Bremen – das war lange Zeit kein Name, den die deutsche Klassikszene auf dem Schirm hatte. Seit fast 20 Jahren ist das anders, denn die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen hat sich einen Namen erarbeitet, den man nicht mehr nur in Deutschland kennt. Erstklassig ist das Orchester jedoch schon wesentlich länger.
Seine Anfänger nahm das Orchester 1980. Damals waren eine Reihe talentierter junger Musikerinnen und Musik unzufrieden mit den Bedingungen, die sie in bestehenden Orchestern angetroffen hatten oder von anderen Orchestern kannten. Inspiriert von den Strukturen der Jungen Deutschen Philharmonie gründeten sie einen Verbund freischaffender Künstler, die maximalen Einfluss auf ihr Schaffen haben wollten. Aus dem Kammerorchester der Jungen Deutschen Philharmonie wurde 1987 die Deutsche Kammerphilharmonie. Vor 30 Jahren schließlich fand sie ihre Heimat in Bremen.
Schon bevor der Este Paavo Järvi 2004 die künstlerische Leitung übernahm, hatte das Orchester bereits internationale Auftritte. Aber es war Järvi, der gemeinsam mit der Deutschen Kammerphilharmonie einen neuen Stil in der Interpretation entwickelte, der die historisch informierte vorurteilsfrei mit der traditionellen Position verschmolz. Die Jury des Rheingau-Musikpreises befand dazu 2019, das Orchester habe Interpretationsgeschichte geschrieben. Das gelang sicherlich auch deshalb, weil Järvi als Sohn einer Dirigentenfamilie die natürliche Musikalität einbrachte, die er bei Kapellmeistern in New York und auch bei Leonard Bernstein gelernt hatte.
Beethovenzyklus in Yokohama, Eröffnung der Salzburger Festspiele
Trotzdem wäre die Kammerphilharmonie Bremen vielleicht nicht so schnell erfolgreich geworden, wie es ihr ab da gelang, wäre nicht die künstlerische Leiterin der Glocke im selben Jahr von Bremen nach Bonn gewechselt. Als Intendantin des Beethovenfests berief Ilona Schmiel das ihr aus Bremen bekannte Ensemble direkt für zehn Jahre zum Residenzorchester. Das Beethovenfest profitierte von einem fantastischen Orchester als Markenbotschafter. Gleichzeitig führten die dortigen Begegnungen mit weltberühmten Dirigenten und Solisten dazu, dass die Welt von der Qualität der Bremer erfuhr.
Das bewies das Orchester verlässlich auch außerhalb Bremens und Bonns. Ein Höhepunkt des Schaffens war sicherlich der Beethovenzyklus in Yokohama, ein weiterer die Eröffnung der Salzburger Festspiele – bis zu diesem Zeitpunkt hatten nur die Wiener Philharmoniker dieses Repertoire aufführen dürfen. Die Gäste waren begeistern von den Bremern.
Drei Musikdokumentationen, die die Deutsche Welle in Kooperation mit dem Weltmarktführer Unitel in München mit dem Orchester produzierte, überzeugte Veranstalter in Südkorea und Taiwan so sehr, dass sie das Ensemble für mehrere Jahre verpflichteten, ohne es zuvor live gehört zu haben. Paavo Järvis Vater Neeme Järvi, der in seinem Berufsleben so viele Tonaufnahmen eingespielt hat wie kaum ein anderer Dirigent, soll im Anschluss an einen Auftritt der Deutschen Kammerphilharmonie in New York erklärt haben: Er müsse nun wohl alle bisherigen Aufnahmen vergessen und habe nicht gewusst, dass es möglich sei, so zu musizieren.
Seit 2017 sind die Bremer außerdem das einzige, nicht in Hamburg ansässige Residenzorchester der neuen Elbphilharmonie. Und in der Kölner Philharmonie, wo die Bremer zurzeit ebenfalls „in residency“ sind, konzertierte kein anderes Gastorchester häufiger. Im Juli wird die Deutsche Kammerphilharmonie zudem zum wiederholten Mal bei den BBC Proms, einer traditionellen Sommerkonzertreihe in der Royal Albert Hall in London, zu hören sein. Und wer die Klassik lieber zuhause genießt, kann das mit der jüngst erschienenen CD mit Haydns Londoner Sinfonien tun.
Das blinde Verständnis der Musiker untereinander und ihr Talent sind jedoch nicht die einzigen Besonderheiten des Orchesters: Während sich andere klassische Ensembles meist zu 80 bis 90 Prozent durch öffentliche Mittel finanzieren, ist es bei den Bremern eher andersherum, 70 Prozent ihres Jahresumsatzes von etwa acht Millionen Euro erwirtschaften die Musiker selbst. In Deutschland gelingt das sonst kaum einem Orchester. Vielleicht trägt dazu bei, dass die 41 fest zur Deutschen Kammerphilharmonie Bremen gehörenden Musiker ihr eigenes Unternehmen sind, eine selbstverwaltete Gesellschaft. Sie allein entscheiden über ihr Programm, die Besetzung, Auftritte und Aufnahmen. Der einstige Kontrabassist des Ensembles führt die Geschäfte der gGmbH.
Zukunftslabor in Osterholz-Tenever
Und dann ist da noch eine Besonderheit, die in Bremen ihren Anfang nahm und heute weltweit kopiert wird: Das Orchester wählte 2007 bewusst den Komplex der Gesamtschule in Osterholz-Tenever als Probendomizil. Dort entstand das sogenannte Zukunftslabor. Zwischen Hochhäusern und Kinderarmut begegnen sich Schüler und weltweit renommierte Klassikmusiker und führen gemeinsame Projekte durch. Dadurch entwickeln die jungen Menschen neue und positive Lebensperspektiven. Für diese Arbeit erhielten die Bremer unter anderem den Echo Klassik, den Opus Klassik und den Würth-Preis der Jeunnesses Musicales, der weltweit größten nicht-staatlichen Organisation für Jugendmusik sowie aktuell den Kulturlichterpreis.
An Auszeichnungen mangelt es dem Orchester sicher nicht, war die Kammerphilharmonie doch das erste Orchester, das den Ehrenpreis der Deutschen Schallplattenkritik erhielt. Aber das beste Kompliment kommt vielleicht von seinem eigenen, international gefragten Dirigenten Paavo Järvi, der auf die Frage, wie lange sein Vertrag läuft, versichert: „Die Kammerphilharmonie Bremen hat mich als künstlerischen Leiter, solange sie mich haben möchte.“