Marc-André Hamelin, Marathon-Mann auf 88 Tasten, macht auch bei Johannes Brahms keine halben Sachen. Beide Klavierkonzerte des Spätromantikers – Großsinfonik von zweimal 50 Minuten – an einem Abend zu präsentieren, diesen Kraftakt wagen die wenigsten Pianisten (zuletzt war Martin Helmchen in Lübeck so kühn). Mancher Hörer des Philharmonischen Konzerts in der Glocke mochte sich fragen, ob solch eine "Gesamtaufnahme" nicht doch zu viel des Guten sei?
Nun, inhaltlich ist die Paarung wegen mancher Querverbindung sinnvoll. Das ruppige d-Moll des ersten Konzerts op. 15 von 1859 findet sich im wühlenden zweiten Satz des milderen B-Dur-Konzertes op. 83 von 1881 wieder, und die langsamen Sätze – in Takt und Melodieverlauf ähnlich – sind heimliche Grüße an Clara Schumann.
Interpretatorisch bestand auch kein Anlass zur Sorge. Der 61-jährige Hamelin hat eine Super-Kondition, die Bremer Philharmoniker auch. Es ist eine entspannende Hörerfahrung, wenn ein Pianist Brahms' höllische Oktavtriller und Terzläufe ohne spürbaren Kraftaufwand weglöffelt. Eher schien der Frankokanadier zu Beginn (das zweite Konzert machte den Anfang) mit seinem Image zu hadern. Hamelin hat immer wieder beklagt, dass er nur als der Mann gilt, dem kein Klavierstück zu schwer ist. So schien er den Virtuosengestus der ersten zwei Sätze fast zu verleugnen zu wollen.
Wo der jungenhaft wirkende britische Dirigent Andrew Gourklay (41) fabelhaft elegant Musikarchitektur errichtete, agierte Hamelin oft wie ein Begleiter. Dem romantischen Orchesterklang begegnete er mit relativ kühlem Klavierton, im Fortissimo-Thema des zweiten Satzes zog er Zielnoten bewusst ins Piano zurück. Erst im Andante, von Solocellistin Antonia Krebber mit herrlichem Ton angestimmt, kam Hamelins kammermusikalischer Ansatz zur Geltung: Hier perlten die Figurationen zart wie Wasserbläschen, auch im Finale ließ sich der Impressionist Brahms entdecken.
Offenbar wollte Hamelin bewusst den Kontrast zwischen beiden Konzerten herausarbeiten. Denn im paukenwirbelnden ersten Konzert zeigte er nach der Pause erheblich mehr Pranke. Da donnerte er plötzlich, wuchs zum Riesen, tobte sich in den Ecksätzen energisch aus. Klavier und Orchester führten sich nun gegenseitig – eine Interpretation aus einem Guss. Wilder Applaus war fällig. Hamelin besänftigte ihn mit dem "Abschied" aus Robert Schumanns "Waldszenen". Ein Titanenabend kam ganz schlicht zur Ruhe.