Ulrich Mäurer: Die Ursache für die ständigen Veränderungen ist die Dynamik der Ausbreitung des Virus. Zunächst ging es vor allem darum, diejenigen zu identifizieren, die sich angesteckt haben, sie unter Quarantäne zu stellen und nach der Quelle der Ansteckung zu forschen. Schnell hat sich gezeigt, dass das bei Weitem nicht gereicht hat. Wir haben – auch mit Blick nach Italien – Schlag auf Schlag weitreichendere Schritte veranlassen müssen, im Konzert mit den anderen Bundesländern.
Ganz harmonisch klingt dieses Konzert nicht: Es gab von Anfang an Unterschiede zwischen den Bundesländern, am Freitag hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder erneut eine einsame Entscheidung getroffen und Ausgangsbeschränkungen verhängt.Das stimmt, es hängt auch damit zusammen, dass die Länder unterschiedlich betroffen sind. Uns in Bremen ist es wichtig, uns eng mit Niedersachsen abzustimmen. Das war auch der Anlass für weitere Einschränkungen in der Gastronomie, weil die Niedersachsen sich dazu entschlossen hatten. Was Bayern betrifft: Faktisch gelten in München bis auf kleine Details keine anderen Regeln als in Bremen und Bremerhaven.
Markus Söder macht derzeit eine hervorragende Öffentlichkeitsarbeit, das muss man ihm lassen. Aber anders als viele meinen, ist das Regelwerk in Bayern im Wesentlichen identisch mit dem, was die anderen Länder an Maßnahmen beschlossen haben.
Welche sind die geringfügigen Details, die Bayern von Bremen unterscheiden?Wenn Sie die beiden Verbotsverfügungen nebeneinanderlegen, werden Sie feststellen, dass man in Bremen und Bayern weiterhin zur Arbeit und allein oder zu zweit spazieren gehen sowie einkaufen darf. Der Unterschied liegt, soweit ich das sehe, in einem einzigen Detail: In Bayern müssen jetzt auch die Bau- und Gartenmärkte schließen, bei uns dürfen sie unter Auflagen weiter geöffnet bleiben.
Könnte sich das am Sonntag ändern, wenn sich die Kanzlerin mit den 16 Bundesländern auf einen gemeinsamen Standard einigt?Das könnte sein. Aber es würde, wie gesagt, nicht viel ändern. Wir sind keinesfalls toleranter oder liberaler. Das ist in diesem Fall auch nicht angebracht.
Vielleicht wäre es dennoch klug gewesen, auch gleich eine sogenannte Ausgangssperre zu verhängen, selbst wenn es in Wahrheit keine ist. Haben Sie nicht den Eindruck, dass sich die Bevölkerung nach nichts mehr als nach klaren Ansagen sehnt?Wir haben eine klare Ansage gemacht: Die Menschen sollen ihre Kontakte außerhalb der Familie auf ein Minimum begrenzen. Es spricht nichts gegen einen gemeinsamen Spaziergang der Familie, aber ein geselliges Zusammensein mit anderen geht zur Zeit nicht. Wir brauchen also keine weiterreichenden Regelungen, Vorschriften und Gesetze. Viel mehr Einschränkungen sind auch gar nicht vernünftig. Dieses Wochenende ist eine Art Qualitätstest. Es wird zeigen, ob unsere Verfügungen ausreichen. Wenn sie von der Bevölkerung nicht ernstgenommen werden, müssen wir uns um die Durchsetzung kümmern. Ich hoffe, dass das nicht nötig sein wird.
So ist es. Unsere zentrale Aufgabe wird sein, die medizinische Versorgung der Erkrankten sicherzustellen, damit es bei uns nicht so weit kommt wie in Italien und Frankreich. Dazu gehört auch, dass die 100 Notfallsanitäter der Feuerwehr und unsere Rettungssanitäter auf Einsätze vorbereitet werden. Wir müssen uns auch darauf einstellen, dass wir Unterstützung von der Bundeswehr bekommen, falls nötig.
Noch einmal zurück zu den Details: Dass beispielsweise Friseure bis Freitag von den Schließungen ausgenommen waren, haben viele nicht verstanden, insbesondere auch die Friseure selbst. Ohne Nähe zum Kunden ist die Arbeit unmöglich, das muss doch jedem auf Anhieb einleuchten.Man darf nicht vergessen, dass wir vor einer nie da gewesenen Herausforderung stehen. Wir müssen schnell reagieren, um uns nicht vorwerfen lassen zu müssen, dass wir die Menschen nicht ausreichend geschützt haben. Wir fahren das gesamte öffentliche Leben herunter, wenn da im ersten Entwurf einer Verbotsverfügung nicht alle Fälle dieses Lebens erfasst werden, ist das der derzeitigen Lage geschuldet. Dass die Friseure nicht umgehend geschlossen wurden, ist keine Bremensie, sondern entsprach der Abstimmung des Bundes mit den Ländern, und gemeinsam haben wir die Verbotsverfügung nun noch einmal erweitert und präzisiert.
Nun sind Dienstleistungen untersagt, bei denen kein Abstand von anderthalb Meter zum Kunden eingehalten werden kann. Aber auch da gibt es Ausnahmen, nämlich Gesundheitsdienstleistungen. Wie soll man sich da orientieren?Man kann nicht einfach alles verbieten. Wir geben uns alle Mühe, diese Ausnahmesituation so zu gestalten, dass sie für alle vertretbar ist: für die Risikogruppen, die geschützt werden müssen, für diejenigen, die auf Dienstleistungen wie Krankengymnastik angewiesen sind, und für die Dienstleister selbst. Da müssen wir Schritt für Schritt den richtigen Weg suchen. Er muss verhältnismäßig sein. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Einschränkungen länger andauern werden.
Das kann gegenwärtig niemand sagen. Ich hoffe, so kurz wie möglich, und das hängt auch vom Verhalten jedes Einzelnen ab.
Das Gespräch führte Silke Hellwig.Ulrich Mäurer ist seit 2008 Innensenator. Bei der Wahl im Mai 2019 erhielt er fast 17.000 Personenstimmen. Zuvor war der Jurist Staatsrat im Justizressort. 1970 ist Ulrich Mäurer in die SPD eingetreten. Jura hat er in Bremen studiert.
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