Für die einen ist Fußball ein proletarischer Sport, bei dem 22 Menschen einem Ball hinterherrennen. Für andere ist er Leidenschaft, ist er Poesie. Wieder andere können sich für die handwerklichen Fähigkeiten und Tugenden, die im Fußball wichtig sind, begeistern und machen ihn zum Inhalt von Gedichten und Erzählungen. Einer dieser Schriftsteller ist Günter Grass.
Er mochte den Sport, ohne sich als großer Kenner hervorzutun, und äußerte dennoch stets sein Unbehagen, wenn ihm Entwicklungen in der Welt rund um den Ball missfielen. So sei der Profifußball der Männer "hoch dotierte Sklaverei". Er hielt aber auch mit Lob nicht zurück, wenn ihn etwas faszinierte. Beispielsweise die Arbeit Jürgen Klinsmanns, als dieser als Bundestrainer die deutsche Nationalmannschaft ins Halbfinale der Weltmeisterschaft 2006 führte.
Deutsch-deutscher Konflikt im Inneren
Die Ausstellung "Günter Grass – mein Fußballjahrhundert" in der Unteren Rathaushalle legt noch bis Sonntag die Beziehung zwischen Grass und dem Fußball offen. Sie zeigt den Schriftsteller als Befürworter des Frauenfußballs. Günter Grass als Verfechter der kleinen Teams, der sogenannten Underdogs, wie dem FC St. Pauli oder dem SC Freiburg. Auch mit Werder Bremen sympathisierte er und schaute regelmäßig Spiele an der Weser. Neben Zitat- und Informationstafeln belegen Audio- und Videoausschnitte an den einzelnen Stationen der Ausstellung Grass' Verhältnis zum Fußball.

Günter Grass stand im regen Austausch mit dem ehemaligen Werder-Manager Wilfried "Willi" Lemke.
Ursprünglich ist die Ausstellung von Philipp Bürger kuratiert und erstmals 2020 im Deutschen Fußballmuseum präsentiert worden. Ausgangspunkt ist das Werk "Mein Jahrhundert" von Günter Grass, in dem drei Erzählungen über den Fußball vorkommen: dem Finale um die erste Deutsche Meisterschaft 1903, dem Endspiel der WM 1954 und der deutsch-deutschen Partie in der Vorrunde der WM 1974 in Hamburg.
Die Erzählungen liegen als Manuskripte, teils sogar handschriftlich in der Rathaushalle aus. In den drei Stücken setzt sich Grass mit der Historie und kritisch mit der Geldmaschinerie Fußball sowie der Zweiteilung Deutschlands auseinander. Einer seiner Protagonisten ist ein DDR-Spion, der wenige Monate zuvor enttarnt wurde. An den Stationen, die sich zeitlich an ausgewählten Weltmeisterschaften ausrichten, können sich Besucher und Besucherinnen auch Lesungen der Grass'schen Fußballgeschichten anschauen. Er selbst trägt sie vor – das klingt eher zäh als euphorisch.
Weitaus frischer wirken die Interviews mit ehemaligen Weggefährten, Fußballfunktionärinnen und Familienmitgliedern. Grass' Sohn Bruno spricht über das Fußballinteresse seines Vaters, und die ehemalige Bundestrainerin der Frauennationalmannschaft, Steffi Jones, diskutiert posthum mit dem Schriftsteller über "männliche" und "weibliche" Eigenschaften eines Spielers.
In manchen Gesprächen wirkt Grass allerdings wie eine Randfigur. Auch an manch einer Ausstellungstafel ist es eher die Fußballhistorie, die Interessierte in den Bann zieht, als ein hinzugefügter Grass-Kommentar. Daher stellt sich gelegentlich die Frage, ob der Bezug des Schriftstellers eine komplette Ausstellung zum Fußball rechtfertigt. Weder ist seine Haltung zum Sport sonderlich originell noch sind seine literarischen Fußballreferenzen üppig.
Es fehlt das Licht
Leider erschweren die Räumlichkeiten der Unteren Rathaushalle den Zugang zu Grass' Freude am Fußball. Bemüht man den sporttypischen Jargon, könnte man sagen, dass in dem dunklen Raum die wenigen Exponate gut gedeckt sind. Außerdem wirkt der Säulengang wie eine Trennung zweier Ausstellungen. Die Schwelle, nach der ersten Hälfte abzubrechen, ist niedrig, zumal die Stationen nicht chronologisch geordnet sind.

Die Holzfiguren an den Ausstellungsstationen sind ehemaligen Nationalspielern wie Paul Breitner und Gerd Müller nachempfunden.
Wer erst die linke und anschließend die rechte Seite des Gangs ablaufen möchte, springt von der Meisterschaft 1903 direkt in die Wendezeit, um am Ende der Ausstellung beim Endspiel der WM '54 und bei einem Gespräch mit dem langjährigen Freiburg-Coach Volker Finke zu landen. Der historische Einblick in den deutschen Fußball, den die Ausstellung bietet, ist für Fans sicherlich interessant. Grass' Fußballjahrhundert ist es nur bedingt, denn es könnte auch das vieler anderer sein.