Ein animiertes Blitzlichtgewitter geht auf der Bühnenleinwand nieder. Dann schlendern unter großem Applaus Peter Maffay und seine sechs Musiker sowie zwei Backgroundsängerinnen zu ihren Mikrofonständern und Instrumenten. Maffay entledigt sich seiner schwarzen Lederjacke, greift seine E-Gitarre und spielt die ersten Töne des Songs „Niemals war es besser“. Es ist der Anfang vom Ende des Mercedes-Benz Open Air, mit dem das Bremer Werk am Sonnabend auf seinem Gelände in Sebaldsbrück seinen 40. Geburtstag feiert.
Zu Maffays Auftritt haben viele der rund 40.000 Besucher schon fast sieben Festival-Stunden hinter sich. Den Anfang macht Popsänger Johannes Oerding, der abends noch ein weiteres Konzert in Nordrhein-Westfalen gibt. Nach ihm folgen die Newcomer Niila und Tim Kamrad, bevor Softrockerin Christina Stürmer auf die Bühne stürmt.
Nach dem Auftaktsong „Neue Farben“ gesteht die immer gut gelaunte Österreicherin ihre Nervosität. „Das ist ein riesengroßer, fetter Platz und ihr seid so unfassbar viele“, ruft sie mit Wiener Dialekt dem vom Alter her bunt durchmischten Publikum zu. Falls die Aufregung in ihr tatsächlich so überkocht, wie sie sagt, als sie sie ihre Jacke auszieht, lässt sie es sich jedenfalls nicht anmerken.
Von drei Gitarristen und Bassisten sowie einem Drummer begleitet, fordert Stürmer die mehrheitlich weiblichen Besucher immer wieder zum Mitsingen und Mitgehen auf. Sie selbst zeigt sich bei ihren eher rockigen Nummern wie „Amelie“ geradezu ansteckend springfreudig. Das Mitsingen klappt besonders gut bei dem Cover der Prinzen „Alles nur geklaut“, bei dem sich wohl mehr Leute textsicher zeigen als bei Stürmers eigenen Hits. Spätestens bei „Ich lebe“, dem Song, „mit dem alles angefangen hat“, wie Stürmer sagt, stimmen neben ihren Fans aber auch die meisten der anderen Besucher ein, die eher für die anderen Künstler gekommen sind. Kurz vor dem Abschlusssong, den traditionell „Engel fliegen einsam“ bildet, feuert sie zwei von der Band signierte T-Shirts mit einer Schleuder über das Gelände. Auf den zweiten Schuss folgt ein kurzer Schreckmoment, da Stürmer die Munition tiefer als geplant ins Publikum schleuderte. Ihre Befürchtung, einen Zuschauer verletzt zu haben, stellt sich per Nachfrage durchs Mikrofon aber als unnötig heraus.
Nach einer halbstündigen Pause schreiten die fünf Musiker von „Sunrise Avenue“ ans Werk. Von einem auf der Leinwand begleiteten Feuerwerk spielen sie „Prisoner in Paradise“. Die Band hat das Treiben vor ihnen mit ihren Songs, die laut Frontmann Samu Haber alle von „Leben, Liebe und gebrochenen Herzen“ handeln, direkt im Griff. Gerade Haber beweist immer wieder, dass er das Spiel mit dem Publikum perfekt beherrscht. So schnellen auf sein wiederkehrendes „Hands up“ umgehend unzählige Hände in die Höhe, nach „Lauter bitte!“ wird es laut. Und wenn er in den wenigen stillen Momenten näher zum Bühnenrand trottet, geht ein lautes Kreischen durch die vorderen Reihen. Seine wenigen, aber sehr ausführlichen Ansprachen hält er teils auf Deutsch, teils auf Englisch, was immer wieder zu Lachern führt. Etwa als er darum bittet, die teils obszönen Plakate herunterzunehmen, weil sie eine Etage weiter oben zu Verwirrung führen. „Gerade this schmutziges Ding da“, sagt er mit seiner rauchigen Stimme und zeigt in die Menge.
Fans genießen „kleine Zeitreise“
Zu „Flag“ strecken dort viele Fans ausgeschnittene Herzen und einige Finnland-Fahnen in die Höhe. Bei anderen Liedern wie „Unholy Ground“ sind es vor allem Zeigefinger, die selbst in den hintersten Reihen gen Himmel schießen. Ihre beiden bekanntesten Hits spielen sie leicht abgewandelt: „Fairytale Gone Bad“ wird in der ersten, eher ruhigeren Strophe nur von einem Keyboard begleitet, „Forever yours“ fällt düsterer aus als in der bekannten Version.
Nachdem Altrocker Maffay das Finale des Open Airs eröffnet hat, kündigt er eine „kleine Zeitreise an. „Wir werden auch Songs spielen, die etwas älteren Datums sind“, sagt er und erntet begeisterte Zurufe. Es folgt „Weil es dich gibt“, die zu seinen langsamen Stücken gehört. Dazu zählt ebenfalls das von der DDR-Rockband „Karat“ geliehene „Über sieben Brücken musst du gehen“. Die Ballade, die früher vor allem hochgehaltene Feuerzeuge untermalten, begleitet heutzutage ein Lichtermeer aus Smartphone-Taschenlampen. Maffay ist sichtlich erfreut von der Teilnahme vor ihm: Immer wieder schreitet er zwischen den Bühnenrändern auf und ab und grüßt mit ausgestreckten Finger in das Publikum, das er wie gewohnt mit „Liebe Freunde“ anspricht. Mal springt er hoch auf das Podest, auf dem das Schlagzeug steht, und beendet dort einen Song. Dann klettert er nach unten, geht auf Tuchfühlung mit den Fans und stellt sich auf einen umgedrehten Lautsprecher.
Gerade bei seinen alten Hits zeigen sich viele Fans textsicher. So auch bei „Es war Sommer“, einem Lied, das entstanden ist, „als viele von euch noch gar nicht geplant waren“, wie Maffay sagt. Der Altrocker interpretiert es nicht alleine, sondern von Anfang bis Ende zusammen mit den Besuchern, die trotz der vielen vorherigen Auftritte weiter in Sing- und Tanzlaune singt.
Zum Finale spielen Maffay und Band, zu der sich inzwischen auch sein Saxofonist gesellt hat, das eher zu den neueren Songs gehörende „Gelobtes Land“. Während im Hintergrund Aufnahmen des Motorrad fahrenden Maffay erscheinen, wird besonders das Saxofon-Solo mit lautem Klatschen quittiert. Im Anschluss reiht sich die Band für ein Abschiedsfoto vor dem Publikum auf – und wendet ihm den Rücken zu, wofür Maffay um Entschuldigung bittet. Dann legt er seine Arme um die Schultern zweier seiner Mitstreiter, die beide mehr als einen Kopf größer sind als er. Er springt hoch und sie greifen ihm unter die Beine, was für große Erheiterung sorgt. Danach treten Maffay und Band ab, kehren kurz darauf aber zurück. Es folgt die Zugabe „Halleluja“ – der Abschluss des langen Festivaltages.