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Bremer Geistliche auf Lösungssuche Kirchenaustritte in der Region sprunghaft gestiegen

Das Bistum Osnabrück beklagt so viele Kirchenaustritte, wie seit 20 Jahren nicht mehr und anderswo sieht es nicht besser aus. Bremer Geistliche suchen nach Ursachen sowie Lösungen, gegen die Abwanderungsflut.
27.06.2020, 05:00 Uhr
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Von Benjamin Lassiwe und Maurice Arndt

Die Zahlen sind dramatisch: Rund 6000 Mitglieder hat die Bremische Evangelische Kirche im vergangenen Jahr verloren. Zum Stichtag 31.12.2019 gehörten insgesamt nur noch 182.000 Menschen zur Bremischen Evangelischen Kirche. Auch die Katholische Kirche verliert Mitglieder: Das Bistum Osnabrück, zu dem Bremen-Mitte gehört, zählte Ende 2019 noch 547 000 Katholiken. 5209 Menschen traten im vergangenen Jahr aus. So viele, wie seit mindestens 20 Jahren nicht mehr. Das Bistum Hildesheim, dem die Katholiken in Bremen-Nord angehören, hat 581.000 Katholiken – 1000 weniger als im Vorjahr. Das geht aus den aktuellen Statistiken zur Kirchenmitgliedschaft hervor, die beide großen Kirchen am Freitag veröffentlichten.

Damit bewegen sich die Nordwest-Kirchen im Bundes-Trend: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verlor 2019 rund zwei Prozent ihrer Gemeindemitglieder und zählt noch etwa 20,71 Millionen Mitglieder. Die ­Protestanten verzeichnen damit eine deut­liche Zunahme der Kirchenaustritte: Bun­desweit stieg die Zahl der Austritte um rund 22 Prozent. Die katholische Deutsche Bischofs­konferenz meldete am Freitag 22,6 Millionen ­Mitglieder. Gegenüber dem Vorjahr, als die Zahl noch bei 23 Millionen lag, entspricht das einem Rückgang von fast 400.000 Gläubigen.

Auslöser Missbrauchsskandal

Der Osnabrücker Generalvikar Theo Paul sprach von einer „sehr schmerzlichen Entwicklung“. Viele Menschen seien durch den Missbrauchsskandal tief erschüttert. Auch finanzielle Gründe könnten eine Rolle spielen, sagte Hildesheims Bischof Heiner Wilmer. Bremens Probst Bernhard Stecker machte den Missbrauchsskandal ebenfalls für den sprunghaften Anstieg der Austritte verantwortlich: „Ich bekomme das sehr deutlich mit, da die Austritte direkt bei uns im Atrium stattfinden. Die Missbräuche und unzureichende Aufklärung wurden oft als Gründe genannt.“

Die Bremische Evangelische Kirche bedauerte die Austritte. Zumal Corona gezeigt habe, dass die Kirche „inhaltlich und seelsorgerlich stark nachgefragt ist“, sagte Schriftführer Pastor Bernd Kuschnerus. Dass Kindertaufen nicht mehr Familientradition seien sowie der fortschreitende demografische Wandel könnten Gründe für die schwindenden Mitgliederzahlen sein. Die Kirche werde zu einer Institution, für die man sich bewusst entscheide. „Aber das hat auch positive Aspekte: Menschen, die zur Kirche kommen, tun dies aus Überzeugung“, sagte Kuschnerus.

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Was aber tun gegen den Mitgliederschwund? Die Kirche müsse ihr Handeln zielgerichtet auf die Menschen ausrichten, da man in einer Zeit lebe, in der sich Menschen aktiv für den Glauben entscheiden, forderte Bischof Wilmer. Das sieht auch Bremens Probst so: Man wolle die Bedürfnisse der Menschen verstehen und die Angebote danach ausrichten, sagte Bernhard Stecker. Konkret zeige sich das etwa im Umbau der St.-Bonifatius-Kirche zu einem Kindergarten.

„Trotz unseres sozialen Handelns motivieren wir eine Vielzahl von Menschen nicht mehr für das kirchliche Leben“, sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Limburgs Bischof Georg Bätzing, und forderte mutige Veränderungen. „Um Menschen künftig für den Glauben und die Kirche zu gewinnen, braucht es neben orientierender Kraft auch einen selbstkritischen Blick auf gewachsene Strukturen“, betonte der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Heinrich Bedford-Strohm. Die Gründe für die erhöhten Austrittszahlen will die Evangelische Kirche mit einer eigenen Studie ermitteln.

EKD rechnet mit 25 Prozent weniger Kirchensteuereinnahmen

Erschwert wird die Situation der Kirchen noch durch die Corona-Pandemie. Bundesweit rechnet die EKD mit bis zu 25 Prozent weniger Kirchensteuereinnahmen. Bei den Katholiken erwartet Bremens Probst Stecker ähnliche Zahlen. Langfristig – das wurde in der 2019 vorgestellten „Freiburger Studie“ klar – werden sich die Mitgliederzahlen beider Kirchen halbieren. Schuld ist nicht zuletzt die demografische Entwicklung: Jährlich sterben mehr Kirchenmitglieder als Menschen getauft werden. Doch die Forscher erklärten auch, dass man am Verhältnis von Eintritten und Austritten durchaus etwas ändern könne.

Danach sieht es derzeit freilich nicht aus. Das machte auch Probst Stecker deutlich: „Zuletzt haben die Austritte zwar abgenommen. Aber nicht, weil die Leute nicht wollten, sondern da sie aufgrund der Pandemie nicht konnten.“

Weniger Mitglieder bedeuten auch weniger Einnahmen. Das kann auf Dauer zum Problem werden, vor allem da auch hier Corona sein Übriges tut. „Unsere elf Kitas, die wir auch aus der Kirchensteuer finanzieren, wird das nicht treffen“, sagte Stecker. „Dafür müssen wir aber Abstriche bei Investitionen machen.“ Bei langfristig niedrigen Einnahmen könnten auch Beratungsangebote leiden.

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+++ Aktualisierung 29.06.2020: In einer vorherigen Version hatten wir geschrieben, dass 8000 Menschen der Bremischen Evangelischen Kirche den Rücken gekehrt haben. Tatsächlich verlor die Kirche 6000 Mitglieder bis zum Stichtag. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen. +++

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