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Bremer Schriftsteller Rudolf Lorenzen Umjubelt und fast vergessen

Eigentlich wäre es an der Zeit für eine Wiederentdeckung von Rudolf Lorenzen. Sein Debütroman wurde gefeiert, sein Werk gilt als herausragend. Doch er selbst erntete keinen Ruhm.
04.02.2022, 13:46 Uhr
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Umjubelt und fast vergessen
Von Simon Wilke

Wo immer man über ihn liest, der Tenor ist der gleiche – egal, ob bei der Kulturjournalistin der "Tageszeitung" oder in der "Neuen Zürcher Zeitung", "Frankfurter Allemeine Zeitung" oder "Der Spiegel": Rudolf Lorenzen war ein Schriftsteller, der völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Und hätte nicht Günther Grass im Jahr 1959 seine alles überstrahlende "Blechtrommel" veröffentlicht so wie Lorenzen seinen autobiografisch gefärbten Debütroman "Alles andere als ein Held", vielleicht wäre es tatsächlich ganz anders gekommen. Vielleicht wäre sein Werk dann ein selbstverständlicher Teil des deutschen Literaturkanons geworden.

Rudolf Lorenzen wurde in Lübeck geboren und wuchs in Bremen auf. Er wurde zur Wehrmacht eingezogen, schuftete in sowjetischer Kriegsgefangenschaft im Bergbau, aber er überlebte. Er studierte Grafik, ging in die Werbebranche und zog 1955 nach Berlin, wo er, was ihn selbst ein wenig überraschte, zum Schriftsteller wurde. Von seiner späteren Frau dazu überredet überhaupt teilzunehmen, hatte er mit seiner Arbeiter-Erzählung "Der junge Mohwinkel" im Sommer 1957 einen Schreibwettbewerb der "Süddeutschen Zeitung" gewonnen. Aus diesem Material formte er schließlich auch seinen Debütroman. Lorenzen schrieb Romane, Kurzgeschichten und Erzählungen, arbeitete für Zeitungen, verfasste Hörspiele und Drehbücher. 2013 ist er im Alter von 91 Jahren gestorben.

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Es ist nicht so, dass sein Talent und Können nie erkannt worden wären. Zum Treffen der Gruppe 47, jener einflussreichen Literaten, die den Kulturbetrieb der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend mitprägten, wurde er 1960 geladen. Der Schriftsteller und Publizist Sebastian Haffner überlegte 1965 in "Konkret" gar, ob "Alles andere als ein Held" "nicht der beste Roman irgendeines heute lebenden deutsch-schreibenden Autors ist". Wie Lorenzen persönlich zu diesen Ehrungen stand, ist nicht überliefert. Aber man weiß, dass er die Einladung der Gruppe 47 ausschlug. Seine Begründung: "Ich brauche keine Gruppe. Ich brauche keine Kritik von Kollegen. Ich bin immer Einzelgänger gewesen. Aus Überzeugung, ja." Den ausbleibenden Ruhm ertrug er, denn als Schriftsteller sah er sich ohnehin nie, wie er einmal dem "Tagesspiegel" verriet – "dafür bin ich nicht gebildet genug".

Das Wegducken kultiviert

Er schrieb ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten oder Zeitgeist. Für "Alles andere als ein Held" mit dem Protagonisten Robert Mohwinkel hatte er sich die eigene Biografie bis kurz nach Kriegsende zur Vorlage genommen. Lorenzen hat diesen Mohwinkel das Wegducken kultivieren lassen. Eine Eigenschaft, die ihn zwar den Zweiten Weltkrieg überleben lässt, im Kriegs- und Nachkriegs-Deutschland aber verhasst war. "Alles hatten die Deutschen gelernt: die Riesenwelle am Reck und das Singen unter der Gasmaske, die Fahnen zu grüßen und hundert Meter in elf Sekunden zu laufen", heißt es im Roman. "Aber sie hatten nicht gelernt, ohne Ordnung und ohne Befehl zu sein, sie hatten versäumt, hungern zu lernen, Zusammenbrüche zu ertragen und als erniedrigter Mensch trotzdem anständig weiterzuleben."

Zeilen wie diese brachten diejenigen zum Schäumen, die sich angesprochen fühlten. In den BREMER NACHRICHTEN hieß es zum Erscheinen, im Roman fehle „hanseatische Haltung und Würde". Und, noch schlimmer: „Es ekelt einen, daß der Name unserer Stadt für diese miserable, literarisch undiskutierbare Lebensschilderung eines 'jungen Deutschen unserer Zeit' bemüht wird".

"Ich wollte dabei sein"

Lorenzen wird das achselzuckend hingenommen haben. Seine Werke waren immer auch Spiegel der deutschen Geschichte. Der "Tageszeitung" verriet er einmal, wie er selbst im Krieg bei der Exekution von Partisanen zugesehen habe. „Ich wollte dabei sein, ich wollte wissen, was da passiert“, sagte er. Denn: „Auch die Grausamkeit muss man im Detail wissen. Sonst kann man sie nicht erzählen." Und realistisch erzählen, das hat er immer getan.

Mittlerweile sind Lorenzens Werke im Berliner Verbrecher-Verlag veröffentlicht, die Pressestimmen dazu loben ihn als einen Großen seiner Zunft. Am 5. Februar wäre Rudolf Lorenzen 100 Jahre alt geworden. Eine gute Gelegenheit eigentlich für seine Wiederentdeckung.

Info

Rudolf Lorenzen: Alles andere als ein Held. Verbrecher-Verlag, Berlin. 704 Seiten, 32 €.

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