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Musikfest Bremen Warum Countertenor Alois Mühlbacher sich früher oft gegruselt hat

Vom Knabensopran zum Countertenor: Alois Mühlbacher spricht über seine musikalische Reise und seine Beziehung zum Musikfest Bremen.
12.07.2024, 05:00 Uhr
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Von Kai Luehrs-Kaiser

Herr Mühlbacher, als Countertenor treten Sie mit den St. Florianer-Sängerknaben auf, denen Sie früher als Knabensopran angehörten: damals als Star unter Gleichaltrigen. Heute, vergleichsweise, im Onkel-Alter. Wie geht es Ihnen damit?

Alois Mühlbacher: Es fühlt sich immer noch schön an, mit dem Chor aufzutreten, der meine musikalische Heimat war. Übrigens fahren nach Bremen auch etwas ältere Sänger mit. Beim Bruckner-Programm treten wir gemischt auf. Ich fühle mich wohl, denn ich bin unter Freunden.

Damals waren Sie ein Weltwunder. Heute, als Countertenor, sind Sie einer von vielen. Auch okay?

Man versucht, seine Nische zu finden. Etwas, mit dem man noch einmal Außergewöhnliches bieten kann. Ich versuche es, indem ich auch romantisches Lied-Repertoire singe, was sonst Countertenöre nicht tun. Aber Sie haben völlig recht: Es gibt viele grandiose Countertenor-Kollegen. Die Kunst besteht darin, sich einzureihen.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Sie als Knabensopran dermaßen gut waren?

Vermutlich deswegen, weil ich es wollte. Ich hatte mit zehn Jahren meine Berufung entdeckt, es war mein absoluter Lebenssinn. Ich war wahnsinnig ehrgeizig und wollte der Beste sein.

Ehrgeiz bringt so viel?!

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Ja. Die Stimme wurde größer und sozusagen länger. Die Königin der Nacht, ebenso Zerbinetta und sehr hohe Sopranarien waren kein Problem für mich. Meine Stärke war, dass ich sehr gut imitieren konnte. Edita Gruberová habe ich damals stundenlang angehört und erfolgreich nachgemacht.

Sie haben damals deutlich mehr gewogen als andere. Bedeutete das etwas?

Ja, essen war mir ganz wichtig. Die erste Auster wurde mir übrigens von dem Dirigenten René Jacobs kredenzt. Ich war übergewichtig. Allerdings würde ich sagen, dass die Stimme in einem Körper, der etwas mehr auf den Rippen hat, auch besser resoniert.

Sie sprechen, wenn wir uns so unterhalten, ein unverkennbar österreichisches Deutsch. Wie schaffen Sie es, dass man das beim Singen nicht merkt?

Das können fast alle Österreicher, die professionell im klassischen Gesang oder auch im Schauspiel unterwegs sind. Ich habe gelernt umzuschalten. In Interviews versuche ich, ein gepflegtes Deutsch an den Tag zu legen. Aber das Österreichische, ganz klar, rutscht immer wieder durch.

Beim Musikfest Bremen treten Sie als Solist mit frühen Werken von Anton Bruckner auf – ein Komponist, in dessen Gegenwart Sie sozusagen aufgewachsen sind. Der Sarg Bruckners steht im Keller der Kirche von St. Florian. Hatte das damals für Sie nicht etwas Schauriges?

Ja, wir haben uns auch gegruselt. Bruckner, der selber Sängerknabe in St. Florian gewesen ist, gilt als das Aushängeschild des Klosters. Als der größte Sängerknabe von allen. Der Sarg unter der Kirche verströmte übrigens weniger eine unheimliche als eine mystische, ergreifende Stimmung für uns. Auf einer CD von mir – mit dem Titel „Erinnerung” – singe ich sogar zur originalen Bruckner-Orgel. Das war für mich natürlich das Größte.

Bruckner war ein kleiner, dicker, zutiefst gläubiger Mann, der lange vom Misserfolg verfolgt wurde. Ein Beispiel dafür, dass es Sinn macht, dranzubleiben, auch wenn der eigene Weg verworren scheint?

Ja, so könnte man es sagen. Man sollte allerdings berücksichtigen, dass das Bild Bruckners reichlich einseitig ist, wonach er ein untersetztes Bauernkind war, das mit Vorliebe Knödel und G'selchtes verspeiste. Bruckner war ein hochgebildeter Mann. Vor allem stand ein großer Wille hinter allem, was er tat. Ohne den langen Atem, den man seinen Werken ja auch anhört, wäre er sicherlich irgendwo auf halbem Wege verloren gegangen.

Ein Knabenchor als Institution dient auch dem Zweck, einen Raum zu bieten, in man kein Außenseitergefühl entwickelt. Funktionierte das, als Sie anfingen?

Ja, wir waren unter Gleichgesinnten. Außerdem wurde uns unser hoher Stellenwert durchaus vermittelt. Als Chorsolist hatte ich schon das Gefühl, eine Art Alleinkämpfer zu sein. Auch die Verantwortung, die auf mir lastete, war mir wohl bewusst. Das ist jetzt wieder ähnlich. Nur dass ich nicht mehr innerhalb des Chorverbandes lebe.

Sondern?

Im Hause meiner Eltern, aber von Ihnen getrennt, ein Stockwerk drüber. Mein Freundeskreis ist viel breiter aufgestellt als damals. Die besten Freunde sind keine Musiker. Die Sorgen aber, das ist schon richtig, hat man immer allein.

Worin bestehen Ihre Sorgen?

In einem ständigen Erwartungsdruck. Ich muss unbedingt topfit bleiben, und für alles sorgen, damit ich es nicht verpatze. In Wirklichkeit braucht es Glück dafür, dass man sein Leben meistert. Auch das macht Sorgen. Man braucht eine mentale Stärkung.

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Wo holen Sie sich Ihre mentale Stärkung?

Ich habe dafür seit einiger Zeit einen Mentalcoach. Da gibt es Abklopfübungen, Atemübungen. Es geht grundsätzlich eher darum, das Ganze zu denken. Also die größeren Zusammenhänge nicht aus den Augen zu verlieren. Das ist für mich auch immer noch ein Stück Krisenbewältigung. Ich hatte, als ich klein war, eine tolle Stimme, die über unglaublich viele Möglichkeiten verfügte. Mit dem Stimmbruch funktionierte das alles plötzlich nicht mehr. Ich musste durch eine enorme Leere gehen. Jetzt erst, zehn Jahre später, gelingt es mir wieder, eine gewisse Freiheit zu empfinden und musikalisch der Intuition zu folgen.

Das Gespräch führte Kai Luehrs-Kaiser.

Info

"Happy Birthday, Anton!" heißt das Konzert beim Musikfest Bremen am Dienstag, 3. September, 19.30 Uhr, in der Kirche Unser Lieben Frauen. Mit dabei sind die St. Florianer-Sängerknaben, Alois Mühlbacher, Franz Farnberger (Klavier) , Klaus Sonnleitner (Orgel) und Markus Stumpner (Leitung).

Zur Person

Alois Mühlbacher (28),
geboren am 13. Juli 1995 in Hinterstoder, galt als einer der besten Knabensoprane. Er war Chorsolist der St. Florianer-Sängerknaben. Heute ist er als Countertenor gut im Geschäft. Er lebt nach wie vor in seinem Heimatort im oberösterreichischen Traunviertel.

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