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Musikfest Bremen „Gebt mir was, ich will spielen“

Omer Meir Wellber dirigiert beim Musikfest Bremen die Deutsche Kammerphilharmonie. Warum er so viele Instrumente beherrscht und was ihn mit Solistin Hilary Hahn verbindet.
12.08.2023, 05:00 Uhr
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Von Kai Luehrs-Kaiser

Herr Meir Wellber, Ihr Deutsch ist gut genug, dass Sie damit sogar in der NDR-Talkshow auftreten konnten. Woher kommt’s?

Omer Meir Wellber: Am Anfang stand ein Deutsch-Kurs am Goethe-Institut in Tel Aviv. Richtig gelernt habe ich die Sprache in Dresden, wo ich zehn Jahre Gastdirigent war. Dort wäre ich mit Englisch nicht gut durchgekommen. Übrigens habe ich festgestellt, dass es erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen dem Sächsischen und dem Jiddischen gibt.

Bei Ihrem Auftritt in der Glocke sind Sie Teil von Hilary Hahn and Friends. Sind Sie wirklich befreundet?

Ja, gut sogar. Hilary und ich geben pro Spielzeit mindestens zwei bis vier Konzerte gemeinsam. Diesmal ist es sogar eine ganze Tour. Obwohl ich die Kammerphilharmonie schon etliche Male dirigiert habe, immer auf Tour, wird es aber das erste Mal sein, dass ich in der Glocke auftrete. Endlich.

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Nicht viele Dirigenten mögen es, berühmte Solisten zu begleiten. Sie schon?

Ja, ich finde das sehr interesssant. Natürlich ist es eine Herausforderung, denn man muss versuchen, sich in einen anderen Kopf hinein zu versetzen. Ich glaube indes: Wer das nicht mag, hat seine Rolle als Dirigent nicht verstanden. Sich selbst in den Vordergrund zu spielen, ist immer falsch. Als Begleiter, zumal mit Hilary, finde ich mich sehr leicht zurecht. Tempi sind mir ohnehin nicht so wichtig. Ich bin neugierig, wie die Solistin es macht.

Als einer der besten Begleiter galt Herbert von Karajan, der seinen Sängern sagte: "Fangen Sie an! Ich folge Ihnen." Wie konnte er seine Intentionen trotzdem durchsetzen?

Karajan konnte es, weil er ein sehr erfahrener Operndirigent war. Wenn ich gefragt werde: "Wie wird Ihre neue 'Tosca'?", so antworte ich: "Das hängt von den Sängern ab." Man plant alleine, aber man weicht gemeinsam davon ab. Die Folgen sind überaus positiv. Ich werde niemals dieselbe "Tosca" dirigieren. Genau das gefällt mir an dem Beruf.

Bei der Uraufführung des Doppelkonzerts von Aziza Sadikova in Bremen stehen Sie neben Hilary Hahn auch als Solist auf der Bühne. Können Sie vom Akkordeon aus dirigieren?

Mal sehen. Die linke Hand wird blockiert sein. Ich habe schon vom Cembalo aus dirigiert, aber das ist einfacher, weil man beide Hände frei hat. Bloß, wissen Sie: Bei neuen Stücken denkt man jedes Mal: "Das geht nicht." Und nach der dritten Vorstellung geht es doch.

Früher war das Akkordeon in Deutschland ein beliebtes Anfänger-Instrument. In Israel auch?

Ja. In Be’er Sheva hatten wir sogar ein Akkordeonorchester. Wir spielten die “Eroica”. Allerdings hängt die Bedeutung des Akkordeons in Israel damit zusammen, dass es eine traditionell wichtige Rolle in der Klezmer-Musik spielt. Durch Klezmer ist auch die Mandoline in Israel so wichtig. Jeder Israeli kennt bestimmt 300 Lieder, die vom Akkordeon begleitet werden. Auch meine erste Arbeit als Musiker bestand darin, dass ich auf Hochzeiten Akkordeon gespielt habe.

Nach der Pause dirigieren Sie noch Schuberts 2. Symphonie. Die kennt doch niemand, oder?

Eben drum. Vielleicht kennen zehn Leute im Saal das Werk. Es ist fast, als spiele man eine Erstaufführung. Ich habe in Leipzig, verteilt über mehrere Saisons, sukzessive alle Schubert-Symphonien aufgeführt. Ebenso in London. Ich glaube, dass ich mit der Kammerphilharmonie das Optimale aus einem solchen Werk herausholen kann.

In der jüdischen Tradition ist die Geige ein sehr wichtiges Instrument. Auch Sie haben Geige gelernt. Könnte ich das hören, wenn ich Sie nur dirigieren sehe?

Ja, glaube ich schon. Wegen der klanglichen Bedeutung der Violinen, die für mich zentral sind. Im Übrigen habe ich sehr viele unterschiedliche Instrumente gelernt, als ich jung war. Das nützt mir heute. Mein Impuls war immer: Gebt mir irgendwas, ich will spielen! Was, war mir fast egal.

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Ist es dann nicht seltsam, dass Sie heute die einzige Person im Orchester sind, die kein Instrument spielt?

Ja, stimmt. Es muss damit zusammenhängen, dass ich eigentlich Komposition studierte. Das war aber irgendwie kompliziert, da mein Lehrer gerade eine schwierige Zeit durchlebte. Also wechselte ich zum Dirigieren. So bin ich vom Weg ein bisschen abgekommen.

Sie sind ein Schüler Daniel Barenboims. Was haben Sie von ihm gelernt?

In einem Wort: Alles, was ich über den Beruf weiß. In Bezug auf Barenboim hatte es bei mir mit dem philosophischen Geist zu tun, der von ihm ausgeht. Der war extrem stark.

Sie haben ab 2025 an der Hamburgischen Staatsoper einen Vertrag unterschrieben. Bereuen Sie, dass Sie damit für die Barenboim-Nachfolge in Berlin aus dem Rennen sind?

Nein. Hamburg ist genau das richtige Haus für mich. Bei mir hängt immer alles damit zusammen, die besten Partner zu finden. Das ist in Hamburg der Fall. Ein großes Haus mit bewundernswerter Tradition. Und das einzige Opernhaus der Stadt. Man kann auch ein bisschen extremere Sachen machen. Durch die Elbphilharmonie hat Hamburg einen enormen Schritt nach vorne getan. Ich bin dort ganz richtig.

Sie sind – abgesehen von Johannes Brahms, Hermann Levi und Kirill Petrenko – einer der wenigen bärtigen Dirigenten. Behindert das Ihre Mimik nicht?

Ich hoffe nicht. Für mich war der Bart immer extrem wichtig. Ich erinnere mich, dass ich beim Militär alles mögliche mitmachen konnte. Nur mit der Entscheidung, den Bart abnehmen zu müssen, hatte ich enorme Schwierigkeiten. Ich habe es nicht verstanden. Das hat mich enorme Überwindung gekostet. Es muss daran liegen, dass der Bart für mich ein Symbol der Selbstbestimmung ist. Und der Freiheit. Andererseits: Gegenwärtig ist der Bart ab. Nur ein Schnurrbart ist übrig geblieben.

Das Gespräch führte Kai Luehrs-Kaiser.

Zur Person

Omer Meir Wellber

wurde 1981 in Be’er Scheva geboren. Derzeit ist der Dirigent musikalischer Chef der Volksoper Wien sowie in Palermo. Ab 2025 wird er Nachfolger von Kent Nagano an der Hamburgischen Staatsoper. 

Info

Omer Meir Wellber dirigiert am Dienstag, 22. August, 20 Uhr, in der Glocke die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen. Solistin ist die Geigerin Hilary Hahn. Karten gibt es bei Nordwest-Ticket unter www.nordwest-ticket.de

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