Don Quijotes Leben ist nicht einfach. Beeinflusst von zahlreichen Ritterromanen möchte er die ganz großen Abenteuer erleben. Für seine Fantasiewelt scheint die Gesellschaft jedoch nicht bereit zu sein. Immer wieder muss er sich zurechtfinden zwischen seinen Träumen und der Realität, kein Wunder, dass er geistig langsam abbaut.
Für die unterschiedlichen Wachzustände braucht es in der Inszenierung von Jörg Steinberg in der Shakespeare Company auch gleich eine dreifache Besetzung des Don Quijote. Wohingegen sein treuer Knappe, Sancho Pansa, gleichbleibend von Michael Meyer verkörpert wird.
Markus Seuss ist eingangs ein lauter Don Quijote, ein Wörterheld mit langem dunklem Bart und Aluhelm, ein Getriebener mit Abenteuerlust. Sancho Pansa – schmuddeliges Bauernhemd, Strohhut und gelber Jutebeutel – ist ebenso quirlig wie ängstlich, doch selbst in brenzligen Situationen vergisst er das Scherzen nicht. Angetrieben vom Gedanken, selbst ein fahrender Ritter zu sein, bricht Don Quijote zu einer großen Reise auf, die Regisseur Steinberg und Dramaturg Holger Kuhla nach der Cervantes-Übersetzung von Ludwig Tieck neu arrangiert haben. Mit dabei ist sein Knappe, dem Quijote eine eigene eigene Insel verspricht. Unter Tischen, über Stühle, zwischen Ventilatoren und einzeln stehenden Säulen beginnt das Spiel mit der Illusion.
Eine zermürbende Fantasiewelt
Don Quijote de la Mancha ist bereit, Heldenhaftes zu leisten, seine Ehre zu verteidigen und ganz ritterhaft auch die der Armen und Schwachen. Einen Knecht, gefesselt an eine Putzstange, befreit er von den Schlägen seines wütenden Herrn. Sancho Pansa springt Don Quijote unermüdlich zur Seite, doch kann er vieles nicht begreifen, was sein Herr sieht, hört und fühlt: Zauberer, die eine Prinzessin entführen, einen goldenen Ritterhelm, der für Sancho Pansa ein gewöhnliches Babierbecken darstellt oder bösartige Riesen, die für den Knecht Windmühlen sind.
Fast immer enden diese Abenteuer mit Prügel oder Selbstverletzung. Ohne Sancho wäre Don Quijote schnell ein Opfer seiner selbst. Doch der Knecht verbindet ihm das blutende Ohr, setzt ihn wieder auf den Holzhocker, den Gaul Rosinante, und wird nicht müde, ihm die Wahrheit zu soufflieren: "So glaubt mir doch bitte, es sind Windmühlen."
Während Kinder beseelt und aufgeregt aus einer Fantasiewelt wieder auftauchen, wirkt Don Quijote zunehmend zermürbt und müde. Erik Rossbander mit grauem Bart, verbundener Schläfe und goldenem Babierbecken als Helm auf dem Kopf, wirkt als Don Quijote geschwächt, unermüdlich will er jedoch weiter durch die Welt ziehen. In einer einfachen Schänke, die ihm als Kastell erscheint, schwingt er zu Lieferpizza eine große Rede. Der immer hungrige Sancho Pansa kommt wieder nicht zum Essen, aber dieses Mal, weil er unverhofft eine andere Aufgabe erhält. Die Wirtsleute überlassen ihm das Gitarrenspiel, er spielt einen Mix aus Volkslied und The Animals. Die Auftritte des Duos sind eine Lobrede auf die Freundschaft. Diese scheint aber zu kippen, als sich Don Quijote – nach einem Kampf mit Rotweinschläuchen – nackt Sancho, dem Publikum und, nun ja, der Wahrheit präsentieren will. Nur, was ist wahr?
Schein oder Sein
Der letzte Teil beginnt mit einer Auseinandersetzung zwischen Mönch und Dorfpfarrer, die in der Inszenierung abwechselnd von Erik Rossbander und Peter Lüchinger gespielt werden. Sie überlegen, wie sie Don Quijote, den Verrückten, mit einer List wieder ins Dorf zurückbringen können.
Zur Vernunft gebracht werden kann er nicht, deswegen muss die Liebe her, ein echtes Gefühl, das jede Illusion übersteht. Er ist Dulcinea von Toboso verfallen, in seinem Geiste eine schöne Adlige, doch Sancho kennt sie aus dem Dorf, "ein Bauernweib mit Haaren auf den Zähnen". Hier übertreibt Regisseur Steinberg allerdings. Die Freundschaft und die gemeinsame Reise der Weggefährten wären ausreichend, die Idee von Heldentum und den Konflikt zwischen Ideal und Realität zu erörtern. Die Nebenstränge mit den Dorfbewohnern sind zwar Teil des spanischen Epos' und durchaus amüsant, aber zu viel für den Abend.
Die Schlussphase erörtert wenig überraschend, aber brillant erneut die Wahrheitsfrage. Ist es nun ein Babierbecken oder ein Ritterhelm? Das Publikum ist unentschlossen. Je nach Perspektive und Gebrauch kann es eben beides sein.