Frau Emigholz, in den anstehenden Verhandlungen zum Haushalt wird es angesichts der finanziellen Notlage Bremens wahrscheinlich auch um mögliche Einsparungen im Kulturbereich gehen. Wo kann gespart werden?
Carmen Emigholz: Zunächst einmal versuchen wir, Sparbeiträge zu leisten, die sich auf Bereiche beziehen, in denen Geld erwirtschaftet wurde. Das heißt, wir schauen uns die Rücklagen und damit auch die Einnahmeseite der Kultureinrichtungen genau an, stellen fest, was sie benötigen, suchen gemeinsame Potenziale für weitere Förderung und schauen, was man zum Sparziel beisteuern kann. Indem etwa Ressourcen gemeinsam genutzt werden. Das sind finanzielle Mittel, die wir abschöpfen können, ohne dass die Existenz der Einrichtungen gefährdet wird. Außerdem geht es darum, Einnahmen zu erzielen, indem man Publikum gewinnt. In diesem Zusammenhang muss überprüft werden, wie attraktiv Projekte und Programme sind.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Das beste Beispiel dafür ist das Theater Bremen mit seiner hohen Auslastung in der vergangenen Spielzeit, das waren etwa 170.000 Besucherinnen und Besucher. Dieser positive Trend setzt sich in der aktuellen Spielzeit fort, das kann man bereits erkennen.
Bleiben wir mal beim Theater: Wenn Sie sagen, Sie schauen sich die Rücklagen an, wie sieht es denn da aus?
Das Theater hat eine langfristige Zielvereinbarung mit der Stadt. Das heißt: Die Grundfinanzierung ist gesichert, aber das Theater ist in der vorteilhaften Lage, einige Leistungen selbst zu übernehmen, die sonst die Stadt übernommen hätte. Zum Beispiel die faire Bezahlung der Honorarkräfte.
Das Theater ist die größte Kultureinrichtung. Gibt es weitere Beispiele?
Auch die Musikschule wird den Einsatz ihrer Mittel stärker als bisher selbstständig steuern können. Da geht es darum, den Zuschuss der Stadt stabil zu halten und ihn nicht erhöhen zu müssen.
Im Doppelhaushalt 2022/23 lag der Kulturhaushalt bei fast 100 Millionen Euro. Bleibt es bei dieser Summe, oder werden Sie weniger Geld zur Verfügung haben?
Nach aktuellem Senatsbeschluss bleibt der Etat gleich. Für alle Bereiche gilt: Akute Krisenlagen sind natürlich nicht kalkulierbar. Meine Überschrift dazu lautet: zuerst die Menschen, dann die Gebäude. Wichtig ist mir, die finanzielle Absicherung für die Kulturschaffenden weiter stabil zu halten. Bei den Gebäuden schauen wir, dass saniert wird, wo es notwendig ist, und außerdem in Bereichen, für die das schon beschlossen ist. Das wird nacheinander geschehen. Mehr machen wir aktuell nicht.
Was muss zurückstehen, was Sie gerne umgesetzt hätten?
Wir können die Sanierung der Museen leider nicht gleichzeitig anpacken. Nach dem Übersee-Museum, das jetzt fertig wird, ist das Focke-Museum und danach das Museum Weserburg inklusive der energetischen Sanierung an der Reihe.
Es kommen weitere Einrichtungen hinzu, die finanziert werden wollen. Das Zentrum für Kunst im Tabakquartier oder das geplante Literaturhaus im Stadtmusikantenhaus beispielsweise. Muss dann bei anderen gekürzt werden?
Nein. Das Zentrum für Kunst ist bereits in Betrieb und natürlich eingepreist im Doppelhaushalt sowie zusätzlich mit einer privaten Zustiftung ausgestattet. Und auch das Stadtmusikantenhaus war schon beschlossen vom Senat. Dafür wurden noch Mittel, die für die Innenstadtentwicklung reserviert waren, übertragen. Die Kernfrage bleibt: Wie gehen wir mit der Inflation um? Wir haben bei den Verhandlungen für den Haushalt 2022/23 zehn Prozent mehr bekommen und waren darüber glücklich. Im Grunde genommen hat die Inflation aber alles aufgefressen.
Und jetzt?
Wir kämpfen dafür, dass die Schäden möglichst gering bleiben. Es müssen Gelder umgeschichtet werden, wir müssen Drittmittel einwerben und andere Anstrengungen unternehmen. Ich bin optimistisch, dass wir ein gutes Ergebnis erzielen. Auch in den Einrichtungen ist ein Prozess in Gang gekommen; wir hatten ja vor der Erhöhung des Haushaltes eine lange Durststrecke. Daher sind die Kulturleute es gewohnt, selber Mittel einzuwerben und Ressourcen sparsam einzuteilen.
Immer wieder und in Zeiten knapper Kassen gibt es auch die generelle Debatte, mit wie viel Geld welche Kultur vom Staat finanziert werden soll. Stichwort: Viel für gleich drei Theater mit vier Sparten im Nordwesten, eher wenig für junge Bands. Wie ist da Ihre Position?
Ich bin der Meinung, dass jede junge Generation das Recht hat, das, was die Vorgängergenerationen geschaffen haben, infrage zu stellen. Wir haben in den vergangenen Jahren viel aufgenommen, was aus der jungen Generation kam: freie Szene, Subkultur, Pop-Office. Das hat alles seine Berechtigung, aber andere Dinge haben die auch. Wenn wir uns beispielsweise die Pflege der Sprache in Deutschland ansehen, dann bin ich immer noch sehr dafür, für das Theater zu kämpfen, für eine Sprache, die man dort hören kann, und die über das hinausgeht, was man in SMS, WhatsApp und sozialen Medien so schreibt. Ich nehme dort einen Verlust von Sprache wahr, sie wird verkürzt, verroht, verkommt. Deshalb haben die Bereiche von Kunst und Kultur für mich einen besonderen Stellenwert, die Sprache noch pflegen.
Das ist Theater, das ist Literatur...
... das ist Bibliothek, das ist Volkshochschule, das sind die Museen, die Kunst erklären. Der Gegenpol dazu, ebenfalls positiv zu verstehen, ist das, was sich mental und emotional vermittelt. Das ist immer die Musik. Musik landet übrigens in Umfragen zur Kulturförderung stets auf Platz eins, gefolgt von der Bildenden Kunst.
Da sind wir wieder beim Thema: Die Band-Szene in Bremen sieht sich gegenüber der klassischen Musik benachteiligt. Ist der Vorwurf richtig?
Im Grundsatz stimmt das. Als ich hier angefangen habe, war das so. Es gibt einen ganz klaren Klassik-Schwerpunkt in Bremen. Die Hochschule für Künste hat einen Alte-Musik-Bereich, wir haben das Musikfest, wir haben die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und die Bremer Philharmoniker. Bremen hat ein Profil in diesem Bereich, und das ist ja auch toll. Das darf man nicht infrage stellen. Man muss aber auch schauen, dass die Menschen sich wiederfinden, die das vielleicht nicht hören möchten. Von daher gucken wir, wo es Qualität in anderen musikalischen Bereichen gibt, die man auch fördern kann.
Das heißt, Pop, Rock, Jazz, können auf mehr Geld hoffen?
Das wäre derzeit vermessen, das zu versprechen. Aber wir müssen schauen, ob wir mit den Kollegen aus dem Wirtschaftsressort und auch aus den anderen Senatsressorts vielleicht gemeinsam etwas anstoßen können, weil es sich ja um kommerziellen Projekte handelt. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr gute Erfahrungen sammeln können und müssen da noch enger kooperieren.
Das gilt dann auch für die Jazzahead, die sich seit Jahren beklagt, trotz ihrer Konzertprogrammschiene nicht im Kulturhaushalt vorzukommen?
Die Jazzahead gilt als ein Projekt der Wirtschaftsförderung, weil sie als Messe begonnen hat. Wenn die Programmflächen es zulassen, werden wir helfen; wir lassen die Jazzahead sicher nicht hängen.
Derzeit taucht in kulturpolitischen Debatten bundesweit wieder häufiger der Begriff "Kultur für alle" auf, geprägt in den 1970er-Jahren von dem Bremer Hilmar Hoffmann in seiner Zeit als Frankfurter Kulturdezernent. Wie würden Sie "Kultur für alle" aktuell definieren?
Jeder und jede muss die Möglichkeit haben, sich am kulturellen Leben zu beteiligen. Das ist für mich der Kern von "Kultur für alle"; es geht um soziale Barrierefreiheit. Das wurde damals so angedacht, und ich finde, es gibt bei unseren Kultureinrichtungen eine große Offenheit, was das angeht. Jeder kann, so wie er möchte, ins Theater gehen. Außerdem ist das Programm inzwischen diverser und niedrigschwelliger. Die Kunsthalle zieht ebenfalls Besucher aus ganz unterschiedlichen Hintergründen an; da gibt es manchmal Schlangen bis auf die Straße. Die Beteiligung von Menschen aus unterschiedlichen Milieus und Herkünften klappt hervorragend in unseren Kultureinrichtungen, ich bin damit sehr zufrieden.
Das Gespräch führte Iris Hetscher.