Mit leerem Blick sitzt Karl Schmidt (Charly Hübner) an seinem Küchentisch. Vor ihm ein voller Aschenbecher und ein Leberwurstbrot. Um ihn herum Menschen, denen man ansieht, dass es das Leben nicht unbedingt gut mit ihnen gemeint hat. Schmidt lebt in einer Hamburger Drogen-WG. Fünf Jahre zuvor, 1989, musste er in die Psychiatrie. Vielleicht aufgrund der Folgen seines Drogenkonsums, vielleicht war aber auch nur seine Mutter daran schuld, wer weiß das schon so genau. Jetzt ist er also hier, versucht zurück ins Leben zu finden, und sein Betreuer (Bjarne Mädel) sorgt dafür, dass er dabei auch schön in der Spur bleibt.
Als er jedoch seinen alten Kumpel Raimund (Marc Hosemann) trifft und dieser ihm erzählt, dass er und ihr gemeinsamer Freund Ferdi (grandios: Detlev Buck) mittlerweile ein eigenes Techno-Label mit dem Namen „Bumm Bumm Records“ in Berlin haben, beschließt Schmidt – den in Berlin alle nur Charly nennen – seinen bevorstehenden Urlaub heimlich lieber dort zu verbringen, anstatt wie von seinem Betreuer vorgeschrieben entspannt in der Lüneburger Heide.
Raimund und Ferdi verdienen mit ihrer Firma jede Menge Geld, denn die Techno-Szene boomt in den 90er-Jahren. Jetzt, betont Ferdi immer wieder, bräuchten sie neben dem Geld aber mal „was für die Seele“. Gemeinsam mit ein paar angesagten DJs ihres Labels soll es auf große Rave-Tour quer durchs Land gehen. Das Problem: Alle wollen feiern, trinken, Drogen nehmen. Wer soll fahren?
Nüchtern durch die Clubs
Da kommt Charly, der den Suchtmitteln abgesehen von Kaffee und Zigaretten komplett abschwören musste, genau richtig. Ehe er sich versieht, fährt er den Tourbus der „Magical Mystery“-Tour (deren erste Station Bremen ist!), und sorgt dafür, dass alle nach der Party heil ins Hotel zurückkommen. Ganz nebenbei kümmert er sich noch rührend um die zwei Meerschweinchen Lolek und Bolek, die einer der DJs mit auf Tour genommen hat und die schnell zu einem Teil der schrägen Rave-Familie werden.
„Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“ basiert auf dem gleichnamigen Roman des Element-Of-Crime-Sängers und Autors Sven Regener („Herr Lehmann“), der auch das Drehbuch zum Film schrieb. Regie führte Arne Feldhusen („Stromberg“). Der Film ist herrlich unaufgeregt und überzeugt durch die Lakonie seiner Dialoge, die auch für Regeners Bücher charakteristisch ist. Vor allem aber durch seine skurrilen, verschrobenen Charaktere, für die das Leben eine reine Party ist und das Morgen keine Rolle spielt.
Eine nette Zeitreise in die 90er-Jahre
Ganz nebenbei ist der Film noch eine nette Zeitreise zurück in die 90er-Jahre – mit den ersten riesengroßen Handys, den für die Rave-Szene typischen Plateauschuhen, Netzhemden und grausamen Frisuren sowie dem Blick auf ein Land, in dem das Wort Rauchverbot quasi noch nicht existierte. Mehr noch als alle anderen muss aber Charly Hübner hervorgehoben werden. Er spielt seine Rolle als psychisch angeschlagener, ehemaliger Künstler, der nüchtern und clean mit einer Horde Feierwütiger im Nachtleben klarkommen muss, so überzeugend, dass man zwischenzeitlich fast vergessen könnte, dass er nur eine Rolle spielt. Hübner schafft es, das Introvertierte und die gleichzeitige Souveränität, die innere Unsicherheit und äußere Ruhe seines Charakters auf beeindruckende Weise zu vereinen.
Als Zuschauer verfolgt man gebannt seine Verwandlung vom gezeichneten Absteiger zum durchsetzungsstarken DJ-Betreuer. Während er in Hamburg vorgeschrieben bekommt, was er zu tun und zu lassen hat, hat Karl „Charly“ Schmidt bei seinen Berliner Freunden das Sagen, übernimmt die Verantwortung für andere anstatt andere für ihn. Ein Mann, den das Leben schon fast abgeschrieben hatte, wird auf einmal zur guten Seele und zum unersetzlichen Ruhepol einer ganzen Gruppe. Und so sieht Charlys Zukunft auf einmal doch viel rosiger aus, als er dachte. Denn auch Wege fernab der Spur können durchaus zurück ins Leben führen.
"Magical Mystery", ab dem 31. August in den Kinos. In Bremen unter anderem in der Schauburg oder im Cinemaxx.