Die Bremer Philharmoniker haben die schöne Tradition etabliert, nicht einfach nach dem letzten Konzert der Saison in die Sommerfrische zu entschwinden. Sie verabschieden sich seit Jahren von ihrem Publikum mit einer Vorschau: Musikalische Appetithappen, die hungrig machen auf die nächste Spielzeit.
So war es auch am Sonnabendmorgen in der sehr gut gefüllten Glocke – alles ist lockerer als sonst, die Kleidung im Saal und auf der Bühne sommerlich-leger, der Eintritt frei. Sowieso ist die Saisonvorschau immer auch Saisonvor-Show. Dieses Mal nicht nur mit dem Hinweis auf eine ganz besondere Spielzeit zum 200. Jubiläum des Orchesters. Sondern auch mit einem Debütanten: Guido Gärtner, seit März Intendant, moderierte mit Generalmusikdirektor Marko Letonja, und skizzierte den Charakter der Werke; Anekdoten - oder für die Freunde des Neudeutschen: Fun Facts - inklusive.
Gruß in die Ukraine
Sieben knackige Ausschnitte quer durch die Programme der zwölf Philharmonischen Konzerte musizierte das Orchester in den 75 Minuten. Den Auftakt machte ein Ausflug ins sechste Konzert ("In Feierlaune", 3. Februar 2025), der gleichzeitig ein Gruß in die Ukraine war: "Das große Tor von Kiew" aus den "Bildern einer Ausstellung" von Modest Mussorgsky, in der Orchesterfassung von Maurice Ravel. Langsam, getragen, mit majestätischem Glanz ließ Letonja spielen, mit eindrucksvoll austariertem Crescendo zum Finale. "Wir senden damit eine kleine Botschaft des Friedens und der Menschlichkeit gen Kiew", sagte Guido Gärtner. Und wies auf den utopischen Charakter des Stücks hin: Das große Tor wurde geplant, aber nie gebaut.
Weiter ging's mit einem zügig und frisch auftrumpfenden Ausschnitt aus dem ersten Satz der "Eroica", so der Beiname der dritten Sinfonie Ludwig van Beethovens, die im fünften Konzert ("Jubelklänge", 13. Januar 2025) zu hören sein wird. Weg vom Pathos, hin zu tänzerischen Klängen und einem Spezialisten für den Dreivierteltakt. Nein, damit sei nicht Johann Strauß gemeint, so Gärtner schelmisch. Zu hören war Pjotr Tschaikowskys Walzer aus der "Schicksals"-Symphonie Nr. 5 aus dem zehnten Konzert ("Ein Fest für Neues", 11. Mai 2025). Sehr schön ließ Letonja das sich wiederholende Hauptmotiv durch alle Instrumentengruppen wandern, das Schwelgen im Tänzerischen wurde nur gestreift vom dräuenden Schicksalsmotiv, das sich durch alle Sätze zieht.
Nach diesen Klassikhits aus dem 19. Jahrhundert widmeten sich Philharmoniker moderneren Klängen mit "The unanswered Question" des "komponierenden Versicherungsvertreters Charles Ives", so Gärtner, einem Stück sozusagen philosophischer Programmmusik ("Geburtstagskinder on Stage", 17. November). Es geht um die Frage nach dem Sinn des Seins, die Streicher, Trompete und Holzbläser auf unterschiedliche Weise miteinander verhandeln. Über dem Flirren der Streicher ließ der neue Solotrompeter des Orchesters, Roman Lemmel, vom Rang aus sein Instrument fordernd strahlen.
Dass sich die Philharmoniker unter Letonja von dem mindestens als verrätselt geltenden Werk Dmitri Schostakowitschs nicht kirre machen lassen, ist mittlerweile klar – und war im wuchtig gegebenen Ausschnitt aus dem ersten Satz der 5. Sinfonie erneut erkennbar. Komplett zu hören im neunten Konzert ("High Five", 31. März 2025). Nachdem Sopranistin Sarah Jane Brandon aus dem Musiktheaterensemble des Theaters gemeinsam mit dem Orchester dem Publikum ein wunderbar wehmütiges und dunkel-warmes "Im Abendrot" aus den "Letzten Liedern" von Richard Strauss ("Hommage an den großen Klang", 22. September) kredenzt hatte, war fast Schluss.
Doch so verträumt wollten Gärtner und Letonja das Publikum nicht entlassen. Und so fragte Letonja Schlagwerkerin Pao Hsuan Tseng, wie viele Takte sie im letzten Stück eigentlich spielen müsse, und ob sie überhaupt mitzähle. 340, lautete die Antwort, aber sie halte sich eher an rhythmische Muster. Die Schlagwerker haben in Maurice Ravels "Boléro" eben einiges zu tun, um die hypnotische Magie dieses Werks bis zum fulminanten Höhepunkt in Gang zu halten. Ein grandioser Schlussakkord, belohnt mit Jubel.