Herr Brocki, können Sie auf Anhieb die Filme nennen, die im vergangenen Vierteljahrhundert in Ihren Kinos am erfolgreichsten waren?
Manfred Brocki: Mir fällt spontan "Die fabelhafte Welt der Amélie" von 2002 ein. Und "Ziemlich beste Freunde" ist 2011 ebenfalls richtig toll gelaufen. Das waren auch echte Höhepunkte des französischen Komödienkinos. Mein persönlicher Favorit in dieser Zeit war Quentin Tarantinos jüngster Film, "Once Upon A Time in Hollywood" von 2019 – einfach großartig.
Wenn Sie die Kinolandschaft heute mit der vor 25 Jahren vergleichen, was hat sich geändert?
Es war damals genau die Zeit, in der in Bremen die Multiplexe loslegten und viele kleinere Kinos verschwanden. Die ersten anderthalb Jahrzehnte konnten wir uns noch stärker als Filmkunsttheater profilieren. Damals waren die Genres zwischen den Kinos viel mehr aufgeteilt, auch unter den Multiplexen. Nicht jedes Kino hat alles gespielt. Einen Film wie "Konklave" hätten wir früher allein gehabt, jetzt zeigen ihn auch alle drei Multiplexe, und das ist viel zu viel. Sogar "Der Buchleser" läuft überall. Das macht uns etwas Sorge.
Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Sie ist eine Folge der Digitalisierung vor zehn Jahren. Jetzt ist es normal, dass die Filme mit 800, 900 Kopien rauskommen. Wer die Hand hebt, darf spielen. Zu Zeiten des analogen Films waren Kopien viel teurer, dadurch gab es die erwähnte Profilierung der einzelnen Kinos. Das Stern-Kino in der Knochenhauerstraße etwa zeigte die Ballerfilme, das UT am Bahnhof Anspruchsvolleres, da habe ich zum Beispiel "Der mit dem Wolf tanzt" gesehen und mich geärgert, dass ich den nicht gekriegt habe. Wie übrigens auch bei "Robin Hood", ich stehe auf Kevin Costner. Aber so ein Film lief dann eben nur dort. Auch die Verleihfirmen waren stärker spezialisiert.
Wie verlief denn die Einführung der digitalen Vorführgeräte?
Man musste pro Saal 80.000 Euro investieren, das ist eine Menge Holz. Ansonsten lief es überraschend problemlos, die Leute habe es kaum gemerkt. Pro Saal brauchten wir nur ein, zwei Tage für den Umbau; neue Leinwände, neue Fenster am Vorführraum, alles musste auf den Zentimeter genau ausgemessen werden.
Was hat sich danach außer der breiteren Streuung der Filmprogramme geändert?
Den Beruf des Filmvorführers gab es von einem auf den anderen Tag nicht mehr; da hatten wir auch etwas Stress. Aber was sollte der Vorführer noch tun? Der Film wird seither vom Schaltpult an der Theke gestartet, der Beginn aller Vorstellungen kann auf die Minute im Voraus programmiert werden, es müssen keine Filmrollen gewechselt, keine anfällige Technik betreut werden. Nicht mal die Bildschärfe muss man mehr nachregulieren. Es wird auch kein Filmstreifen mehr mit jedem Durchlauf schlechter. Inzwischen zieht schon die zweite Digitalgeneration ein, die Laserprojektion, noch schärfer in der Auflösung und energiesparender, da werden nicht mal mehr die Geräte heiß.
Hat das die Kosten reduziert?
Die Kosten sind trotz Digitalisierung nicht geringer geworden. Die günstigsten Verleiher nehmen 47,7 Prozent vom Ticketpreis, 50 Prozent ist inzwischen der Standard, und die großen liegen schon bei 53 Prozent. Darum wird der Kinobesuch teurer. Und der Kinobetreiber ist ähnlich wie ein Tankstellenpächter auf Zusatzeinnahmen durch den Cafébetrieb angewiesen, in der Gondel macht das schon 45 Prozent des Umsatzes aus. Kino allein funktioniert nicht mehr.
Wenn wir auf das Programm seit dem Jahr 2000 schauen: Das neue Jahrtausend begann mit "Gladiator" und "Der Herr der Ringe"-Trilogie. Es gab dann die "Harry Potter" und "Tribute von Panem"-Reihen, die Marvel-Verfilmungen, die Pixar-Animationsfilme, Daniel Craig als James Bond, und mit "Brokeback Mountain" kam 2005 auch der schwule Film im Mainstream an. Fast alles davon lief auch bei Ihnen. Was konnten Sie nicht zeigen?
"Gladiator" nicht, die "Bourne"-Trilogie nicht, obwohl ich die sehr gut finde, "Findet Nemo" auch nicht. Disney ist immer schwierig, denn die möchten alle Vorstellungen reservieren, also Kinderfilme auch abends spielen. "Avatar" hätten wir gebracht, wenn wir die 3-D-Technik gehabt hätten. Im Nachhinein aber war es ganz schlau, darauf zu verzichten. Denn viele 3-D-Filme, die danach kamen, waren technisch schlechter, die Zuschauer sind wieder lieber in die 2-D-Aufführungen gegangen. Und der Aufwand mit den Projektoren und Brillen ist so groß, dass die drei Euro Ticketaufschlag gerade so eben reichen. Das ist kein gutes Geschäft. Aktuell gibt es überhaupt keine 3-D-Filme.
Wie kritisch blicken Sie auf die Entwicklung des Kinos?
Seit ich 15 Jahre alt bin, gehe ich drei-, viermal die Woche ins Kino. Bis heute. Aber die vielen Aufgüsse erfolgreicher französischer Komödien haben meine Liebe zum Film etwas untergraben. Alain Delon, Michel Piccoli, Catherine Deneuve – die haben selbst mäßige Filme geadelt. Als älterer Mensch muss man vorsichtig sein, dass man die Vergangenheit nicht verklärt. Doch wenn ich heute bei Netflix in die Serien schaue, denke ich oft: Was sind das für Gesichter? Die sehen alle gleich aus. Es gibt weniger Persönlichkeiten, glaube ich, auch im deutschen Film.
Ein starker Einschnitt war die Corona-Pandemie. Wie hat sie sich ausgewirkt?
Uns ging es richtig gut. 2019 war ein Superjahr, das werden wir nie wieder erleben, und dann brach 2020 alles zusammen. Das war eine harte Nummer. Ich habe den bereits durchgeplanten Umbau der Schauburg abgesagt, was im Nachhinein betrachtet ein Fehler war. Coronahilfen und Kurzarbeitergeld haben uns geholfen, sodass wir die Zeit schadlos überstanden haben. Das Problem waren am Ende die Besucherzahlen. In der Gondel sind uns die Zuschauer weggebrochen. Das Publikum war im Durchschnitt 70 Jahre alt, das Kino nachmittags oft besser besucht als am Abend. Aber viele sind nach Corona nicht zurückgekehrt. Inzwischen sind wir fast wieder bei den alten Zahlen. 2024 wird das beste Jahr seit 2019 werden.
Gibt es denn wieder ein Stammpublikum?
Es sind viele junge Leute nachgekommen. Hier in der Schauburg gehen viele vor dem Kinobesuch oft noch gern in der Bar-Tabac was trinken. Wir haben in Bremen – das sehe ich auch an meinen Kindern – viele Menschen, die gut Englisch sprechen und gern die Originalfassungen mit Untertiteln besuchen. Noch ein Vorteil der Digitalisierung ist ja, dass wir heute problemlos alle möglichen Untertitel einblenden können.
Viele Kinoserien wie die Marvel-Verfilmungen oder "Planet der Affen" scheinen auserzählt zu sein. Wohin geht die Reise in den nächsten 25 Jahren?
Da wage ich keine Prognose. Ganz sicher kann man sagen: Das reine Intellektuellenkino wie in den 60er- und 70er-Jahren funktioniert nicht mehr. Die Menschen möchten aktuell, durchaus auf gutem Niveau, unterhalten werden. Was immer geht, sind alte Familientraditionen: Unsere Silvestervorstellung von "Ronja Räubertochter" war wie jedes Jahr schon frühzeitig ausverkauft.