Ein Leben kann man auf vielerlei Arten erzählen: als chronologische Linie, aufgeladen mit vielen Details beispielsweise. Das wäre eine lange Geschichte, die manchmal vielleicht auch langatmig ist. Das Paula Modersohn-Becker-Museum dagegen setzt beim Eintauchen in Werk und Biografie seiner Namensgeberin erneut auf ein bereits im vergangenen Jahr erprobtes Format, dessen Titel aus der Literatur entlehnt wurde: "Short Stories" – Kurzgeschichten. Ging es 2024 um, natürlich, Worpswede, und außerdem um New York und Bernhard Hoetger, lassen sich die neuen Kurzgeschichten grundsätzlicher an.
Man könnte auch sagen: Wer bisher eher wenig weiß über Paula Modersohn-Becker, bekommt hier einen Crashkurs. Alle anderen können sich von den Schwerpunkten in den acht Räumen zu einer neuerlichen Beschäftigung mit ihrem Leben und Werk anregen lassen, Fragen stellen, Antworten suchen. Ein Vorteil: Derzeit sei kaum ein Werk ausgeliehen, von daher konnte das Museum aus dem Vollen schöpfen, so Direktor Frank Schmidt beim Presserundgang.
Paris, Paris, Paris: Gleich im ersten Raum sind die "großen, wichtigen Bilder" (Frank Schmidt) zu sehen, die die Künstlerin während ihres vierten Aufenthalts 1906 in der französischen Hauptstadt gemalt hat, darunter das Porträt von Rainer Maria Rilke und die großformatige "Liegende Mutter mit Kind". Modersohn-Becker hatte ihre endgültige künstlerische Sprache gefunden, sich in den Porträts vom Abbildhaften entfernt und auf die Form konzentriert. Der zweite Raum zeigt ihren ersten Aus- und Aufbruch. Sieben Jahre zuvor hatte sich Modersohn-Becker das erste Mal "den Bremer Staub von den Füßen" geschüttelt, exakt an Silvester 1899. Zu sehen sind die Bilder, die Gustav Pauli von ihr in der Kunsthalle zeigte – und die sie nach ablehnenden Reaktionen sofort wieder abhängte und abholte. Und danach abreiste. Diesen stark geometrisch definierten Landschaftsaufnahmen sind Bilder der damals pompös-dekorativen Malweise gegenübergestellt, denen sich ihr Kritiker, der selbst deklarierte "Malerfürst" Arthur Fitger, verpflichtet sah.
Worpswede, Wirkung, Technik: 1903 kehrt Paula Modersohn-Becker zurück nach Worpswede und versucht erneut, den Menschen dort mit eindringlichen Porträts nahe zu kommen. Im dritten Raum findet sich eine Auswahl ganz früh entstandener und später Werke, darunter "Die alte Armenhäuslerin" oder das "Mädchen im Birkenwald mit Katze", das exemplarisch dafür steht, wie Menschen nicht mehr als Teil der Landschaft dargestellt werden, sondern mit ihr verschmelzen. Dieses Erkunden des Unkonventionellen fasziniert bis heute in aller Welt, zuletzt in den beiden großen Ausstellungen in New York und Chicago in 2024. Dieser Wirkungsgeschichte ihrer 750 Bilder und 600 Zeichnungen und der damit verbundenen Stiftung ist der nächste Raum gewidmet.
Einen Saal weiter kann man sich mit den Techniken bekannt machen, die Paula Modersohn-Becker für ihre Zeichnungen und Gemälde verwendet hat, die zum großen Teil übrigens nicht auf Leinwand, sondern auf behandelter Pappe entstanden sind. Es gibt Vorstudien und Skizzen zu sehen, unter anderem von "Elisabeth zwischen Feuerlilien" (1907), das zunächst gar nicht als Hoch-, sondern als Querformat gedacht war.
Ein Bild als Star: "Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag" gilt als das bekannteste Bild der Malerin, doch so eindeutig wie sein Motiv und sein Titel es zunächst vermuten lassen, ist es mitnichten. Diesem ikonischen Gemälde, bei dem Modersohn-Becker den Betrachter als Spiegel adressiert, und den diversen Fragen, die es aufwirft, sind zwei Räume gewidmet. Mutterschaft, Ehe, Selbstbestimmung, Selbstbetrachtung und Selbstbewusstsein sind einige Aspekte. Die originale Bernstein-Halskette, die die Künstlerin auf dem Bild trägt, ist in einer Vitrine verwahrt. Ausgestellt wurde da Bild übrigens zum ersten Mal lange nach Modersohn-Beckers Tod, im Jahr 1922.
Die Woche einer Künstlerin: Was macht man als Künstlerin in Paris eigentlich den ganzen Tag? In der obersten Etage des Museums hängen Aktstudien aus der Académie Colarossi, Zeichnungen, die Modersohn-Becker von antiken Skulpturen im Louvre anfertigte und Eindrücke, die ihre Streifzüge durch die Straßen dokumentieren. Dem gegenüber stehen ihre Lehr- und Meisterjahre in Worpswede.
Eine Story fehlt noch: Ende September kommt noch eine Kurzgeschichte hinzu. Sie wird von Rainer Maria Rilke handeln, dessen 150. Geburtstag am 4. Dezember gefeiert wird. Im nächsten Jahr wird dann an seinen 100. Todestag erinnert.