Es ist einer der eindrucksvollsten Texte über weibliche Selbstbestimmung und – nicht nur weibliches – Schreiben, und wenn Hille Darjes „Ein Zimmer für sich allein“ von Virginia Woolf vortrug, dann knisterte es. Wollen, Wünschen, der schöpferische Prozess des Erzählens, aber auch die materielle Unabhängigkeit von Schriftstellerinnen sind die zentralen Themen dieses Essays. Hille Darjes vermittelte sie in ihrem Solo mit einer Eindringlichkeit, die ihresgleichen suchte – in mehr als 500 Auftritten in ganz Deutschland. Nun ist die Schauspielerin, Sprecherin und Vorleserin nach langer Krankheit am 23. Dezember im Alter von 75 Jahren in Worpswede gestorben.
Hille Darjes, der Name ist längst nicht nur mit Virginia Woolf verknüpft, sondern sehr eng auch mit dem eines anderen großen englischen Autors. Darjes war es, die maßgeblich dafür sorgte, dass es eine Shakespeare Company in der Stadt gibt. Renate Heitmann, die die Company heute leitet, erinnert sich folgendermaßen daran: „Hille war es, die ihre alte Heimat Bremen ins Spiel brachte. Mit dem Verpächter der Kammerspiele in der Böttcherstraße kam sie schnell überein, dass man gegen zehn Prozent der Einnahmen die still gelegten Kammerspiele zu einem neuen Theater in Bremen wiedererwecken könnte.“ Später dann zog die Company in die Schule am Leibnizplatz.
Shakespeare für die Jetzt-Zeit
Hille Darjes hatte die Company Anfang der 1980er-Jahre mitten im Ruhrpott, in Castrop-Rauxel, gemeinsam mit ihrem Ehemann Chris Alexander, Dagmar Papula, Norbert Kentrup, Rainer Iwersen, Renato Grünig und Gabriele Blum auf den Weg gebracht, bevor sie 1984 offiziell gegründet wurde. Man befasste sich intensiv damit, wie das elisabethanische Volkstheater funktioniert hatte, übersetzte die Dramen neu, erforschte, wie der Klassiker dem Publikum der Jetzt-Zeit vermittelt werden könnte. Doch es ging nicht nur um Inhalte. Während das Regietheater in den 1970er-Jahren die Stadttheater eroberte, probierte sich drumherum eine Freie Szene in neuen Organisations- und Kommunikationsformen aus – die Shakespeare Company sollte als Kollektiv wirken, so lautete das Konzept ihrer Gründerinnen und Gründer.
Hille Darjes hatte sich bewusst für diesen alternativen Weg entschieden, nachdem sie einige Jahre an etablierten Bühnen verbracht hatte. 1943 in Fischerhude geboren und in Worpswede aufgewachsen, absolvierte die Großnichte von Paula Modersohn-Becker eine Schauspielausbildung an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg und war zunächst in Hildesheim und Oberhausen engagiert, bevor sie in den letzten Jahren der Intendanz von Kurt Hübner am Theater Bremen spielte. Ihre Erinnerungen daran waren alles andere als ungetrübt: Dem großen kreativen Potenzial Hübners habe ein autoritärer, beinahe tyrannischer Stil gegenüber gestanden, erzählte sie 2013 während einer Veranstaltung im Theaterfoyer zu Ehren des Ex-Intendanten. „Er konnte wie wahnsinnig schreien. Wir hatten alle Angst vor ihm“, sagte Hille Darjes und fügte an, Frauen und Homosexuelle seien die bevorzugten Opfer der Hübnerschen Wutanfälle gewesen.
Ein derartiger Gutsherrenton sollte es in der von ihr mitgegründeten Company nicht geben, und auch nicht die hierarchischen Strukturen, die ihn möglich machen. Bis 1992 war die Bremer Shakespeare-Company die künstlerische Heimat von Hille Darjes, dann startete sie solo durch. Mit „Ein Zimmer für sich allein“, das ein echter Renner wurde. Aber auch in vielen Hörspielen, unter anderem für Radio Bremen, hat sie mitgewirkt, sie hat Hörbücher eingesprochen und Lesereihen initiiert, darunter auch „Im Kino vorgelesen“, in der sie ihre Lieblingsschmöker im Atlantis-Kino in der Böttcherstraße präsentierte. Mit ihrem Mann, dem Regisseur Chris Alexander, zog sie zudem durch die Welt, wenn er in Seattle, San Francisco oder Washington Opern inszenierte. Und sie gab ihr Wissen weiter, als Coach für Schauspieler und Opernsänger.
Ihre Heimatbasis war dabei seit 1983 wieder Worpswede, wo sie in dem Haus lebte, in dem sie größtenteils aufgewachsen war. Der Shakespeare Company bescherte sie 2003 mit dem Stück „Shakespeare in Trouble“, das sie mit ihrem Ehemann verfasst hatte, einen Hit. Hille Darjes brillierte dabei in der Doppelrolle von Elisabeth I. und der Königin, die einen Schauspieler spielte. „Seid Idealisten, Idealisten, die eine Idee verkörpern. Dann habt ihr gelebt“. Das war, so erinnert sich Renate Heitmann, das Lebensmotto von Tilla Modersohn, der Großtante von Hille Darjes. Auch Darjes selbst zitierte diesen Satz gern.