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Restauriert im Übersee-Museum Palmenblätter für das Südsee-Segel

Während das Übersee-Museum Bremen seine Ozeanien-Abteilung neu gestaltet, restauriert Petra Brockow viele Südsee-Objekte. Aktuell repariert sie trickreich ein Schiffsmodell von den Fidschi-Inseln.
11.08.2023, 05:00 Uhr
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Von Sebastian Loskant

Das Segel, das auf dem Tisch von Petra Brockow liegt, ist fast einen Meter lang. Kunstvolles Flechtwerk, gut hundert Jahre alt. Leider am unteren Rand stark beschädigt, auch an der Spitze klafft ein Loch. "Nein, da haben nicht die Besucher geprokelt", bemerkt die Restauratorin des Übersee-Museums und lacht. "Das ist Materialermüdung. Das Flechtwerk besteht aus Naturfasern, die werden mit der Zeit porös."

Das hölzerne Schiff, zu dem das Segel gehört, steht gleich daneben auf dem riesigen Tisch in der Werkstatt, die sich Brockow mit einer Kollegin teilt. Es ist ein Katamaran, ein schnelles Zwei-Rumpf-Boot, und stammt von den Fidschi-Inseln. "Ein maßstabgetreues Modell", sagt die Diplom-Restauratorin. "Es wurde damals bereits als Souvenir für die Kaufleute gefertigt, die es nach Bremen mitbrachten." Sie weist darauf hin, wie liebevoll jedes Detail ausgearbeitet ist, die Zickzackmuster an den Rümpfen und am Deck, die Öffnungen für die Ladung, die Taue an der  Dachkonstruktion der Kajüte und am Mast. Sogar ein kleines Paddel gibt es.

Das hohe Segel ist aus Blättern der Pandanuspalme geflochten, die man als Zierpflanze auch in deutschen Wohnzimmern kennt. Fingerbreite Streifen wurden zurechtgeschnitten, geglättet, getrocknet und kreuzweise über- und untereinander verschlungen. Die Stellen, an denen sie gerissen sind, flickt Brockow vorsichtig mit neuen Pandanusstreifen; ein kleiner Vorrat liegt neben ihr bereit. "Das Übersee-Museum hat zum Glück einen gut sortierten Material-Fundus."

Falscher Klebstoff glänzt

Sie deutet auf die roten Streifen, die ein Muster im Segel bilden. "Hier war früher schon mal ein Restaurator tätig und hatte offenbar keine Originalfasern." An einer Stelle glänzt deutlich Klebstoff, hier wurde nicht sehr sachgemäß gekittet. Brockow wird sie entfernen. "Aber nicht alles, was frühere Restauratoren gemacht haben, ist schlecht", betont sie. Sie zeigt auf ein anderes Boot, in das ein Kollege zur Stabilisierung Nägel eingeschlagen hat. "Das würde man heute nicht mehr tun. Aber ich wage es nicht, sie herauszuziehen, denn das Holz könnte splittern. Also habe ich die Nägel nur entrostet und eingefärbt, damit sie nicht so auffallen."

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Zurück zum Segel, jetzt wird geklebt: Mit Zelluloseleim befestigt Brockow die neuen Fasern. Um sie zusammenzudrücken, beschwert die Expertin die Stelle mit kleinen Sandsäckchen. Anschließend heißt es warten, bis der Klebstoff getrocknet ist: "In dieser Zeit nehme ich mir andere Objekte vor."

An denen herrscht kein Mangel. Das Übersee-Museum nutzt den Umbau der Ozeanien-Ausstellung bis 2024, um viele Ausstellungsstücke zu säubern und zu restaurieren. Die Kuratoren haben Listen erstellt, große Exponate werden direkt in der Halle repariert ("Auseinanderbauen ist immer heikel"), kleinere landen in einer der zwei Werkstätten. "Es werden sicher mehr als hundert", schätzt Brockow, gut 30 Stücke hat sie bereits instandgesetzt.

Oft geht es darum, ein Objekt gründlich zu entstauben. Wie das Holzhaus mit großen Pandanusblättern auf dem Dach, das sich wie eine Puppenstube auseinanderbauen lässt und in das vielleicht Betelnüsse als Opfergabe für die Gottheiten gelegt wurden. "Staub ist der größte Feind, weil er auch Säure enthält", erläutert sie. Zunächst wird trocken gesäubert. Reicht das nicht aus, reinigt Brockow leicht feucht nach, mit Ethylalkohol oder destilliertem Wasser. Dann kommt mitunter ein kleiner Spezialschwamm zum Einsatz "mit einem Hauch von Feuchtigkeit". Die bindet Schmutz immer noch am besten.

Nur mit Handschuhen

Chirurgische Feinarbeit ist gefragt, die Restauratorin besitzt ein großes Arsenal an Instrumenten. Wattestäbchen, Papiertücher,  Dutzende von feinen Pinseln, Pinzetten und Skalpellen. "Ganz wichtig ist für mich die Stirnlupe", Petra Brockow setzt sie kaum einmal ab, damit ihr – ob Tätowiernadel, Kamm oder Schmuck – kein Detail der Südsee-Objekte entgeht. Ebenso notwendig: Handschuhe. Ohne sie darf kein Objekt berührt werden. "Beim direkten Kontakt übertragen sich Hautpartikel und Schweiß", erklärt die Fachfrau und appelliert an neugierige Museumsbesucher: "Man sollte wirklich nichts anfassen, nicht mal Steine."

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Erst recht empfindlich sind die kleinen Fäden und Hölzchen an den Schiffsmodellen, die im Lauf der Zeit gerissen sind und die sie in Filigranarbeit ersetzt hat. Oder Objekte mit Federn seltener Vögel. Oder Stücke aus Elfenbein, das nicht mehr gehandelt werden darf: "Weil man Ersatz nur mit vielen Sondergenehmigungen erhält, sind wir dankbar, wenn wir ein altes Klavier ausschlachten und die Tasten verwenden dürfen."

Petra Brockow stammt aus Lübeck, sie hat in Hildesheim Konservierung und Restaurierung studiert. In Süddeutschland war sie bei so mancher Kirchenrestaurierung dabei, in Berlin für die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten tätig. Ihr Spezialgebiet ist bemaltes Holz, im Übersee-Museum, wo sie nach seit 2019 arbeitet, hat sie sich um etliche buddhistische Kunstwerke gekümmert, bevor sie vor einem Jahr die Ozeanien-Objekte übernahm.

Was macht den Reiz ihres Berufs aus? Sie lacht und sagt: "Man muss stets aufs Neue findig sein. Es gibt ja nicht für jedes Objekt Standardverfahren. Regelmäßig tauscht man sich mit Kollegen aus und fragt: Was würdet ihr in solch einem Fall tun?" Da sie gerade mit Schiffen zu tun hat, verfolgt sie auch die Rückgabe-Diskussion um das Auslegerboot aus Papua-Neuguinea, eine der Hauptattraktionen im Berliner Humboldt-Forum. Keine Frage, welchen Bestseller sie gerade liest: "Natürlich ,Das Prachtboot' von Götz Aly."

Zur Sache

Die Hairassel

Auf dem Tisch von Petra Brockow im Übersee-Museum liegt auch eine Art großer Halskette, auf die große dunkle Apfelringe gefädelt scheinen. "Das ist eine Hairassel", verrät die Restauratorin. "Und die ,Apfelringe' sind Kokosnussschalen." Die klappern, wenn man die Kette schüttelt. Aber nicht etwa, um Haie zu vertreiben. "Nein, die wird benutzt, um Haie anzulocken und zu fangen." Schon der Wiener Hans Hass, Meeresbiologe und Pionier des Unterwasserfilms, hatte nach dem Zweiten Weltkrieg durch Experimente bewiesen, dass Haie keineswegs blutrünstige Menschenfresser, sondern vor allem erst mal sehr neugierig sind. "Die Bewohner des Fidschi-Inseln wussten das schon lange vorher", bemerkt Brockow, "und nutzten dieses Verhalten für ihre Jagd."

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