Als sich Minuten tatsächlich schon fast wie Stunden anfühlen, kann sich Anne Sauvageot ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Und vielleicht mischt es sich mit einem Hauch Schadenfreude, als sie noch einmal ansetzt und inbrünstig Céline Dions „How does a moment last forever?" (zu deutsch: Wie kann ein Moment ewig andauern?) vorträgt. Ohne zu viel zu verraten: An diesem Punkt kennen die Zuschauerinnen und Zuschauer im Brauhauskeller des Theaters längst die Antwort. Oder die Antworten. Denn Langeweile, und darum geht es in der Moks-Produktion "Wie lang geht das noch?", hat viele Facetten, und einige davon präsentieren Sauvageot und ihr Kollege Fabian Eyer an diesem Abend.
Tessie, Marc und Bill leben irgendwo auf dem Land, vielleicht in Schottland, vielleicht auch nicht. Hier vergeht die Zeit anders als in den geschäftigen Metropolen, fühlt sich merkwürdig an. Früher fuhren hier die Busse dreimal am Tag in die Stadt, früher gab es hier einen Baumarkt und ein Postamt. Die drei Teenager aber müssen ohne derartige Zerstreuung zurecht kommen. Das gipfelt in absurden Dialogen, sinnlosem Bänke(d)rücken (Bühne und Kostüme: Anne Ferber) und Momenten der Leere.
Ablenkung oder Aushalten
Langeweile, so lautet eine gängige Definition, ist das unangenehme Gefühl, eine zufriedenstellende Aktivität ausführen zu wollen, aber nicht zu können. Und tatsächlich ist es wohl genau diese Zufriedenheit, die Tessie, Marc und Bill in ihrem Leben fehlt. Daran ändert auch der tägliche Apfelkuchen nichts. Lecker ist er natürlich schon. Aber halt auch nicht mehr als das. Nicht außergewöhnlich lecker, und verdammt nochmal, nicht einmal hin und wieder ein wenig verbrannt. Oder die Auswärtsspiele mit dem Basketballverein, zu denen im Bus gereist wird. Knappe Kiste, gutes Spiel, wirklich, auch von der Ersatzbank aus betrachtet. Ein Unentschieden eben.
Ohne den Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit zu erheben: Langeweile ist gesellschaftlich durchaus ein Thema, vor allem bei Heranwachsenden. Strategien mit ihr umzugehen, gibt es im Wesentlichen zwei: gar nicht erst aufkommen lassen, ist die eine. Mittlerweile sind zahllose Hilfsmittel zur Hand, um Ablenkung zu liefern. Die meisten davon sind nur einen Klick entfernt, aber auch einen Theaterbesuch könnte man darunter fassen. Die andere ist: aushalten, zumindest in Maßen, und so Kreativität und Ideen einen Raum geben, sich zu entfalten.
Zwischen Frust und Freude
In der Inszenierung des neu formierten Regiekollektivs Arnold&Bianka (Fabian Eyer, Valeska Fuchs, Anne Sauvageot und Sebastian Rest) verschmelzen diese Strategien. An einem Ort, der Quelle für Inspiration, Kritik aber durchaus auch mal für Unterhaltung ist, passiert an diesem Abend auf den ersten Blick, nun ja, das Gegenteil von alledem. Nichts Besonderes eben. Welche Wirkung das entfaltet, ist allerdings nicht zu unterschätzen.
"Wie lang geht das noch?" spielt mit der Psyche der Besucherinnen und Besucher, raffiniert und auch ein bisschen grausam. In den knapp 60 Minuten durchlaufen sie verschiedene Gemütszustände, von Unterforderung, Nervosität und Frust hin zu Erleichterung, Ausgelassenheit und Freude. Die Mittel, die es dazu braucht, sind bemerkenswert einfach; und je länger das Stück dauert, desto gewillter ist man, sich an kleinste Veränderungen bei der Beleuchtung (Licht und Video: Willy Klose und Timo Blockentweder) oder der Tonlage während eines Gesangs zu klammern, wie an den sprichwörtlichen Strohhalm. Eyer und Sauvageot verpassen dem Ganzen dabei eine große Portion zwanglosen, gewitzten Charme.
Empfohlen ist das Stück ab zwölf Jahren. Doch ob jung, ob alt, allen sollte klar sein: Dieser Besuch wird eine Herausforderung werden. Eine jedoch, die sich lohnt. Es wird langweilig, ja, das soll es schließlich auch, aber es wird auch absurd komisch und seltsam schön. Und am Ende gibt "Wie lang geht das noch?" allen Anwesenden genug Gelegenheit, kurz innezuhalten und einmal tief durchzuatmen.