Einfach ins Gesicht geschossen. Sigrid Hiltmann sagt die Wörter so, als könnte sie es immer noch nicht fassen. Sie sagt sie mehrfach. Jemand hat ihren Kater mit einem Gewehr oder einer Pistole schwer verletzt – zum zweiten Mal. Vor drei Jahren durchschlug das Projektil Georgys Zunge und Kiefer, jetzt traf ein Geschoss das Tier unterm rechten Auge. Die Kugel steckte hinterm zweiten Halswirbel. Mittlerweile konnte der Kater operiert werden. Hiltmann hat die Polizei eingeschaltet. Wie damals.
Es gibt Röntgenbilder, die zeigen Georgys Kopf und das Projektil. Der Tierarzt hat sie sofort machen lassen, als Sigrid Hiltmann mit dem Kater zu ihm kam. Blut rann aus einer Wunde unterm Auge. Das war am Freitag. Jetzt ist Georgy mit Medikamenten ruhiggestellt. Fressen kann er nicht. Der Kater wird über eine Sonde ernährt. Sein Zustand, sagt Hiltmann, ist momentan stabil. Die Burglesumerin hofft, dass das so bleibt. Und dass er nach dem Eingriff nicht doch noch erblindet. „Der Tierarzt“, sagt sie, „ist zuversichtlich.“
Sigrid Hiltmann ist etwas anderes: ratlos. Sie weiß nicht, was sie machen soll, um ihren Kater zu schützen. Wie vor drei Jahren, als Georgy zum ersten Mal angeschossen wurde. Damals wie heute hat sie Strafanzeige wegen des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz gestellt. Und damals wie heute Zettel verteilt: „Zur Warnung an andere Tierhalter. Schließlich haben viele Hunde und Katzen.“ Hiltmann wohnt in St. Magnus an Knoops Park. Sie sagt, dass alle in der Nachbarschaft Georgy kennen und es keine Probleme mit dem Kater gibt.
Projektil unterm Mikroskop
Als er zum ersten Mal schwer verletzt wurde, ging die Polizei von der Tat eines Katzenhassers aus. Kurz bevor es Georgy damals traf, war nämlich auf eine Katze geschossen worden. Auch sie musste operiert werden. Die Polizei verdächtigte seinerzeit einen 67-jährigen Mann, der wie Hiltmann in St. Magnus wohnt. Der Nordbremer war den Beamten aufgefallen, weil er an einer roten Ampel erst einen Autofahrer beschimpft, dann mit einer Kleinkaliberwaffe bedroht haben soll.
Auch das Bundeskriminalamt wurde eingeschaltet. Es untersuchte im Labor, ob das Projektil, das Georgy schwer verwundet hatte, aus der Waffe des 67-Jährigen abgefeuert worden war. Das Problem: Durch das Operationsbesteck des Tierarztes war die Kugel während des Eingriffs stark verformt worden. Gundmar Köster von der Polizeiinspektion Nord sagt, dass die Beamten jetzt in alle Richtungen ermitteln. Auch der Fall von damals soll noch einmal überprüft werden. Ob der Verdächtige vor drei Jahren verurteilt worden war und seine Waffe abgeben musste, kann der Polizeisprecher auf Anhieb nicht sagen.
Das weiß auch Sigrid Hiltmann nicht mit letzter Gewissheit. Sie weiß nur, dass sie nach ihrer ersten Anzeige nichts mehr von der Polizei gehört hat. Hiltmann glaubt, dass das Verfahren eingestellt wurde. Jetzt hofft sie, mit ihrem zweiten Strafantrag mehr Erfolg zu haben. Und dass derjenige, der auf ihren Kater geschossen hat, diesmal ermittelt wird. Wenn nicht, weiß sie nicht, was sie machen soll: Georgy zeitlebens im Haus behalten oder den Kater, wie er es gewohnt ist, ab und an nach draußen lassen?
Zustand einigermaßen stabil
Diese Frage hat sich Hiltmann inzwischen so oft gestellt, dass sie gar nicht mehr sagen kann, wie oft. Einerseits möchte sie, dass der Kater so lebt wie bisher. Anderseits aber nicht jeden Tag bangen müssen, ob Georgy angeschossen wird. Oder Gina. Hiltmann hat außer dem Kater noch eine Katze. Georgy ist fünf, Gina zwölf. Beide sind stundenweise im Freien. Der Unterschied: Während die Katze das Grundstück selten verlässt, ist das Revier des Katers größer.