Der Geruch von Lack und Farbe liegt in der Luft, auf einem Wäscheständer in der Ecke hängen zwei Bonitos zum Trocknen. Ein paar Meter weiter auf einem Tisch baumeln an Haken zwei weitere Meeresbewohner, die gerade erst mit einer weißen Grundierung versehen wurden. An der anderen Seite des Raumes versteckt sich ein gepunkteter, rötlicher Gotteslachs unter einer Plane. In direkter Nachbarschaft: ein weiterer Bonito und eine Grüne Meeresschildkröte, die schon ziemlich lebensecht aussehen. Zwischen alle dem steht Ruth Nüß, Präparatorin im Bremer Übersee-Museum, und sorgt mit Lupenbrille, vielen kleinen Töpfchen und Tiegelchen, Pinseln, Sprays und Fläschchen gerade dafür, dass ein großer Gelbflossen-Thunfisch seinem Namen auch gerecht wird.
Nüß steckt mitten drin in den Arbeiten für die neue Ozeanien-Ausstellung, die – nach einer Verschiebung – Ende März des kommenden Jahres im Übersee-Museum eröffnet werden soll. Bis dahin gibt es noch viel zu tun. Viele alte Objekte, die schon zuvor in der Ausstellung waren, müssen restauriert, viele neue erst noch geschaffen werden. Und aktuell sind eben die Fische an der Reihe. Insgesamt neun Fische und eine Schildkröte muss Nüß für einen neuen Ausstellungsbereich vorbereiten, der unter dem Thema Ressourcen laufen soll und unter anderem auch das Thema Langleinenfischerei behandeln wird. Denn auch, wenn diese lange als schonende Fangmethode galt, weiß man mittlerweile, dass auch bei dieser Form der Hochseefischerei neben gezielt gefangenen Speisefischen – etwa dem Bonito oder der Makrele – auch zahlreiche Meerestiere wie Schildkröten oder Blauhaie ungewollt ums Leben kommen. "Darauf wollen wir aufmerksam machen", so Nüß.
Das Modell für einen Blauhai hat die Präparatorin bereits vor langer Zeit komplett selbst gefertigt. Der Gotteslachs und ein weiterer Fisch waren auch schon im Museum zu sehen. Sechs neue Fische hat das Museum jetzt als Bausatz aus Florida geordert, wo man originale Abdrücke von echten Tieren genommen hat, damit die Nachbildungen auch möglichst realistisch aussehen. Aus den sehr unscheinbaren Bauteilen aus Kunststoff hat Nüß die Nachbildungen geformt und bearbeitet sie nun in mehreren Schritten.
Echte Schildkröte zu neuem Leben erweckt
Während die Fische aus Kunststoff gefertigt werden, verbirgt sich hinter der von Nüß aufwendig präparierten Schildkröte ein echtes Lebewesen. Dieses ist 2021 nach einem Dachbodenfund als Geschenk ins Übersee-Museum gekommen, berichtet Pressesprecherin Charlotte Altenmüller. Die Schildkröte habe jahrzehntelang als Dekoartikel über der Tür eines Delikatessengeschäfts gehangen, in dem Lacroix-Schildkrötensuppen verkauft wurde. Denn in den 50er- und 60er-Jahren wurden die Tiere noch intensiv gejagt und ihr Fleisch als Luxusgut verkauft. Erst seit Mitte der 70er-Jahre stehen die bedrohten Reptilien unter Schutz.
"Die Schildkröte war leider ziemlich hässlich und schrumpelig", sagt Nüß. "Wassertiere fallen oft zusammen, wenn sie tot sind." Also musste Nüß viel aufmodellieren, hat mit Epoxidharz-Knete und anderen Materialien mühsam dafür gesorgt, dass die Schildkröte auch ihre typischen Falten, Runzeln und Warzen bekommt. Ebenso Augen und eine Zunge. Zusammengerechnet hat sie etwa sechs Wochen Zeit in das Tier investiert, verrät die Präparatorin. Bei der Arbeit an den Falten der Schildkröte hat Nüß, die bereits seit 25 Jahren im Übersee-Museum arbeitet, "auf jeden Fall noch was dazugelernt". Um die Tiere möglichst realitätsnah zu gestalten, druckt sie sich stets Bilder aus allen möglichen Perspektiven aus: im Wasser, an Land, von oben von unten, Nahaufnahmen von Auge, Mund und anderen Details.
Gerne schaut sie sich auch online in Videos an, wie andere Präparatoren die Tiergattungen, an denen sie gerade arbeitet, umgesetzt haben. "Mein Ziel ist dann immer, dass meine Arbeit noch besser werden soll", so Nüß.
"Da muss ich noch einmal an der Symmetrie arbeiten", ruft Nüß mitten im Gespräch und zeigt stirnrunzelnd auf das Maul ihres Gelbflossenthunfisches. Ob irgendwann der Zeitpunkt erreicht ist, an dem sie selbst zu 100 Prozent mit ihrem fertigen Werk zufrieden ist? Wo sie einen Haken dahinter setzt und beschließt, dass noch mehr Realitätsnähe kaum möglich ist? Darauf hat Nüß eine klare Antwort: "Fertig ist der Fisch eigentlich erst, wenn er wegschwimmt", sagt sie lachend. "Aber man muss auch seine Grenzen kennen."