In 30 Jahren wird aus einem Säugling ein erwachsener Mensch, wird ein junger Baum zum Schattenspender, wird ein hochmodernes elektronisches Gerät zu einer Kuriosität aus der Vergangenheit. 30 Jahre sind eine lange Zeit – aber nicht zu lang, um sich zurückzuerinnern oder vorauszudenken. Darauf zielt das Buch "Deutschland 2050 – Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird" der Journalisten Nick Reimer und Toralf Staud ab. Sie nutzen Prognosen, Studien und Gespräche mit Experten, um die Klimazukunft zu skizzieren. Anhand von vier Beispielen zeigt der WESER-KURIER, wie sich Bremen und das Umland darauf vorbereiten.
Starkregen flutet die Kanalnetze
Kein Entwässerungssystem könne so konzipiert werden, dass ein absoluter Schutz vor Überflutungen möglich sei, sagt Oliver Ladeur, Pressesprecher von Hansewasser. Deshalb müsse die These von Reimer und Staud – "Auf die Regenmengen, mit denen in Deutschland 2050 zu rechnen ist, sind die Abwassersysteme bei Weitem nicht vorbereitet" – differenziert betrachtet werden. Denn nicht nur die Kanäle, sondern das gesamte Starkregenmanagement inklusive der privaten Vorsorge sei wichtig, um trockene Keller zu gewährleisten.

Überflutete Straßen: Starkregen sorgt nicht nur massive Einschränkungen im Straßenverkehr, sondern kann auch das Kanalnetz überlasten.
Einerseits sei die Stadt Bremen mit ihrem 2300 Kilometer langen Kanalnetz gut auf Starkregen mit bis zu 23 Litern pro Quadratmeter pro Stunde vorbereitet. Automatisch würden Wasserstände gemessen und gesteuert, bei Bedarf in Regenüberlauf- und -rückhaltebecken gelenkt. Sind die Kanäle, die insgesamt 180.000 Kubikmeter Wasser fassen, und die Becken, die bis zu 100.000 Kubikmeter aufnehmen können, voll, werde der Regen in Bremer Gewässer umgeleitet, erläutert Ladeur. Und weil eben kein Kanalnetz vor Überflutungen absolut sicher schützen kann, haben Hansewasser und Umweltressort zusätzlich ein bundesweit einmaliges Starkregen-Vorsorgeportal entwickelt. Haus- und Grundstückseigentümer haben damit ebenso wie öffentliche Träger die Möglichkeit, sich über konkrete Gefahren und Schutzmaßnahmen zu informieren.
Zusätzlich werde der Ausbau des Kanalnetzes an den Klimawandel angepasst und seit mehr als zehn Jahren um etwa zehn Prozent erhöht. Wichtige Schnittstellen wie zum Beispiel die am Schwachhauser Ring würden mit besonderer Aufmerksamkeit untersucht. Wie viel Wasser muss dort zukünftig abgeführt werden – unter Berücksichtigung aller angrenzenden Kanäle und Seitenstraßen und der Starkregenprognosen? Ergebnis: Schwachhausen bekommt eine zusätzliche Hauptentwässerungsachse.
Der Straßenbelag wird weich
"Achtung Spurrinnen!" Solche Straßenschilder könnten im Jahr 2050 noch viel üblicher sein als heutzutage, davon gehen Reimer und Staud aus. Das größte Problem für die Straßen in Deutschland werde in Zukunft die Hitze sein: "Besonders gefährdet sind in heißen Sommern Betonfahrbahnen, wie sie vor allem in den 1980er-Jahren vielfach entstanden." Denn wenn es heiß wird, weicht die Fahrbahndecke auf, und die Spuren der darüberfahrenden Autos – und vor allem der Lkw – prägen sich ein. Im schlimmsten Fall kommt es zu Rissen und zum Blow-up, wenn der Belag aufbricht und sich hochwölbt. Im Sommer 2018 registrierte das Amt für Straßen und Verkehr in Bremen an mehreren Stellen hitzebedingte Straßenschäden und musste einzelne Abschnitte sperren.

Hitzeschäden auf der Autobahn: Hohe Temperaturen können zu Blow-ups führen, bei denen sich die Straßendecke wölbt.
Diese Entwicklung schreibt sich fort: "In den Jahren 2018/2019 und bedingt auch im Jahr 2020 wurden auf einzelnen Straßenabschnitten verstärkt Spurrinnen festgestellt. Grund dafür sind hohe Temperaturen", teilt die inzwischen zuständige Autobahn GmbH auf Anfrage mit. Eine objektive Auswertung der Auswirkungen von Temperaturänderungen auf das deutsche Autobahnnetz sei momentan noch nicht möglich, da der Zustand aktuell noch erfasst werde. Inzwischen werde aber bei der Vorbereitung von Bauarbeiten geprüft, ob es sinnvoll sei, eine hellere Asphaltdecke zu verwenden, um die Temperatur an der Oberfläche zu reduzieren: "Diese Aufhellung wird, aufgrund der allgemein zu erwartenden höheren Temperaturen, zukünftig voraussichtlich häufiger zum Einsatz kommen."
Heller Asphalt ist auf der A1-Weserbrücke in Bremen vor einem Jahr aufgebracht worden – die Erkenntnisse dazu dienen als Grundlage für ein gemeinsames Forschungsvorhaben des Bundesverkehrsministeriums und der Bundesanstalt für Straßenwesen, heißt es seitens der Autobahn GmbH. Der Bericht zu den Effekten der neuen Deckschicht sei jedoch noch nicht fertig. Die Auswertungen dieser Untersuchung und Ergebnisse aus mehreren Arbeitskreisen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen ließen "weitere Maßnahmen erwarten, die unsere Straßen noch resistenter gegen die sich ändernden Klimabedingungen werden lassen".
Hitzestress im Stall
„Bis 2050, zeigen Modellrechnungen des Deutschen Wetterdienstes, werden die Sommertage mit Hitzestress für Kühe vielerorts deutlich zunehmen – besonders an der Nordseeküste und in den Alpen, just jenen Regionen, in denen es viele Milchbauern gibt“, schreiben Reimer und Staud. Das ist gleich um die Ecke: Aus Niedersachsen stammen knapp 20 Prozent der deutschen Milch, die von rund 870.000 Kühen produziert werden, heißt es vom niedersächsischen Landwirtschaftsministerium.

Die Hitze und das liebe Vieh: Auch Landwirten und ihren Tieren macht die Hitze zu schaffen. Experten empfehlen, Kuhställe mit Ventilatoren zu kühlen.
Je mehr Milch eine Kuh gibt, desto schneller gerate sie in Hitzestress, erläutert die Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Ab etwa 24 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 70 Prozent müsse sie einiges tun, um ihre Körpertemperatur zu senken: Zum Beispiel frisst und produziert sie weniger und verdaut langsamer. "Bereits bei kurzfristigem Hitzestress sinkt die Milchleistung verbunden mit einem Abfall des Milchfett- und Milcheiweißgehaltes. Bei weiter ansteigenden Temperaturen verstärken sich diese Effekte deutlich." Auch die Fruchtbarkeit leide: "Gerade bei Tieren mit hoher Leistung und entsprechender Stoffwechselbelastung ist bei extremen Temperaturen durchaus zu überlegen, ob eine Besamung überhaupt Sinn macht." Denn dass die Kuh unter diesen Umständen trächtig werde, sei nur wenig wahrscheinlich.
Ventilatoren und Sprinkleranlagen können laut Landwirtschaftskammer helfen, um den Hitzestress im Stall zu reduzieren. Auf der Weide müssten Schattenplätze und mindestens zwei Tränken mit frischem Wasser vorhanden sein. Und wenn es viel zu warm wird, müssten die Tiere eben nachts nach draußen.
Mehr Arbeit für die Feuerwehr
Auch bei denen, die im Katastrophenfall ausrücken, werde sich einiges ändern, schreiben die "Deutschland 2050"-Autoren: "Wegen des Klimawandels muss die Feuerwehr nicht nur öfter ausrücken – zudem nehmen just solche Einsätze besonders stark zu, die lange andauern." Ein relevanter Anstieg der Einsatzzahlen aufgrund von Starkregen oder Sturm sei bislang nicht zu verzeichnen, teilt Christian Patzelt, Sprecher der Bremer Feuerwehr, mit. Doch die Anfragen aus anderen Städten wie zuletzt bei der Hochwasserkatastrophe nähmen spürbar zu. Mehrfach seien Bereitschaften zusammengestellt und zur Unterstützung angeboten worden, die dann im Ernstfall natürlich in der eigenen Stadt fehlten. Grundsätzlich stehe fest: Die Feuerwehr brauche mehr Personal.

Immer mehr Einsätze: Für Feuerwehrleute bedeuten die Folgen des Klimawandels ein Mehr an Einsätzen - was einen größeren Personalbedarf mit sich bringt.
Holger Leopold, Abteilungsleiter für Ausbildung und Katastrophenschutz, sieht die Bremer Kräfte mit Blick auf Sturm und Starkregen gut aufgestellt: "Wir bilden beispielsweise Motorkettensägenführer und Pumpenmaschinisten aus. In den Laufbahnlehrgängen lernen alle Einsatzkräfte den Umgang mit Tauchpumpen." Mit drei Rüstwagen, einem Kran, zwei Abrollcontainern mit Spezialgerät, Drehleitern und mobilen Pumpen sei die Feuerwehr gut ausgestattet, hinzu stünden an jedem Löschfahrzeug Kettensägen und verschiedene Pumpen zur Verfügung, erläutert Matthias Jacobi, stellvertretender Leiter des Bereichs Fahrzeuge und Gerätewesen.
Zudem würden auch die Freiwilligen Feuerwehren mit Sonderausrüstung für bestimmte Notfälle ausgestattet. Um etwa bei einem flächendeckenden Stromausfall die Energieversorgung zu sichern, gebe es nun zwei mobile Netzersatzanlagen. "Im Bereich Hochwasserschutz setzen wir künftig unter anderem auf zwei Wasserfördersysteme, die vornehmlich von den Freiwilligen Feuerwehren Schönebeck und Lehesterdeich in den Einsatz gebracht werden", sagt Jacobi. Und bei den Freiwilligen Feuerwehren Vegesack und Oberneuland stehe jeweils ein Feuerwehranhänger Hochwasserschutz bereit.