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Güterbahnhof Kreatives Chaos mit System

Dort, wo die Deutsche Bahn einst ihre Güter für den Zugtransport verlud, herrscht seit mittlerweile 20 Jahren buntes Treiben im wörtlichen Sinne.
27.12.2017, 22:34 Uhr
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Kreatives Chaos mit System
Von Alexandra Knief

Im Dezember 1997 nämlich, fand der Künstlerverein Verein 23 auf dem Gelände des Güterbahnhofs neue Räume für seine bis dahin am Neustadtswall angesiedelte Galerie Herold und einige Ateliers. Mit dem Umzug der Galerie und der Ansiedlung erster Künstler im Künstlerhaus Güterbahnhof war der Grundstein für das Gelände als Kulturstandort gelegt.

Nur etwa 1600 Quadratmeter standen dem Verein anfangs zur Verfügung. In den folgenden Jahren wuchsen der Platz und das kulturelle Angebot am Güterbahnhof stetig weiter. Dennoch ist vielen Bremern bis heute gar nicht ganz bewusst, was auf dem rund 36.000 Quadratmeter großen Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs am Bremer Hauptbahnhof alles passiert und in den vergangenen zwei Jahrzehnten passiert ist.

Wie ein Schutzwall steht die Bahnschranke zwischen der lebendigen Kulturhochburg und seiner Innenstadtumgebung. Hinzu kommt, dass der Bereich, der sich hinter der Schranke verbirgt, auf den ersten Blick gerade jetzt zur Winterzeit alles andere als belebt und einladend aussieht: besprayte Wände und alte Bahnhofshallen; ein bisschen Rost hier, ein paar marode Stellen dort.

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Dabei gibt es zahlreiche Events, Ausstellungen und ein Wochenende der offenen Tür – sprich ein umfangreiches Angebot, das Gäste regelmäßig dazu ermuntert, auch mal einen Blick hinter die Schranke zu werfen. „Die Freie Szene wird hier in all ihren Formen präsentiert“, fasst Thomas Hartmann aus der Geschäftsführung des Vereins 23 kurz und knapp zusammen. „Fast alle Kulturschaffenden in Bremen hatten schon einmal in irgendeiner Form Kontakt zum Güterbahnhof.“

Aber von vorne: Arbeiten und Ausstellen – mehr wollten die Künstler nicht, als vor 20 Jahren alles losging und knapp 60 Kreative die leer stehenden Räume der Bahn AG bezogen. Ein Konzept gab es nicht, und was aus der ganzen Sache werde „wird man sehen“, hieß es damals. Im Prinzip ist dieses Credo auch heute noch am Güterbahnhof zu spüren, irgendwie funktioniert diese Einfach-mal-machen-Kultur aber bis dato ganz gut, auch wenn viele Außenstehende den Verantwortlichten damals ein schnelles Ende prophezeiten.

Weit gefehlt. Drei Jahre nach dem Bezug war das Künstlerhaus bereits auf 2400 Quadratmeter angewachsen und bot Platz für 90 Künstler aus allen Sparten. Damals wie heute ist die Nachfrage laut Hartmann groß. Leerstände gebe es eigentlich nie.

Verein 23 ist Generalmieter

Wenn Künstler die Ateliers verlassen, werden die Räume neu ausgeschrieben und eine wechselnde Jury, bestehend aus anderen auf dem Gelände ansässigen, sucht unter allen Bewerbern die neuen Mieter aus. Zum Künstlerhaus mit seinen Ateliers und der Galerie Herold gesellte sich 2005 die Spedition, die der kreativen Szene seitdem Räume für Veranstaltungen und Ausstellungen, Ateliers und Proberäume bietet.

Bereits 2003 kaufte die Bremer Investitions-Gesellschaft (BIG) – aus der später die Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) hervorging – den Güterbahnhof im Auftrag der Stadt von der Bahn. Weil ein ursprüngliches Bauvorhaben erst einmal vertagt wurde, schrieb die BIG das Gelände 2007 zur kulturellen Zwischennutzung aus.

Es folgten einige Verhandlungen und seit 2009 ist der Verein 23 Generalmieter des gesamten Areals, übernimmt somit die komplette Verwaltung, Vermietung und Instandhaltung des Geländes. „Kunstferne“ Firmen, die zuvor noch auf dem Gelände eingemietet waren, sind umgezogen. Der Vertrag lief zuerst für fünf Jahre mit einer Option auf Verlängerung um weitere drei Jahre.

Platz und Angebot wuchsen noch weiter

Der Verein bekommt eine institutionelle Förderung von rund 12.000 Euro pro Jahr von der Kulturbehörde. Ein großer Teil davon fließt in die Galerie Herold, der Rest wird laut Vereinsvorstand insbesondere in Miet- und Heizkosten sowie kleinere Projekte investiert. Auch die Spedition wird vom Senator für Kultur institutionell gefördert, außerdem erhalten einzelne Künstler immer mal wieder variierende Projektmittel, heißt es vonseiten der Kulturbehörde.

Ansonsten finanzieren sich die Projekte am Güterbahnhof größtenteils durch die Mieteinnahmen aus den vermieteten Ateliers und Proberäumen, durch Spenden und dank des ehrenamtlichen Einsatzes vieler angesiedelter Künstler und Kulturschaffender. Nach der Übernahme wuchsen Platz und Angebot noch weiter. Seit 2009 kann am Güterbahnhof in der Boulderhalle Linie 7 geklettert werden.

2011 öffnete dann auch die Schaulust ihre Türen auf dem Gelände. Hier können sich Kulturschaffende, insbesondere aus dem Bereich der darstellenden Künste, einmieten, um zu proben oder Aufführungen anzubieten. Verschiedene Projekte erhielten hier in der Vergangenheit eine Förderung. Ab 2018 erhält die Schaulust eine festgelegte Summe von der Kulturbehörde.

Bei jeder Investition abwägen

Und heute? Seit Anfang 2017 ist der Mietvertrag des Vereins 23 unbefristet. Was zuerst wie eine gute Nachricht für die ansässigen Künstler und Einrichtungen klingt, ist es ganz und gar nicht. „Unbegrenzt heißt leider nicht für immer“, betont Stefan Jeep vom Vereinsvorstand. „Irgendwann will die Stadt hier etwas machen, uns ist bewusst, dass wir hier nur zur Zwischennutzung sind.“

Nicht zu wissen, wie lange genau die Zukunft am Güterbahnhof noch gesichert ist, mache die Planung weitaus komplizierter als zumindest eine Planungssicherung für drei oder fünf Jahre zu haben. „Bei jeder Investition müssen wir abwägen, ob es sich für uns überhaupt noch lohnt, Geld zu investieren“, sagt Jeep.

Etwa 120 Künstler füllen heute die knapp 60 Ateliers, zehn Hallenateliers und zahlreiche Lager mit Leben. Hinzu kommen etwa 60 bis 70 Musiker, die die rund 20 Übungsräume auf dem Gelände zum Proben nutzen. Im vorderen Bereich rechts hinter der Schranke haben sich das Flamenco-Studio „Martinita“ sowie der Projektraum „FAQ“ für verschiedene Ausstellungsformate angesiedelt.

Langfristige Perspektive

Zusammen mit den Kulturschaffenden aus den einzelnen Projekten kommen so laut Thomas Hartmann schnell mehr als 200 Leute zusammen, die regelmäßig am Güterbahnhof arbeiten. „Hinzu kommen die ganzen Gäste von außen“, sagt er. Insgesamt, überschlägt er, tummeln sich jede Woche durchschnittlich bis zu 1500 Menschen auf dem Gelände. „Für die Zukunft wünsche ich mir ein klares Ja von der Stadt zum Kunst- und Kulturstandort Güterbahnhof“, sagt Hartmann.

„Und natürlich wünsche ich mir, dass wir allen Künstlern und Kreativen eine langfristige Perspektive bieten und die Attraktivität der Bremer Kunst- und Kulturszene – gerade auch für die Produzenten und Produzentinnen – verbessern können.“ Am besten, da sind sich die Vorstandsmitglieder vom Verein 23 einig, wäre es natürlich, wenn es irgendwann heißt: Die Kunst(produktions)stätte Güterbahnhof ist aus der Stadt nicht mehr wegzudenken.

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