Klaus Zierer: Auch wenn sich die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen verändert hat, die Frage nach Unterrichtsqualität hat damit zunächst nichts zu tun. Denn erfolgreiches Lernen erfordert Herausforderungen, Anstrengung und Einsatz, ein positives Lehrer-Schüler-Verhältnis und nicht zuletzt ein hohes Maß an sachbezogener Motivation. Mit den äußeren Merkmalen des Unterrichts, wie Tablets und Smartphones, hat das nicht wirklich etwas zu tun. In der Diskussion wird das häufig vermischt, was zu falschen Erwartungen an digitale Medien führt.
Warum?Digitale Medien können Lernen ebenso wenig revolutionieren wie sie es völlig verhindern können. Lernen läuft in unseren Köpfen ab. Wie erfolgreich also jemand lernt, ist daher nicht von den eingesetzten Medien abhängig, sondern von der Art und Weise, wie diese Medien in den Unterricht integriert werden.
Was sich in den vergangenen 30 Jahren durchaus verändert hat, sind die Voraussetzungen bei den Schülerinnen und Schülern. Aufmerksamkeitsspannen gehen zurück und mit ihnen beispielsweise auch die Fähigkeit, komplexere Texte zu lesen und zu verstehen. Aber: Diese Voraussetzungen zu kennen und dann darauf angemessen im Unterricht zu reagieren, das war, ist und wird auch in Zukunft eine der zentralen Aufgaben von Lehrkräften sein. Der Kopf und damit unser Lernen folgen anderen Mechanismen als die Technik.
Aber mit dem Digitalpakt wird in der Politik und in den Schulen von grundlegenden Veränderungen gesprochen, die größere Lernerfolge erzielen sollen. Stimmt das nicht?Auf bildungspolitischer Ebene gibt es zurzeit viel Aktionismus. Man glaubt, man müsse jetzt irgendwie möglichst schnell viel Geld ins System stecken. Es werden Tafeln durch Smartboards ersetzt, es werden Laptops und Tablets verteilt. Aber allein dadurch wird die Unterrichtsqualität nicht verbessert. Ein schlechter Unterricht wird durch digitale Medien nicht zu einem guten Unterricht, auch wenn ein guter Unterricht vom Einsatz digitale Medien profitieren kann. Das muss bildungspolitisch zur Kenntnis genommen werden.
In den meisten Bundesländern sind an die Gelder des Digitalpaktes Medienkonzepte gekoppelt, die die Schulen selbst entwickeln müssen. Sind Lehrkräfte darauf überhaupt vorbereitet?Es ist grundsätzlich gut, wenn Schulen die Chance bekommen, Medienkonzepte zu erstellen und einen gewissen Schwerpunkt vor Ort zu setzen. Aber was vielerorts passiert, ist zu viel des Guten: Nahezu die gesamte Entwicklungsarbeit wird in die Hände von Lehrkräften gegeben, die im Schulalltag schon genug zu tun haben – Lehrermangel in Kombination mit Inklusion und Migration, das sind große Herausforderungen. Nebenher schnell noch versuchen, die digitale Transformation zu meistern, das ist aus meiner Sicht nicht zielführend, zumal selbst in der Forschung Detailkonzepte für die digitale Transformation rar sind.
Also müssen die Lehrkräfte improvisieren.Wenn ich in Schulbesuchen sehe, dass Lehrkräfte die Schüler den Unterricht – statt mit Papier und Stift – auf dem Smartphone mittippen lassen, ist das nicht die digitale Revolution. Das schadet Kindern und Jugendlichen nachweislich. Eine Anknüpfung zur Forschung ist unerlässlich, sonst läuft jede noch so gut gemeinte Improvisation Gefahr, negative Effekte zu erzeugen.
Schulen brauchen handyfreie Zonen, keine Frage. Man sieht täglich, beispielsweise in Straßenbahnen, wie abhängig Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene von diesen Geräten sind. Das Ablenkungspotenzial von Smartphones ist immens, deswegen müssen Schülerinnen und Schüler medienerzieherisch begleitet werden. Sonst können dramatische und suchtähnliche Ergebnisse auftreten, die kaum zu korrigieren sind. Sie vollständig aus der Schule zu verbannen, wäre daher der falsche Weg. Lehrkräfte müssen genau überlegen, wann, wie und vor allem warum sie Smartphones einsetzen.
Zudem fehlen Fachkräfte, der Druck auf Lehrerinnen und Lehrer steigt. Wie kann gutes Lernen gesichert werden?Wir haben mit dem Digitalpakt fünf Milliarden Euro in die Technik investiert, gleichzeitig überfrachten wir Schulen gesellschaftlich immer mehr. Debatten, ob noch Benimm- oder Programmierkurse zum normalen Unterricht angeboten werden sollten, sind allgegenwärtig und belasten das Bild von Schule und vom Lehrerberuf. Nicht zuletzt deswegen wird uns der Lehrermangel in den kommenden Jahren noch weiter beschäftigen. In Bayern beispielsweise gibt es zwar genügend Studienplätze, aber die Bewerber lassen noch auf sich warten. Zudem fehlt in vielen Bundesländern ein sinnvolles Konzept für Quereinsteiger. So etwas zu entwickeln, ist notwendig und würde natürlich Investitionen erfordern.
In Bremen sind die Voraussetzungen für Schülerinnen und Schülern in den Stadtteilen sehr unterschiedlich, die Schere zwischen arm und reich ist groß. Gerade in ärmeren Stadtteilen haben Schulen weitaus mehr mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen.So etwas darf aus meiner Sicht bildungspolitisch nicht passieren. Das Personal muss gleich verteilen werden, sonst ist das eine Bankrotterklärung der Bildungspolitik.
Mal vom Personal abgesehen: Können Schulen diese Schere schließen?Bildungserfolg ist immer das Ergebnis einer gelungenen Zusammenarbeit von verschiedenen Personen: von Lernenden, von Eltern und von Lehrkräften. Deswegen ist es bei Kindern aus bildungsfernen Milieus wichtig, auch Eltern mitzunehmen. Übrigens ganz besonders bei Ganztagsschulen, weil die Eltern dort häufig gar nicht wissen, wie ihre Kinder lernen und wie sie sie unterstützen können. Es gilt, ein Bewusstsein bei den Eltern zu schaffen, dass sie ganz entscheidend für den Bildungserfolg der Kinder sind. Da müssen Lehrpersonen den Schritt über den Unterricht hinaus machen und versuchen, intensive Elternkooperationen anzubahnen.
Guter Unterricht zeichnet sich dadurch aus, dass er herausfordert, dass er motiviert, dass er strukturiert ist und dass er in einer intakten Lehrer-Schüler-Beziehung stattfindet. Zudem ist den Kindern und Jugendliche aufzuzeigen, warum sie gewisse Sachen lernen. Wenn Lehrpersonen Inhalte allein mit dem Lehrplan begründen, dann reicht das nicht.
Das heißt: Der einzelne Lehrer ist wichtiger als das gesamte bildungspolitische Konstrukt?Es wird immer viel über das Bildungssystem und die Bildungspolitik diskutiert. Was dabei aber verkannt wird, ist der Einfluss der Unterrichtsqualität: Im bestehenden System unterrichten viele Lehrkräfte. Während die einen ungeheuer einflussreich sind, bewirken die anderen vergleichsweise wenig. Das lässt sich bis in die Einzelschule feststellen, so dass es eben nicht in erster Linie die Lernenden, die Elternhäuser, die Klassenräumen oder die finanziellen Rahmenbedingungen sind. Ohne Letzteren ihre Bedeutung absprechen zu wollen: Wie der Lehrer seine Aufgabe, seinen Beruf und seinen Unterricht sieht, ist entscheidend für gutes Lernen.
Das Gespräch führte Lisa-Maria Röhling.
Klaus Zierer ist Erziehungswissenschaftler und ist seit 2015 Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg. Davor unterrichtete er an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg.
Weitere Informationen
Klaus Zierer wird beim Bremer Medienfachtag für Lehrkräfte am 18. November im Dorint-City-Hotel die Auftaktrede halten. Infos zum Programm unter www.medienfachtag-bremen.de.