Frau Pokhodiashcha, Sie sind seit Kurzem am Focke-Museum beschäftigt. Was aber haben Sie vorher gemacht?
Olena Pokhodiashcha: Eigentlich arbeite ich im Nationalen Historischen Museum der Ukraine in Kyiv, seit ich 1997 mein Studium abgeschlossen habe. Unser Schwerpunkt liegt auf der bildenden Kunst. Ich arbeite dort im wissenschaftlichen Bereich und konzentriere mich vor allem auf die Forschung in der bildenden Kunst, aber verwalte auch die Sammlung von Skulpturen und Gemälden und bereite Ausstellungen vor.
Wie kommt es, dass Sie nun in Bremen sind?
Als der Krieg begann, haben wir uns zunächst für eine Woche in einem Bunker versteckt. Eigentlich hatte niemand damit gerechnet, dass Russland wirklich angreifen würde. Putin hatte zwar immer gedroht, und vielleicht haben auch einige Politiker geahnt, dass er ernst machen könnte, aber die breite Bevölkerung hat nicht daran geglaubt. Deshalb waren die Bunker auch gar nicht auf uns vorbereitet. Wir hatten kein Licht, keine Toilette, kein fließendes Wasser. Nach einer Woche hat mein Vater mich gebeten, meine Mutter zu nehmen und nach Lwiw zu fahren. Er blieb mit den übrigen Männern in Kyiv zurück. Wir waren zwei Wochen in Lwiw, dann fielen auch dort Bomben. Da bekam ich über den ehemaligen Direktor der Forschungsstelle Osteuropa, Wolfgang Eichwede, den Kontakt zum Focke-Museum und schließlich eine Einladung hierher nach Bremen.
Wie war die Lage an Ihrer alten Arbeitsstätte, bevor sie flüchteten?
Das Museum ist natürlich geschlossen. Am ersten Tag des Krieges haben wir die Ausstellungen abgebaut, die Exponate eingepackt und in den Keller gebracht. Heute kämpfen viele meiner männlichen Kollegen, es sind nur noch der Direktor und einige Sicherheitskräfte vor Ort. Zu den Übrigen habe ich jeden Tag Kontakt. Sie berichten, was sie an Hilfsgütern brauchen, zum Beispiel Verpackungsmaterial oder Boxen. Sie haben auch viel Kontakt zu Berliner Kollegen, die einige Transporte organisiert haben, nicht nur zu uns nach Kyiv, sondern auch zu anderen Museen in der Ukraine.
Das Museum ist aber unversehrt?
Das Gebäude ist bisher glücklicherweise verschont geblieben.
Sie haben also keine Kunstschätze verloren.
Wir nicht, aber etwa zehn Museen in meiner Heimat sind zerstört worden, und alle sind besorgt, dass es noch mehr werden. Ein Teil der Objekte wurde bei den Angriffen zerstört, ein anderer Teil ist nach Russland gebracht worden, in der Regel ohne Zustimmung der ukrainischen Regierung.
Konnten die Werke nicht vorher weggeschafft werden?
Es ging alles so schnell, dass es keine zentrale Organisation gab oder Korridore für Kulturgüter. Aus Deutschland kam allerdings sehr viel Hilfe, sodass viele Exponate sicher untergebracht werden konnten. Mittlerweile sind viele Kollegen vorbereitet, falls vermehrt Museen angegriffen werden. Sie sind bereit, Kulturgüter raus zu bringen.
Was ist nun Ihre Aufgabe am Focke-Museum?
Ich habe hier einen Einjahresvertrag bekommen. Ich möchte helfen, die Kommunikation zwischen den deutschen und den ukrainischen Museen zu stärken und Hilfestellung geben, wo sie gebraucht wird. Am Sonntag werde ich beim Tag der Ukraine über unsere Kultur und Geschichte sprechen und das mit den wichtigsten Objekten meines Heimat-Museums illustrieren. Zur Langen Nacht der Museen (Anm. d. Red.: am 18. Juni) biete ich dann eine Führung für Geflüchtete aus der Ukraine an: Fünf Dinge, die Sie über Bremen wissen sollten.
Was wussten Sie, bevor Sie hierher kamen?
Über das Museum nicht viel, aber Bremen ist eine berühmte Stadt. Natürlich kannte ich die Stadtmusikanten, das Rathaus und die Geschichte als Hafenstadt. Ich war zuvor nur einmal in Magdeburg gewesen, um mit dem dortigen Kulturhistorischen Museum eine gemeinsame Ausstellung vorzubereiten. Aber eigentlich wusste ich vor diesem März nichts über das Leben in Deutschland, nichts über den Alltag der Menschen. Jetzt lerne ich diese Menschen kennen und sehe, wie groß ihre Anteilnahme für die Ukraine ist.
Wie sehr unterscheidet sich die Museumsarbeit in Deutschland von der in der Ukraine?
Natürlich ist die technische Ausrüstung in Deutschland anders, da haben wir vielleicht weniger Möglichkeiten, aber ansonsten ist die Arbeit im Prinzip die gleiche. Das Wichtigste ist, dass alle Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter in der ganzen Welt gleich sind: Sie lieben ihre Arbeit.
Das Gespräch führte Simon Wilke.