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Selbstversuch Mit dem Lastenrad durch Bremen: „Wie, bitte, geht es geradeaus?“

Das eine ist es, Lastenräder als ökologische Auto-Alternative zu loben. Das andere: sich in den Sattel zu schwingen. Unsere Reporterin hat den Versuch unternommen – und muss eine Entschuldigung loswerden.
13.05.2022, 07:19 Uhr
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Mit dem Lastenrad durch Bremen: „Wie, bitte, geht es geradeaus?“
Von Katia Backhaus

Vielleicht wird das einfach nichts, denke ich. Muss ich peinlicherweise diesen Selbstversuch nach wenigen Minuten abbrechen und aufgeben, weil ich mit diesem Ding überhaupt nicht zurechtkomme. Die ersten Meter auf einem Lastenrad: Ich schwanke hin und her, als wäre ich schon morgens um kurz nach neun unfassbar betrunken. Zum Glück gibt es hier in der Humboldtstraße einen sehr breiten Fußweg, auf dem ich jetzt versuche, irgendwie ein Stückchen geradeaus zu fahren. Den Sattel habe ich erst tiefer und dann ganz tief gestellt, um im Notfall einfach beide Füße platt auf den Boden stellen zu können. Das ist jetzt schon ein paar Mal vorgekommen.

Ich versuche, mich auf die kleine silberne Spitze ganz vorne an der Kiste, direkt über dem Vorderrad, zu konzentrieren. Wenn ich es schaffe, Rad und Spitze in eine Linie zu bringen, fahre ich geradeaus. Hoffe ich zumindest. Ich schaue auf die Spitze, auf den Weg, auf die Spitze, und bilde mir ein, dass das Hin- und Hergewackel etwas besser wird.

Schließlich traue ich mich auf die Straße. Die ist schön leer und am Ende kann ich gleich auf den Radweg abbiegen. Mehrfach werde ich von hinten angeklingelt und überholt. Kann ich gut verstehen, ich rolle eher, als dass ich fahre. Auf den letzten Metern vor meiner Haustür kommt das erste Mal eine Ahnung davon auf, wie schön es sein könnte auf dem Lastenrad: Leise summt es auf dem Asphalt, während ich immerhin einigermaßen geradeaus rolle.

Einsatz des Lastenrad-Ständers erfordert Kraft

Ein leerer Bierkasten, ein großes Kissen, ein Lampenschirm und ein Backblech – die Kiste des Lastenrads ist gestopft voll. Das schmale Sitzkissen, das für den Kindertransport dazugehört, habe ich noch untergebracht, aber viel mehr darf es für meine Tour zum Wertstoffhof und Supermarkt nicht sein.

Schon wieder geht es wackelig los, Mist, ich dachte, das hätte ich überwunden. Aber dieses Mal wird es schneller besser. Den Mann, der mit seinem Rad an der Ampel neben mir wartet, hätte ich zwar am liebsten vorbeigewunken, damit ich ihm beim Losfahren nicht in die Quere komme, aber es klappt auch so. Meist habe ich den Radweg für mich – anders geht es an manchen Stellen auch gar nicht: So breit, wie die Kiste des Lastenrads ist, und so hoch, wie das Gras rechts und links wächst, käme niemand an mir vorbei.

Auf dem Recyclinghof läuft alles ganz easy, bis auf die Tatsache, dass ich mit dem unter der Kiste versteckten Zweibeinständer jedes Mal ein bisschen kämpfen muss. Erst muss ich blind – weil unter der Kiste versteckt – mit dem Fuß danach angeln. Dann gilt: Besser mit dem linken Fuß ansetzen, denn sonst haue ich mir beim Aufbocken schon wieder die Unterkante der Transportkiste ans Schienbein. Natürlich ist das Übungssache, aber auch eine Frage der Kraft. Darauf komme ich noch zurück.

Das Lastenrad bringt Park-Probleme vor dem Supermarkt

Bevor ich die Geschichte vom Supermarkt-Parkplatz erzähle: Liebe Leute aus der Alfelder Straße, ich entschuldige mich bei euch. Dass ein Kasten leerer Bierflaschen in Kombi mit Kopfsteinpflaster einen solchen Höllenlärm entwickelt, war mir nicht klar. Ich hätte Verständnis gehabt, wenn ihr mit faulen Tomaten nach mir geworfen hättet (naja, vielleicht). Und für mich hätte ich mir definitiv auch Ohrenschützer gewünscht.

Also, der Supermarkt-Parkplatz: Ganz intuitiv fahre ich zu den Fahrradständern, aber stelle das Rad dann erst einmal daneben ab, um herauszufinden, wo ich es überhaupt anschließen kann. An einen festen Gegenstand, sagt der ADFC. Irgendwohin, wo Platz ist, sagt mein Bauchgefühl. Mit einigem Rumrangieren habe ich das Hinterrad, wo das Schloss montiert ist, nah genug an einen der extra hohen Fahrradständer geschoben, lege die Kette an, ziehe den Schlüssel ab. Jetzt ist allerdings der kleine Durchlass zum Fußweg nebenan blockiert. Blöd, aber eine andere Option sehe ich nicht.

Als ich die neue Bierkiste in die Transportbox hebe, spricht mich eine Frau an. Wie ich so klarkomme mit dem Lastenrad, ob das nicht ganz schön schwer sei? Tja, sage ich, ganz okay soweit. Aber ich bin auch noch nicht auf die Idee gekommen, es anheben zu wollen. Bürgersteigkanten habe ich vermieden, die breiten Reifen und ein bisschen Schwung helfen aber, wenn es um eine kleine Erhöhung geht.

Eigentlich wünsche sie sich auch ein Lastenrad, erzählt mir die Frau, aber sie sei unsicher, ob sie damit gut zurechtkäme. Ihr Eindruck sei, dass die Räder eher für Männer oder zumindest für größere, kräftigere Leute geeignet seien. Wir haben ungefähr die gleiche Größe, um die 1,70 Meter, sind beide schmal. Ich überlege. Die Entfernung zwischen Lenker und Sattel ist ziemlich groß, für mich wären einige Zentimeter weniger Abstand bequemer. Besäße ich ein Lastenrad, könnte ich es definitiv nicht in den Keller tragen. Ich verstehe die Frau. Aber ein bisschen stachelt das auch meinen Ehrgeiz an: So schnell gebe ich das Lastenradfahren nicht auf.

Die Lastenrad-Tour am Deich wird schon angenehmer

Je besser es mit dem Fahren klappt, desto mehr andere Dinge nehme ich wahr. Erstens. Die Wackeligkeit habe ich vielleicht nach demselben Prinzip besiegt, wie man lernt, volle Tassen unfallfrei zu tragen: Man darf nicht hingucken. Ich vermeide also den Blick auf das Vorderrad und entdecke den Flow des Geradeausfahrens.

Zweitens. Es sind ganz schön viele Leute mit Lastenrädern in verschiedensten Ausführungen unterwegs. Oder nehme ich sie nur mehr wahr als sonst? Drittens. Mir gefällt, dass ich jetzt etwas gelte im Straßenverkehr. Als Radfahrerin bin ich gewohnt, dass sich andere an mir vorbeischlängeln, mich übersehen, keinen Platz machen. Als Lastenradfahrerin bin ich breit, lang und – je nach Ladung – laut. Es ist das Trecker-Prinzip: An mir kommst du so leicht nicht vorbei. Ich fühle mich sicherer als sonst.

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Was ich zuletzt noch testen will, ist eine längere Strecke, und zwar vom Weserwehr bis zum Pressehaus. Erst oben am Deich entlang und dann unten direkt an der Weser radelt es sich zwar ziemlich komfortabel, aber dass ich heute mit einem eher schweren Gefährt unterwegs bin, lässt mich der Gegenwind deutlich spüren. Spaß macht das nicht so richtig. Für den kleinen Anstieg am Martinianleger schalte ich nicht wie sonst einen, sondern gleich mehrere Gänge runter. Aber: geschafft!

Die Lastenrad-Abgabestation bietet viel Platz

Eigentlich läuft es jetzt schon ganz schön gut mit mir und diesem Lastenrad. Wir sind auf dem Weg zurück zur Ausleihstation. Ich habe nicht die Abkürzung durch die Bischofsnadel genommen – denn ich habe keine Ahnung, wie ich das Lastenrad die Stufen dort runterkriegen soll. Deshalb nehme ich den kleinen Umweg durch die Wallanlagen. Das Kurvenfahren macht fast Spaß, so langsam verstehe ich, warum dieses Modell als sportliches Lastenrad gilt.

In die Feierabendverkehr-Fahrradkolonne auf der Humboldtstraße reihe ich mich sorglos ein. Im Laufe des Tages habe ich ganz gut gelernt, das Lastenrad zu händeln, und sogar ein bisschen Freundschaft mit ihm geschlossen. Bei der Abgabestation gibt es zum Glück viel Platz an den Fahrradständern. Abschließen, Plane über die Kiste knöpfen, Schlüssel reinreichen, fertig.

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Das Lastenrad-Projekt Fietje

Für diesen Text hat die Autorin ein Karo-long-Lastenrad der Bremer Firma "VeloLab" ausgeliehen. Das ist kostenlos über Fietje, das 2017 ins Leben gerufene Lastenrad-Projekt des Bremer Landesverbands des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), möglich.

Insgesamt sind über den Fietje-Verleih in Bremen elf Räder verfügbar, davon vier mit E-Antrieb. Die Stationen, die meist an Cafés oder Geschäfte angedockt sind, werden ehrenamtlich betrieben. Laut ADFC-Sprecherin Frauke Maack sind neue Stationen in Bremen-Nord und im Schweizer Viertel in Osterholz geplant. Im Schnitt liege die Ausleihquote der Lastenräder bei 80 Prozent.

Das Projekt wurde bis 2019 von der Nationalen Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums gefördert und im Anschluss von der Bremer Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau. Für die Wartung der Räder kommen teilweise zusätzlich Sponsoren auf.

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