Lauschige Orte gibt es in Bremen an fast jeder Ecke. Lauschorte sind da schon seltener – aber ebenfalls lohnende Ziele. Im Bereich der Innenstadt sind jetzt zehn weitere Stationen des "digitalen literarisch-musikalischen Audiowalks" vertreten. Anfang 2022 waren bereits sieben Lauschorte in dem genreübergreifenden Projekt des Literaturkontors und des Kammerensembles Konsonanz eingerichtet worden. Der informative und unterhaltsame Hörparcours hat Bremerinnen, Bremern und Gästen der Stadt gleichermaßen viel zu bieten.
Die "#Moin"-Wortskulptur am Herdentorsteinweg, die Autor Kolja Fach als Gruß der City Initiative "am Tor zur Innenstadt" erklärt, stehe für das norddeutscheste aller Wörter, typisch für eine Region, "wo man sprechen allgemein für überschätzt hält". Für den musikalischen Teil der Wort-Inszenierung haben Sydney Fíka und "Chrizzo & Ol´ Dirty T-Shirt" gesorgt. Sobald an allen zehn neuen Hörstationen Schilder mit QR-Codes zum Einscannen aufgehängt sind, kann lauschen, wer ein Smartphone oder Tablet nutzt. Das funktioniert auch zu Hause vom Sofa aus: Die Hörstücke sind über Lauschorte.de zu finden und verbinden Musik, Literatur und Geschichte, wie es im Flyer heißt.

Jens Laloire mit dem Karstadt-Schild, das seinen Platz an der Infostele der Wirtschaftsförderung bekommen soll.
Die Mixtur zum Lauschen umfasst so unterschiedliche Orte wie die Schnoor-Telefonzelle am Stavendamm, das Mahnmal an der Tiefer zur Erinnerung an die Ausplünderung von Jüdinnen und Juden während der Nazizeit, die Bremer Stadtmusikanten, das Museum Weserburg, die Wallmühle, das Antikolonialdenkmal "Der Elefant" und den Ansgarikirchhof. Letzterer spielt laut Jens Laloire vom Literaturkontor Bremen eine besondere Rolle: Anders als an allen weiteren Adressen gibt es dort nichts zu sehen, denn die Ansgarikirche in der Altstadt ist im Zweiten Weltkrieg zerstört worden.
Der Lauschorte-Untertitel "Sounds und Stories" macht deutlich, dass den beiden Bestandteilen das gleiche Gewicht zugemessen wird. Dass es am Ende oft eher Sprache ist, die für Diskussionen sorgt, zeigt das Beispiel einer der benachbarten Stationen: "Hier begann der Nachmittag, und nicht selten endete er hier", heißt es in der literarischen Ode an das Karstadt-Warenhaus, das die Bremer Romanautorin Leyla Bektaş aus der Mädchen-Perspektive der 90er-Jahre betrachtet. "Im Kaufhaus herrschte eine beruhigende Konstanz, bestehend aus warmem Licht und parfümierter Luft." Vielleicht lag es an der Vergangenheitsform, vielleicht an der Frage: "Wie lange lässt sich das unvermeidliche Ende denn noch hinauszögern?" Jedenfalls habe es "kritische Rückmeldungen auf den Text" gegeben, sagt Jens Laloire. "Wir lassen uns aber nicht reinreden." Deshalb werde das QR-Code-Schild nicht an der Kaufhausfassade hängen, sondern an der roten Info-Stele der Wirtschaftsförderung Bremen an der Obernstraße, Ecke Sögestraße.
"Ein Bremer Leuchtturmprojekt"
Jens Laloire und Claudia Beißwanger vom Kammerensemble Konsonanz sind stolz darauf, dass die Lauschorte "eines der Leuchtturmprojekte" seien, "die dazu beigetragen haben", dass Bremen 2023 der Unesco-Titel "City of Literature" verliehen wurde. Aus dem Netzwerk habe sich beispielsweise die Zusammenarbeit mit dem Manchester Collective – Station Wallmühle – ergeben. Die Musik zum Berliner-Mauer-Stück auf dem Platz der Deutschen Einheit vor dem Überseemuseum stamme von der Rockband Trupa Trupa, die aus Bremens polnischer Partnerstadt Danzig komme.
An den insgesamt 17 Stationen sind mehr als 100 Akteurinnen und Akteure aus Bremen und der Region beteiligt – als Autoren, Musikerinnen, Sprecher und Übersetzerinnen. Unter ihnen Sujata Bhatt, der Kinderbuchautor Jörg Isermeyer, der WESER-KURIER-Kolumnist Moritz Rinke und die Musikerinnen und Musiker Maria Pelekanou, Johannes Haase und das Bremer Barockorchester. Mit den 17 Lauschorten wollen es die Kreativen erst einmal bewenden lassen. "Uns geht es darum, die Lauschorte jetzt bekannter zu machen", sagt Jens Laloire.

Funktioniert: Auch die begrünte Telefonzelle am Stavendamm im Schnoor ist ein Lauschort - einer von insgesamt 17 in der Innenstadt.
Zu den Lausch-Stationen zählen "nicht nur Klischeeorte, sondern auch überraschende Orte", sagt Claudia Beißwanger. Das dürfte einer der Gründe sein, weshalb sich Stadtführerinnen und Stadtführer, die eine Probeführung mitgemacht haben, gut vorstellen könnten, die 17 zentral gelegenen Orte in ihre Touren aufzunehmen. Auch die Zusammenarbeit mit Schulen wird angestrebt.
Die aus dem Aktionsprogramm Innenstadt "Bremen wird neu" finanzierten zehn neuen Lauschorte haben rund 75.000 Euro gekostet. In den vergangenen vier Wochen seien an den ersten sieben Adressen 378 Nutzer mit insgesamt 1077 Aufrufen gezählt worden, sagt Jens Laloire. Das entspreche der durchschnittlichen Frequenz. Besonders beliebt seien bislang die Bremer Stadtmusikanten mit 347 Aufrufen, die Lauschorte-Startseite, die Skulpturengruppe Hirt mit Schweinen und die Bark "Alexander von Humboldt".