Ab dem 20. März könnte sich das Leben wieder ein bisschen so anfühlen wie früher. Früher meint dabei: so wie vor Corona. Bis zum 20. März sollen alle weitreichenden Corona-Maßnahmen gefallen sein. Werder spielt dann wieder in einem vollen Weserstadion. Voll werden auch die Tanzflächen in den Diskotheken sein. Und über die Bürgerweide schieben sich die Menschenmengen, wenn die Osterwiese steigt.
An solche Bilder muss man sich nach zwei Jahren mit fast leeren Tribünen, geschlossenen Clubtüren und abgesagten Vergnügungen erst einmal wieder gewöhnen. Aber es tut gut, diese Perspektive zu haben. Allerdings sollte diese Aussicht nicht zu Fehlschlüssen verleiten.
Der Begriff Freedom Day für den 20. März führt in die Irre. Abgesehen davon, dass diese Wortschöpfung für andere Ereignisse in der Geschichte reserviert bleiben sollte, suggeriert sie außerdem, dass nun bald wieder alles möglich sein wird. Aber die Freiheit, wie wir sie kannten, wird es ab dem 20. März noch nicht wieder geben können. Die Rückkehr der Einschränkungen ist unter Umständen nur eine Virusmutation entfernt.
Es ist trotzdem richtig, dass Verordnungen fallen. Weniger staatliche Vorgaben bedeuten mehr persönliche Freiheit, eine hohes, manche sagen, das höchste Gut. Aber damit verbunden ist auch eine Verpflichtung. Mehr persönliche Freiheit heißt auch mehr persönliche Verantwortung: fürs Ganze.
Eine zentrale Frage ist, wie es darum bei jedem Einzelnen bestellt ist. Wie viele von uns müssen Verantwortung wieder lernen, nachdem uns Corona-Verordnungen zwei Jahre lang die meisten Entscheidungen des Alltags abgenommen haben? Wann und wo wir Maske zu tragen hatten. Wann und wie oft wir uns zu testen hatten. Wann und wo wir uns mit wie vielen Menschen treffen durften. Das schreibt der Staat bald nicht mehr vor. Der Corona-Schutz, so formuliert es die „Berliner Zeitung“, wird stattdessen zur Privatsache.
Das Virus wird – anders als die meisten Regelungen – ab dem 20. März immer noch da sein. Experten gehen davon aus, dass im Herbst die nächste Infektionswelle droht. Dieses Wissen sollte Richtschnur für das Handeln jedes Einzelnen nach dem 20. März sein. Der Staat steht höchstens noch flankierend zur Seite: indem er weiterhin Impfangebote macht, Testkapazitäten bereitstellt und die Tests selbst kostenfrei hält.
Corona habe, so heißt es, bestehende Tendenzen verstärkt und verdeckte Missstände offengelegt. Übersetzt auf das gesellschaftliche Zusammenleben könnte man sagen: Während Corona ist sehr viel „Ich“ sicht- und hörbar geworden. Vor allem in den sogenannten sozialen Medien ist viel verdächtigt, bezichtigt und gebrüllt worden – irgendein Ich fühlte sich immer bevormundet, eingeschränkt oder gar verfolgt. Erstaunlich viele Ichs halten sich für schlauer als die Wissenschaftler – und als die Politiker sowieso.
Tatsächlich hat die Politik bei der Corona-Bekämpfung einiges falsch gemacht. Sie hat große Ziele verfehlt: Die Impfquote ist zu niedrig, eine allgemeine Impfpflicht fraglich. Fast folgerichtig muss es nun der hoffentlich mündige Bürger richten, als „Ich“ für das große „Wir“.
Ganz konkret heißt das: In den nächsten Monaten müssen genügend Menschen bereit sein, ihre Bedürfnisse im Zweifel zurückzustellen – und zwar freiwillig. Also die Maske je nach Situation doch tragen, auch wenn andere sie abnehmen. Einen Schnelltest doch zu machen, auch wenn es der Kinobetreiber nicht mehr verlangt, man selbst bei diesem Kratzen im Hals aber kein gutes Gefühl hat.
Es wird Menschen geben, für die es trotz zweier erschöpfender Jahre keine Frage ist, auch nach dem 20. März umsichtig zu bleiben. Sie haben mitbekommen, wie Pflegekräfte und Ärzteteams in der Pandemie schuften und wie Kinder ohne Schule, ohne Sport und ohne Freunde gelitten haben. Für sie ist klar: Ich muss nicht alles, was ich jetzt wieder darf, auch unbedingt tun.
Am Ende ist die Rechnung vermutlich ganz einfach: Je kleiner die Gruppe der Sorglosen und der Bequemen, der Gedankenlosen und der Unbelehrbaren, desto größer die Chance auf ein dauerhaftes Ende der staatlich verordneten Corona-Maßnahmen.