43 Opern und 25 Oratorien hat Georg Friedrich Händel komponiert; diese Werke von zwei, drei Stunden Dauer, diese ewige Abfolge von Da-capo-Arien zu hören, kann mitunter eine sehr ermüdende Angelegenheit sein. So fielen die Operneinspielungen des amerikanischen Musikwissenschaftlers Alan Curtis – von Krimiautorin und Händel-Fan Donna Leon gesponsert – trotz hochkarätiger Besetzungen oft recht langweilig aus.
Wie man Händel heute auf die Sprünge helfen kann, das zeigten am Mittwoch beim Musikfest die Mezzosopranistin Lea Desandre und das Ensemble Jupiter aus Frankreich in der leider nur mäßig besuchten Glocke. Das 70-Minuten-Programm mit einem Dutzend Arien und Instrumentalstücken aus sechs Händel-Oratorien überforderte niemanden, und dieses "Best of" wurde mit musikalischer Spannkraft und Fantasie abwechslungsreich umgesetzt. Eine muntere Truppe: Die acht Instrumentalisten, die meisten in ihren Dreißigerjahren, machten den Eindruck einer eingeschworenen Wohngemeinschaft aus Studentenzeiten.
Der graugelockte Kontrabassist Doug Balliett zupfte so schwungvoll, als komme er direkt aus dem Jazzkeller. Der smarte Cellist Cyril Poulet setzte jede Regung der Musik in anfeuernde Blicke um. Bratschist Jasper Snow mit dem Spitzbart, elastisch in den Knien federnd, wirkte wie ein Bogenschütze bei Robin Hood, Schwarzbart Neven Lesage wie ein cooler Räuber Hotzenplotz mit zwei scharf geladenen Oboen. Lautenist Thomas Dunford, der das Ensemble 2018 gegründet hat, verkörpert den Typus braver Schuljunge, der es faustdick hinter den Ohren hat – er führte fröhlich in deutsch-englischem Mix durchs Programm, was gut ankam.
Die drei Damen an den Außenposten – die keck lächelnde Violaine Cochard an Cembalo und Orgelpositiv sowie die elegant führenden Geigerinnen Louise Ayrton und Augusta McKay Lodge – schienen immer leicht amüsiert auf diese flippigen Kollegen zu blicken, als wollten sie sagen: Wir kriegen euch schon in die Spur. Und Lea Desandre, barfuß, in weißer Weste und weißer Hose, stand wie ein Engel dazwischen und sang mit großer Empfindsamkeit und Virtuosität.
Mit sprudelnden Koloraturen
Ihr warmer, agiler, mit langem Atem geführter Mezzosopran, der in der Höhe enorme Kräfte entfalten kann, nahm schon in der Trauerarie "With darkness deep" der Theodora für sich ein. Abrupter Wechsel: In einer Rachearie aus dem "Gelegenheitsoratorium" ließ Desandre Koloraturen im Stil Cecilia Bartolis aus ihrer Kehle sprudeln. Großen Effekt machte sie auch in "Joseph und seine Brüder", wenn Händel auf dem Wort "swell" den Ton über mehrere Takte anschwellen und die Melodielinie dann nachtigallengleich in die Höhe schwingen lässt. Herrliche Ruhepunkte bildeten der mit dunkel gefärbten Vokalen ausgestattete Auftritt der Königin von Saba und das Schutzengelgebet aus "Der Triumph von Zeit und Wahrheit" – beide mit sattem Sound begleitet und von der Oboe umspielt.
Das Ensemble Jupiter streute immer wieder mit leichtem Swing Orchestertänze ein, darunter die Sarabande, die Stanley Kubrick in seinem Historienfilm "Barry Lyndon" verwendet hat. Zuletzt überschlugen sich alle in der feministisch auftrumpfenden Arie der Semele, die den Verführer Zeus ansehen will: Lea Desandre brannte noch mal ein Koloraturfeuerwerk ab, gefühlt 95 Töne in acht Sekunden. Das musste wiederholt werden, eine weitere Zugabe erwies sich als poppige Improvisation, die dritte durfte das Publikum vierstimmig mit ein paar Tönen untermalen. Eine nette Idee, aber an diesem Abend hätte man sich durchaus gern noch an weiteren Händel-Arien sattgehört.