Das Haus ist zu, die Foyers verwaist, auch die Theaterkasse ist derzeit kein Ort von Vorfreude. Und doch keimt am Theater Bremen leise Hoffnung; am vergangenen Wochenende haben sie in Berlin ausprobiert, wie das gehen kann, Theater in Zeiten von Schlagwörtern wie Inzidenz, Impfstoff, Schnelltest. Das Berliner Ensemble hat negativ getestete Zuschauer mit einer Aufführung von „Panikherz“ beglückt, die Philharmoniker zu einem Abend unter der Leitung von Kirill Petrenko geladen. Der Aufwand war ungewohnt für alle Beteiligten, die Karten aber im Nu ausverkauft.
Ein Modell auch für Bremen, selbst wenn der Lockdown gerade bis zum 18. April verlängert worden ist? Derzeit ist die Inzidenz knapp unter der magischen Marke von 100, der Senat könnte beschließen, die Theater zu öffnen, macht es aber nicht. Intendant Michael Börgerding sagt dazu: „Natürlich spielen wir wieder, wenn wir spielen dürfen - und wenn es tatsächlich nur für ein getestetes Publikum sein darf, dann werden wir eben zertifizierte Tests aus den Testzentren oder Tagestickets wie in Tübingen beim Einlass kontrollieren. Vermutlich würden wir auch vorab selber testen oder zumindest die Möglichkeit von Tests vor Beginn der Vorstellung anbieten“.
Es wird aber nicht nur gehofft am Theater, es wird auch ganz simpel wieder gearbeitet. Wenn vor Zuschauern gespielt, getanzt und gesungen werden kann, will man vorbereitet sein und dem Publikum Neues anbieten. Proben im Schauspiel, im Moks und im Musiktheater finden seit Anfang März statt. Als erste Premiere stünde Paul-Georg Dittrichs „autobiografisches Musikprojekt“ namens „Ich bin Carmen“ auf dem Plan, das am 10. April Premiere haben soll. Ein Termin mit einem sehr dicken Fragezeichen dahinter.
Auf Abstände wird penibel geachtet
Unter dem Dach des Schauspielhauses, hinter einer schweren Tür, die zur „Probebühne Hübner“ führt, arbeiten derweil Regisseur Frank Hilbrich und Generalmusikdirektor Yoel Gamzou an ihrer Version der Kammeroper „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss. Die Premiere ist für Sonntag, den 2. Mai geplant.
„Maske auf oder Maske ab?“ fragt Sopranistin Nadine Lehner, die gerade eingetroffen ist. FFP-2 kann in der Tasche bleiben, auf die Abstände zwischen den Akteurinnen und Akteuren und zum Regieteam wird penibel geachtet. „Wir messen das genau aus mit unserem Drei-Meter-Seil“, sagt Frank Hilbrich. Dementsprechend weit voneinander entfernt sind alle auf der Bühne. Zum Vorspiel der Oper gibt Lehner, die in die Rolle des Komponisten geschlüpft ist, im Vordergrund eine Pantomime, rauft sich die Haare, schreibt hektisch etwas in ein Heft, zerreißt auch schon mal eine Seite. Rechts und links von ihr - Leere.
Im Hintergrund platziert sind die Baritone Birger Radde und Christoph Heinrich sowie Christian Bergmann von der Shakespeare Company, die quasi die Ur-Konfliktszene der Oper proben: sogenannte ernste Musik gegen sogenannte Unterhaltungsmusik. Die geplante „niedrige Posse“, bemäkelt Radde als Musiklehrer, werde der Komponist „nie und nimmer“ in der Nähe seiner Oper dulden. Christoph Heinrich und Christian Bergmann als Haus- und Hofmeister weisen den Musiklehrer in seine Schranken. Natürlich ebenfalls mit einigen Metern zwischen sich. Links und rechts der Szenerie sitzen zwei Musikerinnen an Klavier und Harmonium - das alles ist quasi Ariadne auf Corona.
„Es ist ja vor allem großartig, dass wir wieder arbeiten dürfen, wir sind wirklich ausgehungert“, sagt Frank Hilbrich in einer Probenpause. Man nehme Corona sehr ernst, aber „der Mensch ist erst Mensch, wenn er spielt“. Damit das möglich ist, werden die Bremer Philharmoniker bei den Vorstellungen zum Teil auf der Bühne platziert, weitere Musiker in den Seitenlogen. Der Inhalt der Oper selbst (siehe nebenstehenden Text) sei zudem völlig unvermutet zu einem Symbol der jetzigen Situation geworden. Das findet auch der musikalische Leiter Yoel Gamzou - „es geht ja um ein Opernwunder, das stattfinden soll, mit Haken und Ösen.“ Eigentlich wäre derzeit sowieso jede Musiktheateraufführung als kleines Wunder zu feiern.
Bei diesem Maß an aufs Aktuelle zielender Symbolik wollen es Hilbrich und Gamzou belassen. Das Virus oder die Pandemie selbst sollen keine Rolle spielen - sondern die im Stück angelegten unterschiedlichen Positionen zum Leben und, vor allem, zur Liebe. „Schwebende Ambivalenz“ nennt Hilbrich seine Grundidee für die Inszenierung, die tragische, ernsthafte Ariadne wird mit der flatterhaften, pragmatischen Zerbinetta konfrontiert. Beide schauen sich etwas voneinander ab.
Für Yoel Gamzou ist „Ariadne auf Naxos“ auch eine Bestärkung seiner Auffassung, dass es „keine Dichotomie zwischen ernster Musik und Unterhaltungsmusik“ gibt, sondern diese „immer nur herbeigeredet wird“. Denn auch musikalisch ist das Werk eine Mischung aus den Bestandteilen der ernsten und der komischen Oper, zitiert Mozart, Schubert oder die italienischen Komponisten Donizetti und Bellini. Das Schaffen von Musik an sich wird also auch Thema der Inszenierung sein. Auf der Bühne, so viel darf schon mal verraten werden, werden daher auch „viele Klaviere“ zu sehen sein, so Frank Hilbrich. Am 2. Mai dann. Oder auch später, so wie Corona es zulässt.
Ariadne auf Naxos
ist der Titel einer Kammeroper von Richard Strauss, nach dem „Rosenkavalier“ von 1911 erneut zu einem Text von Hugo von Hofmannsthal. Uraufgeführt wurde das Werk 1912, in einer zweiten Version 1916. Gleichzeitig ist „Ariadne auf Naxos“ auch der Titel einer Opera seria in der Oper. Am Hof des reichsten Mannes von Wien sollen bei einer Abendgesellschaft ein ernsthaftes Stück Musiktheater eines jungen Komponisten, eben „Ariadne auf Naxos“, gegeben werden. Und gleich danach eine derbe Opera buffa im Stil der Commedia dell'Arte. Der Komponist ist empört, umso mehr, als die neue Anweisung heißt: Beide Stücke werden gleichzeitig gezeigt. Zerbinetta, die Hauptdarstellerin der Opera buffa, kann die Wogen jedoch glätten, und so wird die ernste Oper mit komischen Einlagen aufgeführt. Und auch der Komponist ist schließlich zufrieden.