Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Streetart-Führung Bunt, bunter, Viertel

Seit zehn Jahren bietet Katharina Rosen Führungen in Bremen an. Eine widmet sich dem Thema Graffiti und Streetart im Viertel. Dabei gibt es viel Interessantes zu entdecken.
08.09.2018, 06:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Bunt, bunter, Viertel
Von Alexandra Knief

Es ist nur ein winziger dunkler Kringel. Ganz klein, versteckt in der Ecke eines Hauseingangs im Ostertorsteinweg. Die meisten Menschen laufen an ihm vorbei oder lassen sich maximal zu einem kurzen Kopfschütteln hinreißen, einem kleinen Ärger über diese vermeintlich unnötige Schmiererei. Andere schenken ihm keine Beachtung oder bemerken ihn wahrscheinlich nicht einmal. Doch hinter diesem Kringel steckt viel mehr.

Walter Josef Fischer, alias OZ, war der Erste, der so einen spiral-ähnlichen Kringel malte. Und er malte viele davon. Tausende. Jeder von ihnen, so die Aussage des Streetart-Künstlers, stehe für ein Opfer des Faschismus. 2014 kam OZ im Alter von 64 Jahren ums Leben. Er wurde beim Sprayen nahe des Hamburger Hauptbahnhofes von einer S-Bahn erfasst und starb an seinen Verletzungen. Doch sein Werk wird weitergeführt. Heute malen andere Leute im ganzen Land dieses Zeichen für ihn. So auch in Bremen.

Lesen Sie auch

Der Kringel kann stellvertretend für die gesamte Streetart-Szene stehen: Oftmals steckt viel mehr hinter der Straßenkunst, als sich auf den ersten Blick erkennen lässt, häufig kann man die Botschaften überhaupt nur lesen, wenn man selbst aus der Szene kommt oder sich lange mit ihr auseinandergesetzt hat.

So wie Katharina Rosen zum Beispiel. Die 36-jährige Bremerin hat Kunstwissenschaft und Germanistik an der Universität Bremen studiert und sich vor zehn Jahren selbstständig gemacht. Mit ihrem Team der Bremen Lotsen bietet sie Stadtführungen zu den unterschiedlichsten Themen an. Seit acht Jahren auch zum Thema Graffiti und Streetart im Bremer Viertel, denn hier gibt es, was Kunst im öffentlichen Raum angeht, wohl am meisten zu entdecken.

Fast an jeder Ecke wurde etwas gesprayt oder geklebt, Graffiti trifft auf Sticker, Sticker trifft auf Fliesen, Bügelperlen, Häkelarbeiten und über Stromkabel geworfene Schuhe. „Streetart ist im Laufe der Jahre auch immer vielfältiger geworden“, sagt Rosen. Aber sie sei vergänglich: „Manchmal komme ich während einer Führung um die Ecke und habe Angst, dass ein Werk schon wieder übermalt wurde, zu dem ich etwas erzählen will.“

Auftragsarbeiten werden immer beliebter

Eines der wohl bekanntesten Werke ist das knallbunte Chamäleon nahe des Theaters Bremen, quasi am Eingang des Viertels. Für die Arbeit hat die Interessengemeinschaft „Das Viertel“ zusammengelegt, das Chamäleon soll für die Vielfalt des Stadtteils stehen und ziert seit 2014 die Fassade. Gemalt wurde es von der Künstlergruppe atx-artworx, die für viele Auftragsarbeiten in Bremen verantwortlich ist und seit Kurzem auch ihre eigene kleine Galerie Vor dem Steintor hat. Ihre Arbeiten sowie die Werke anderer Auftragsmaler (zum Beispiel 420 Grad oder Super 8) findet man im gesamten Stadtgebiet.

Doch auch wenn Auftragsarbeiten immer beliebter werden und viele von ihnen durchaus sehenswert sind, geht es Rosen in ihrer Stadtführung auch um die illegal entstandenen Werke, die im Laufe der Jahre an Bremer Mauern und Hauswänden zusammengekommen sind. Tags wie „Crok“, „Coolio Hippie“, „Detlef“, „2Pac“, „Y.F.“ oder „LAPD“ sind wohl jedem Bremer auf seinen alltäglichen Wegen schon einmal begegnet.

Lesen Sie auch

„Einige findet man in der ganzen Stadt, andere nur in bestimmten Stadtteilen“, sagt Rosen. Zu einigen kann sie mehr erzählen, bei anderem muss auch sie mit den Schultern zucken, zu umfangreich und teils auch zu verschlüsselt sind die unzähligen Werke, die über Nacht an den Wänden entstehen. „Einige Crews machen Werbung für sich bei Facebook und Co, viele andere sprayen seit 30 Jahren, und man weiß bis heute nicht, wer und welche Motivation dahinter stecken“, sagt sie.

Im Viertel zollen die Künstler neben OZ auch noch anderen Kollegen oder historischen Ereignissen Tribut. So findet sich zum Beispiel immer wieder die Zahl 1973. Für viele ist dies das Jahr, in dem alles begann. Es ist das Jahr, in dem in New York zum ersten Mal eine komplett besprühte U-Bahn durch die Stadt fuhr – Graffiti also quasi erstmals ein größeres Publikum fanden.

Ob die Sprayer aus dem Viertel sich aber alle aus diesem Grund dafür entschieden, die Zahl an einer Wand zu verewigen, weiß natürlich niemand. „Vielleicht ist es auch nur das Geburtsjahr des Sprayers“, sagt Rosen. Auch Banksy soll – glaubt man einem der zahlreichen Mythen und Gerüchte um den wohl bekanntesten Streetart-Künstler der Welt – 1973 geboren sein.

Nicht einfach nur ein Kringel

In einer Seitenstraße erinnert eine geklebte Banane an Andy Warhol und an den „Bananensprayer“ alias Thomas Baumgärtel. Dieser begann irgendwann, in seinen Augen interessante Galerien und Museen mit gesprayten Bananen zu markieren. So wurde die Banane im Laufe der Jahre zum Qualitätssiegel und zum inoffiziellen Logo der Kunstszene. „Fast so wie Sterne bei einem Hotel“, sagt Rosen. Außerdem verrät sie in ihrer Führung, wer zu den Urvätern der Graffiti zählt, wie der Künstler Cornbread zu seinem Namen kam, was den dänischen Künstler Asbjørn Skou mit Bremen verbindet und vieles mehr. „Wer sich einmal mit dem Thema Streetart auseinandergesetzt hat, guckt danach ganz anders hin“, fasst Rosen am Ende ihrer Führung zusammen. Und das stimmt. Hat man einmal damit begonnen, die Sprache an den Hauswänden genauer zu betrachten und zu entschlüsseln, tut man einen scheinbar unbedacht platzierten Kringel nie wieder als einfaches Geschmiere ab.

Weitere Informationen

Die nächsten Führungen der Bremen Lotsen zum Thema Streetart finden am 16. September sowie am 18. November statt. Start ist jeweils um 14 Uhr an der Haltestelle Theater am Goetheplatz. Weitere Infos unter www.bremenlotsen.de.

Lesen Sie auch

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)