, dass sein Wechsel eines der größten Missverständnisse der Vereinsgeschichte war. Schon nach wenigen Wochen konnte man sehen, warum kein anderer Verein bei Keita zugeschlagen hatte: Er war körperlich nicht mehr in der Lage, auf Bundesliga-Niveau zu spielen.
Natürlich wäre es nun unfair gegenüber Boniface, ihn mit Keita in einen Topf zu werfen. Aber klar ist: Wer mit Leverkusen Meister wurde und vor einem Transfer zu AC Mailand stand, der verbessert sich mit einem Wechsel zu Werder zunächst einmal nicht. Aus Sicht des Spielers muss da eine Menge schiefgelaufen sein. Werder braucht jetzt das nötige Glück, damit der Plan mit Boniface aufgeht.
Erinnerungen an den Fall Füllkrug
Der Fall erinnert an Niclas Füllkrug. Auch seine Verpflichtung war wegen der Verletzungsgeschichte riskant, und dann erlitt „Fülle“ in Bremen auch noch einen Kreuzbandriss. Erst danach wurde es zum Fußballmärchen. Diese Zeit gibt es bei Boniface nicht, denn der ist im Mai wieder weg. Wenn er fit bleibt, kann er als Abschluss-Spieler sofort eine Verstärkung sein. Doch auch hier lohnt der genaue Blick, denn besser als der verkaufte Marvin Ducksch ist er auf dem Papier zunächst einmal nicht. Boniface schoss in der vergangenen Saison acht Bundesligatore für Leverkusen, die machte Ducksch auch. Boniface legte zwei Treffer auf, Ducksch sogar neun (Boniface in 19 Spielen, Ducksch in 32). Im Winter wird der Nigerianer wohl viele Wochen wegen des Afrika-Cups fehlen.
Im Prinzip hat Leverkusen Boniface nach Bremen geschickt, damit er wieder in eine bessere Verfassung kommt. Auf so ein Geschäft hatte sich Werder zuletzt schon bei André Silva (RB Leipzig) eingelassen. Mit mäßigem Erfolg.

Im Podcast ”Grün auf Weiß” analysieren Chefreporter Jean-Julien Beer und Sportjournalist Stefan Freye das Geschehen bei Werder Bremen. Den Podcast gibt es auf allen gängigen Podcast-Plattformen.
Wenn Werder im Kader Werte schaffen möchte, trägt ein geliehener Spieler dazu wenig bei. Die Leihgaben können zwar die Qualität anheben und später vielleicht gekauft werden (bei Boniface gibt es diese Option nicht), sie blockieren aber in der Startelf immer einen Platz für solche Spieler, die Werder gehören und die der Verein zu Leistungsträgern und Verkaufskandidaten entwickeln will.
Das ist ein Problem dieses Transfersommers, weil sechs der sieben Neuzugänge nur geliehen sind. Damit wurden viele Personalentscheidungen um ein Jahr verschoben. Nur Samuel Mbangula wurde gekauft (für zehn Millionen von Juventus). Ob er das wert ist, muss er noch nachweisen. Nach den ersten Eindrückenist Yukinari Sugawara (geliehen vom FC Southampton) eine gute Verstärkung: Der Japaner zeigte im ersten Spiel, dass die Bedeutung einer Saisonvorbereitung manchmal grob überschätzt wird. Sugawara machte bei seinem Debüt keinen Fehler und spielte genau die Pässe in den Zehnerraum, die Horst Steffen sehen will. Sugawara scheint ein verlässlicher Topprofi mit guter Mentalität zu sein.
Im Prinzip muss der Trainer jetzt eine zweite Vorbereitung starten. Die Gruppe wirkt etwas wild zusammengestellt. Es wird dauern, daraus im laufenden Spielbetrieb eine Mannschaft mit klaren Abläufen und einer funktionierenden Hierarchie zu formen.