So ein Jüngstes Gericht ist eine heftige Sache, das weiß jeder Posaunenengel, da ist es gut, wenn im Endzeitgeschehen ein erfahrener Mann an der Tuba das Wort führt. Bei den Bremer Philharmonikern hat das 36 Jahre lang Ernst Haake getan (im Programmheft etwas vorschnell als "N.N." geführt) – mit der Aufführung von Gustav Mahlers "Auferstehungssinfonie" verabschiedete er sich jetzt machtvoll in den Ruhestand. Generalmusikdirektor Marko Letonja überreichte ihm am Konzertende in der Glocke – dem Instrument angemessen – "die größte Flasche, die ich finden konnte", was nicht nur im eh schon euphorisierten Publikum Heiterkeit auslöste, sondern den Himmelssturm dieser 2. Sinfonie auch wieder auf den Boden der Normalität zurückführte.
Denn dieses 1894 vollendete Werk mit seinem ausufernden Finale hat ja etwas Hybrides, etwas rasend Übersteigertes. Der Komponist arbeitet sich an Tod und Vergänglichkeit, am Wirrsal der Zeiten ab und findet nur mit höchster Anstrengung Trost in einem wenig greifbaren Naturglauben. Allerdings: Im Hadern mit einer immer ungewisseren Welt findet sich auch unsere moderne Zeit wieder, das macht Mahlers ungebrochene Popularität aus.
Marko Letonja bot dazu passend eine geerdete, atmosphärische Interpretation. "Der Mensch lebt in größter Not, der Mensch lebt in größter Pein, je lieber möcht’ ich im Himmel sein", wie es im vierten Satz heißt, darum geht es ihm. Letonja verfällt nicht in emphatische Extreme wie Leonard Bernstein, nicht in die schneidige Präzision eines Georg Solti, eher schon pflegt er die klanglich warme Transparenz eines Claudio Abbado. Alles ist im Fluss, alles liegt so klar zutage wie in einer Mozart-Sinfonie.
Die Bremer Philharmoniker hat sich Letonja längst zu Meistererzählern erzogen, die alle Zwischentöne kennen. Den ersten Satz gestalten sie – das punktierte Motiv scharf artikulierend – als Zustand höchster Erregung, mit Aufschreien und gewaltigen Entladungen. So wehmütig die Bläser mitunter klingen, so sehr liegen die Streicher auf der Lauer. Man spürt die ganze Zeit: Da liegt Düsteres in der Luft.
Auch der terzenselige Ländler erhält hier einen Trauerflor, atemlos geht es nun weiter. Der dritte Satz, in dem Mahler sein Lied von der Predigt des Hl. Antonius bei den Fischen zitiert, die gern zuhören, aber nichts beherzigen, steigert sich in eine wilde Kakophonie, eine babylonische Sprachverwirrung. Wie Balsam wirkt danach das schlichte "O Röschen rot", die wunderbare Altistin Valentina Kutzarova beachtet jedes Pianissimo.
Rundfunkchor auf leisen Sohlen
Letonja gelingt es zuletzt auch, das irrwitzige Ringen des Finales, das mit C-Dur-Sonnenaufgang und Kaisermarsch durchaus banale Momente bereithält, plastisch zu erzählen. Das Fernorchester mit Hörnern und Trompeten, der Vogelruf der fabelhaften Flöte (Mihaela Goldfeld) und dann aus dem Nichts der Chor "Aufersteh'n, ja aufersteh'n wirst du", vom Rundfunkchor Berlin (Einstudierung: Justus Barleben) ganz leise und sauber unter Spannung gehalten, über dem sich dann Sopranistin Sarah-Jane Brandon vom Theater Bremen klangschön aufschwingt – das ist großes Endzeit-Kino.
Wobei es Letonja erneut schaffte, dass die Glocke auch bei der großen Schluss-Apotheose nicht dröhnte, keine Über-Akustik entwickelte. Und so durfte man sich im Publikumsjubel (alle standen auf) schon auf Mahlers Achte in der Jubiläumssaison freuen. Auf der Bühne wird es dann noch enger.