Livemusik und ausgelassene Stimmung in 22 unterschiedlichen Spielstätten in der Stadt – was in den vergangenen zwei Corona-Jahren nicht vorstellbar war, konnte nun wieder umgesetzt werden. Am Sonnabend hat die Jazzahead Clubnight stattgefunden, und dabei wurde wieder einmal klar, wie breit das Feld des Jazz doch ist.
Vieles war wie immer, einiges lief aber auch anders ab als in der Vergangenheit: So konnte man in diesem Jahr – Fachteilnehmer der Messe ausgenommen – nicht wie sonst ein Ticket kaufen und damit von Konzert zu Konzert wandern. Das war den Veranstaltern pandemiebedingt doch noch zu riskant. Für die Besucher hieß es also: Entscheidet euch im Vorfeld, welche Konzerte ihr hören und sehen wollt. Abschrecken ließen die Jazzliebhaber sich davon auf jeden Fall nicht. Ein Stimmungsbild von fünf Konzerten.
Kaye-Ree in der Markthalle
Während andere Musiker sich auf Auftritte von 45 Minuten Länge beschränken mussten, spielten die Musikerin Kaye-Ree und ihre Band in der Markthalle einfach gleich drei Konzertblöcke hintereinander. Schon mit dem ersten Song sorgten Kaye-Ree und Band für Fußwippen und rhythmisches Schulterzucken im bunt gemischten Publikum. Viele Zuhörer verbanden den Konzertbesuch mit einem gemütlichen Abendessen mit Freunden oder der Familie.
Sie sei zwar nach der langen Corona-Pause ein wenig aufgeregt gewesen, wieder auf der Bühne zu stehen, erzählt die Sängerin aus Frankfurt, davon merkte man ihr aber nichts an. Mit ihrem souligen Programm vermittelte sie Lebensfreude, die auf das Publikum übersprang. Spätestens ab dem dritten Song wagten sich einige Mutige auf die Tanzfläche vor der Bühne.
Kaye-Ree und Band spielten ältere Stücke, aber auch Lieder von ihrem neuen Album „Growth“ (übersetzt: Wachstum). „Die letzten zwei Jahre waren eine Herausforderung und haben uns wachsen lassen“, erklärt sie den Titel. Bei ihrer Interpretation von Bob Marleys „Is this Love?“, mit der Kaye-Ree auch schon in der Castingshow „The Voice of Germany“ aufgetreten ist, war das Publikum gefragt und durfte die Sängerin beim Refrain unterstützen.
Barbra Lica in der Schaulust
Mehr als 100 Menschen hatten sich um 19 Uhr bereits in der Bremer Schaulust am Güterbahnhof versammelt, wo an diesem Abend insgesamt fünf Konzerte von Musikern aus Kanada stattfinden sollten. Den Anfang machten die Sängerin Barbra Lica und ihre vier Bandkollegen. Mit klarer, kraftvoller Stimme, die phasenweise an Norah Jones erinnerte, nahm Lica das Publikum mit auf eine musikalische Reise durch ihre Leben, mit Songs, die Geschichten erzählen. Und auch diese leitete Lica mit sehr persönlichen Erzählungen ein.
Der Song „Coffee Shop“ zum Beispiel erzählt von einem Date, vor dem sie so aufgeregt gewesen sei, dass sie vorab Tequila getrunken hat. „Der Typ kam zu spät und das Date war so schlecht, dass ich…“, erzählte Lica und machte eine kurze Pause, bevor sie ergänzte: „…ihn letztes Jahr geheiratet habe.“ Mit Geschichten wie dieser sorgte sie immer wieder für Lacher in der Schaulust, ebenso wie Joel Visentin, der bei einigen seiner fingerbrecherischen Soli fast seinen Helmich-Flügel auseinandernahm.
Nesrine in der Glocke
In der Glocke – in diesem Jahr erstmals an der Clubnight beteiligt – entführten Nesrine und ihre Bandkollegen das Publikum in eine imaginäre Stadt „vorzugsweise irgendwo in Nordafrika“. Der Auftritt im Foyer des Konzerthauses war für die Combo der erste auf der Jazzahead. Auf ihrem E-Cello interpretierte Nesrine orientalisch klingende Improvisationen und Soli. Und auch Schlagzeuger David Gadea und Bassist Elvin Bironien lieferten virtuose Soli ab.
Die gespielten Songs waren mal leicht und hatten fast schon karibische Rhythmen, aber auch rockig oder melancholisch anmutende Stücke zählten zu Nesrines Repertoire – und das ganze auf Englisch, Französisch und Arabisch. Auch stimmlich war Nesrine breit aufgestellt, wechselte mühelos zwischen rauchigen-dunklen und fröhlich-hellen Stücken. Ein Lied handelte vom Glück, für das die Sängerin auch gleich eine Definition mitlieferte: „Glück ist, Dinge oder Personen genau in den Momenten zu treffen, in denen man sie braucht.“ Ein anderes Lied hat sie für ihre Freunde und zum Thema Erinnerungen geschrieben. „Freunde erinnern uns daran, wer wir sind und wer wir mal waren“, erklärte sie.
Efrat Alony und Leléka im Zirkuszelt Bürgerweide
Wer sich gleichzeitig zu Nesrines erstem Auftritt auf dem Weg zum Zirkuszelt befand, konnte schon von Weitem Musik und Jubel vernehmen. Wie bei einem kleinen Festival mit Pommesbude und Weinstand genossen die Besucher – viele von ihnen sind direkt von der nahe gelegenen Messe rüber zum Zelt gekommen – das musikalische Programm auf der Bürgerweide. Den Anfang machte die beim Deutschen Jazzpreis frisch für ihre Veröffentlichung „Hollywood isn‘t Calling“ (Hollywood ruft nicht an) mit dem Titel „Album Vokal des Jahres“ ausgezeichnete Sängerin Efrat Alony. Unterstützt wurde sie auf der Bühne von Frank Wingold, Henning Sieverts und Heinrich Köbberling, mit denen sie auch das ausgezeichnete Album veröffentlichte. Das Publikum feierte Alony, musste auf eine Zugabe aber aufgrund des engen Zeitplanes verzichten. Schließlich stand der nächste Akt schon in den Startlöchern.
Auf Alony folgte das interkulturelle Quartett Leléka um die ukrainische Sängerin Viktoria Leléka, die, wie sie selbst zu Beginn ihres Auftritts sagte, schon als Kind davon geträumt habe, einmal auf der Jazzahead zu singen. Ihre drei Bandkollegen stammen aus Schweden, Polen und Deutschland. Das Quartett mischt alte ukrainische Volksmusik mit Jazz, und natürlich kam die Sängerin nicht drumherum, auch kurz den Krieg in der Ukraine zu thematisieren. „Ich stehe hier im Namen aller Kollegen, die gerade keine Musik machen können, sondern ihr Heimatland beschützen“, sagte sie zu Beginn des Auftritts. Was dann folgte, waren 45 mitreißende Minuten, die Leléka mal mit voller Stimmgewalt, mal gefühlvoll-melancholisch und fast schon flüsternd füllte.
Vox Sambou im Metropol-Theater
Pure Lebensfreude und zehn Menschen, die Musik mit jeder Faser ihres Körpers fühlen, gab es später am Abend mit Vox Sambou im Metropol-Theater zu erleben. Auch hier stand das diesjährige Jazzahead-Partnerland Kanada im Mittelpunkt. Sambou und Sängerin Malika Tirolien präsentierten in mehreren Sprachen – Haitianisch-Kreolisch, Französisch, Englisch, Spanisch – eine wilde, mitreißende Mischung aus Jazz, karibischen Rhythmen, Reggae, Salsa und auch ein wenig Hip-Hop. Sie und die acht Musiker um sie herum spielten nicht nur, sie tanzten auch, sorgten mit drei Bläsern und lauter Trommel für ordentlich Wumms, sodass es einige Besucher auch nicht auf ihren Stühlen hielt. Ein Teil der Stimmung ging dennoch im großen, nur zu Teilen gefüllten Theatersaal verloren. In einer kleinen, intimeren Spielstätte hätte dieser wirklich großartige Auftritt wahrscheinlich noch mehr Kraft entfaltet.