Berne/Wesermarsch. Die Bundesrepublik Deutschland existiert nicht, ihre Rechtsordnung wird nicht anerkannt – das behaupten die sogenannten Reichsbürger. Mit dieser Begründung verweigern sie unter anderem die Zahlung von Steuern und Bußgeldern sowie die Befolgung von Gerichtsbeschlüssen und Verwaltungsentscheidungen. Sich zum „Reichsbürger“ zu erklären entbindet jedoch niemanden von seinen Pflichten als Staatsbürger, stellt Michael Heibült, Fachbereichsleiter im Rathaus Berne, klar.
In der Wesermarsch gibt es eine ganze Anzahl von Anhängern der Reichsbürgerbewegung, die üblicherweise davon ausgehen, dass das Deutsche Reich fortbesteht. Die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als legitimer und souveräner Staat wird bestritten. In Lemwerder sind nach Angaben von Bürgermeisterin Regina Neuke keine „Reichsbürger“ bekannt, in Berne gibt es nach den Erfahrungen von Michael Heibült allerdings mehrere. Die genaue Zahl möchte er nicht nennen. Laut Heibült handelt es sich bei den „Reichsbürgern“ häufiger um Zugezogene als um Einwohner, deren Familien seit Generationen in Berne leben. Im Rathaus fallen sie den Verwaltungsmitarbeitern immer wieder auf – „durch ihre Äußerungen und entsprechend verfasste Schriftstücke.“
Bundesweit sorgte ein Mitglied der selbst ernannten Reichsbürger für Schlagzeilen. Bei einer Razzia im Oktober 2016 im bayerischen Georgensgmünd hatte der Mann ohne Vorwarnung auf Polizisten geschossen. Drei Beamte wurden verletzt, ein vierter Polizist getötet. Gewalttätige Auseinandersetzungen mit sogenannten Reichsbürgern in der Region gab es indes nur wenige, hieß es jüngst in einem Medienbericht mit Hinweis auf den Pressesprecher der Polizeiinspektion Delmenhorst/Oldenburg-Land/Wesermarsch, Henrik Hackmann. „Im August 2017 kam es in Hatten zu einer solchen Situation. Bei der Unterstützung eines Gerichtsvollziehers wurde einer der Betroffenen handgreiflich gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten“, wird Hackmann zitiert. Die Polizei ist demnach häufiger im Einsatz, um Gerichtsvollzieher beim Eintreiben von Bußgeldern, Steuern und ähnlichen Abgaben zu unterstützen.
Eine gewisse „Grundaggressivität“ schreibt Heibült auch den Anhängern der Reichsbürgerbewegung in Berne zu. Die Rathaus-Mitarbeiter sind deshalb aufgefordert, ihnen mit „Achtsamkeit, Vorsicht und null Toleranz“ zu begegnen. Soll eine Verwaltungsentscheidung vollstreckt werden, sind die Mitarbeiter der Berner Verwaltung angehalten, mindestens zu zweit zu gehen. Was sie im Umgang mit den sogenannten Reichsbürgern sonst noch beachten sollten, wurde den Mitarbeitern der Rathäuser in einer vom Landkreis Wesermarsch organisierten Fortbildung vermittelt. Außerdem erhielten sie eine Handlungsanweisung für den Verwaltungsalltag. Demnach soll der Schriftwechsel mit sogenannten Reichsbürgern auf das absolut notwendige Mindestmaß beschränkt werden. „Insbesondere Widersprüche oder Ähnliches, in denen
die Rechtmäßigkeit der Bundesrepublik Deutschland angezweifelt wird, sind schlicht als unbegründet zurückzuweisen“, lautet eine der Empfehlungen. „Die Marschrichtung lautet null Toleranz“, ergänzt Heibült.
Typisch für die Anhänger der Reichsbürgerbewegung ist die Herstellung und der Gebrauch von selbst hergestellten Dokumenten, Führerscheinen oder Personenausweisen, schreibt der Verfassungsschutz Niedersachsen. Heibült kennt einen ähnlichen Fall aus Berne, in dem als Geburtsort das Großherzogtum Oldenburg in einem Antragsformular eingetragen wurde. Auch gebe es Fälle, in denen sich sogenannte Reichsbürger weigerten, ihren Personalausweis zu verlängern. In einem anderen Fall weigerte sich ein „Reichsbürger“, den Rundfunkbeitrag zu zahlen, seinen Hund oder wenigstens sich selbst beim Einwohnermeldeamt anzumelden. „Manche sind aber bereit, einen privatrechtlichen Vertrag mit der Gemeinde abzuschließen“, berichtet Heibült. „So etwas wird nicht beantwortet.“
Ähnlich wie die „Reichsbürger“, die den Staat nicht anerkennen, glauben die sogenannten Selbstverwalter, aus der Bundesrepublik austreten zu können. „Sie bedienen sich Argumentationsmustern der rechtsextremistischen Reichsideologie“, hat der niedersächsische Verfassungsschutz festgestellt. Ob sich jemand zum „Reichsbürger“ erklärt oder zum „Selbstverwalter“: Die demokratischen Spielregeln der Bundesrepublik sehen beides nicht vor. Derlei Erklärungen entbinden niemanden von den Pflichten als Staatsbürger. Heibült: „Man ist Teil der Gesellschaft und wird so behandelt.“
Wer seine Steuern oder den Rundfunkbeitrag nicht zahlt, muss daher mit einer Vollstreckung rechnen. In solchen Fällen droht laut Heibült die Androhung und Festsetzung von Zwanggeldern. Begeht jemand eine Ordnungswidrigkeit, werde die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Die Devise „null Toleranz“ gilt laut Heibült auch, wenn jemand versucht, ein Verfahren zur Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit anzustrengen und offenbar hofft, dass sie eben nicht festgestellt wird. Die Möglichkeit, die Staatsbürgerschaft feststellen zu lassen, wurde für Zweifelsfälle etwa als Folge der Verwerfungen des Zweiten Weltkriegs oder einer Adoption in oder aus dem Ausland geschaffen. Bei offensichtlich missbräuchlicher Inanspruchnahme der Regelung müssen die Behörden nach Angaben Heibülts nicht einmal reagieren. In Berne habe es einzelne solche Versuche gegeben.
Was die „Reichsbürger“ mit ihrem Verhalten bezwecken und warum sie den Ärger mit den Behörden riskieren, kann Heibült nach eigenen Angaben nicht erkennen. Er kennt auch Fälle, in denen sich die selbst erklärten „Reichsbürger“ offenbar selbst nicht ganz ernst nehmen. Als Beispiel berichtet Heibült von einem „Reichsbürger“, der Hartz IV bezog, aber den Forderungen der Arbeitsagentur nicht nachkam. Die Leistungen wurden gekürzt und er konnte die Miete nicht mehr zahlen. Als ihn der Vermieter vor die Tür setzte, wandte sich der „Reichsbürger“ an das Berner Rathaus mit der Bitte, ihm die Wohnung wieder zuzuweisen. In einem anderen Fall habe ein „Reichsbürger“, der die Existenz der Bundesrepublik Deutschland eigentlich verneint, Briefwahlunterlagen angefordert. Eine Logik kann Heibült nicht erkennen.
In Niedersachsen werden rund 1400 Menschen der Reichsbürger-Szene zugeordnet. „Es handelt sich nicht um ein einheitliches Phänomen mit gemeinsamer politischer Zielsetzung, sondern um eine heterogene Erscheinung“, heißt es in einer Stellungnahme des Innenministeriums aus dem vergangenen Sommer. Das Spektrum reiche von esoterisch geprägten Gruppierungen über völkisch-traditionalistische Gruppen bis zu rechtsextremistisch ausgerichteten Zusammenschlüssen. Rund 100 „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ werden demnach vom Verfassungsschutz beobachtet. Von diesen wiederum seien rund zehn Prozent als gewalttätig einzuschätzen.
Die Zahl der „Reichsbürger“ im Zuständigkeitsbereich der Polizeiinspektion Delmenhorst/Oldenburg-Land/Wesermarsch liegt nach Angaben von Polizeisprecher Henrik Hackmann „im oberen zweistelligen Bereich“. Örtliche Schwerpunkte seien nicht bekannt.