Herr Geiger, Sie begleiten in Kooperation mit dem City 46 den Stummfilm „Goldrausch“ von Charlie Chaplin. Wie unterscheidet sich das von einem ihrer üblichen Konzerte?
Stefan Geiger: Man geht bei einem Orchester ja erst einmal davon aus, dass der Dirigent ungefähr das Tempo vorgibt. Bei einer Filmmusik-Aufführung ist der Dirigent überhaupt nicht fürs Tempo zuständig, sondern der Film. Als Dirigent bin ich Sklave des Films – und das macht mir großen Spaß. Die Musik muss genau synchron zum Film sein, denn es gibt nichts Peinlicheres für einen Filmmusikdirigenten, als wenn auf dem Bildschirm der Colt raucht, aber der Schuss, dessen Knall auf der Trommel nachgeahmt werden muss, leider zwei Sekunden zu spät ist. Das merkt wirklich jeder.
Also ist es vor allem für den Dirigenten eine Herausforderung?Nein, auch für das Orchester ist das etwas anderes. Die Musiker dürfen bestimmte Sachen gar nicht so musikalisch ausmalen, wie man sich das vielleicht wünschen würde. Ein Solist hat sonst die Möglichkeit, bei seinem Part ein eigenes Tempo vorzulegen, auf das der Dirigent hören muss. Hier geht das nicht. Aber so dramatisch ist es gar nicht, denn bei den Filmen haben wir ja wunderbar gearbeitete Musik, die genau passt. Das heißt, wenn wir alles richtig machen, dann wird das zu einem homogenen Ganzen und haut hin.
Gibt es bei dem Film „Goldrausch“ besonders schwierige Stellen, wo es wichtig ist, dass es hinhaut?Bei dem Brötchentanz, der ja auch Filmgeschichte geschrieben hat. Es ist die Szene, in der Chaplin zwei Brötchen mit Gabeln aufspießt und sie dann so in Szene setzt, als ob die Brötchen seine Füße wären. Und damit führt er einen Tanz auf wie eine Ballerina. Diese Trippelschritte der Brötchenballerina müssen natürlich hundertprozentig synchron zur Musik sein.
Als klassischer Musiker ist das Begleiten eines Stummfilm bestimmt auch eine Alternative zur gängigen Alltagspraxis?Ja. Wir haben 2012 einen Wettbewerb für Games-Musik ins Leben gerufen. Alle drei Jahre spielen wir ganz frische Musik, die für uns komponiert wird. Beim „German Game Music Award“ wird ein Kompositionspreis für Werke, die zu Computerspiel-Musik geschrieben werden, verliehen. Da sind wir wirklich hoch aktuell, wenn ich das so sagen darf. Ich glaube es war für noch nie jemanden langweilig, was das Repertoire angeht.

Dirigent Stefan Geiger
Bei uns im Landesjugendorchester ist es ja auch so, dass wir einige Musiker auf eine spätere Musiker-Karriere vorbereiten. Das heißt, wir spielen natürlich auch Standardwerke wie eine Mahler-Sinfonie oder Werke von Strauß oder Beethoven, die gehören zum Kernrepertoire. Das gehört zu unserer Aufgabe, damit die Leute sich ausprobieren können.
Sie begleiten schon seit 20 Jahren Stummfilme und sind seit 23 Jahren Leiter des Landesjugendorchester. Hat sich in dieser Zeit viel geändert?Mit den Jahren ist das Orchester sehr gewachsen, am Anfang war es klein besetzt. Unser erster Film war „Die Abenteurer des Prinzen Achmed“ von Lotte Reiniger und Carl Koch aus dem Jahre 1926. Wir haben damals noch in das kleine ehemalige Kino 46 in Walle gepasst. Das Orchester ist mittlerweile viel größer geworden. Alle zwei Jahre machen wir ein Filmmusikprojekt. Die Musiker des Orchesters führen alle zum ersten Mal „Goldrausch“ auf, für mich ist es das zweite Mal in Bremen. Das Vergnügen ist jedoch gleich geblieben über die Jahre.
Wie werden für „Goldrausch“ Instrumente eingesetzt, um Geräusche darzustellen?Gleich am Anfang geht es ganz witzig los. Da gibt es die Szene mit Chaplin als Goldsucher, der um einen Berggipfel herumgeht und verfolgt wird von einem Grizzlybären. Chaplin tapst da umher und bemerkt den Bären gar nicht, es entsteht eine große Spannung, aber auch ein immenser Witz. Diese Szene wird von einem Fagott begleitet. Ein Fagott, das eine witzige Melodie spielt und die Trippelschritte von Chaplin imitiert.
Spielen Sie während des Films die Originalmusik von Charlie Chaplin?Ja. Charlie Chaplin hat ja, obwohl er eigentlich nicht im geeignetem Maße Noten schreiben konnte, einen Oscar für Filmmusik bekommen. Das ist erstaunlich, da er keine musikalische Ausbildung besaß. Chaplin hat seine Filmmusik einem Musiker entweder vorgesungen oder vorgespielt. Und auch danach hat er sehr detailliert daran mitgearbeitet, er war ein Pedant. Er hat auch einen typischen Stil, der gut zu seinen Filmen passt, so halb melancholisch, halb witzig – auch in der Musik. Chaplin hat die Musik geschrieben, Arrangeure haben sie dann ausformuliert, also in die Orchesterformen umgewandelt. Und diese Musik ist erhalten.
Das Gespräch führte Frieda Ahrens.Stefan Geiger (52)
ist Posaunist und Dirigent. Seit 1996 ist er Leiter des Bremer Landesjugendorchesters. Er erinnert sich gut an seine Zeit in einem Jugendorchester: intensive Arbeitsphasen und Jugendherbergen ließen ein Orchester zusammenwachsen, findet er.
Weitere Informationen
„Goldrausch“ begleitet vom Landesjugendorchester Bremen im Theater Bremen, Großes Haus. Sonntag, 27. Oktober, 13 Uhr öffentliche Probe; 18 Uhr Abendvorstellung.