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Neues Heft der Denkmalpflege Müller auf Schritt und Tritt

Nun ist es endlich raus: Die Landesdenkmalpflege hat am Dienstag das neue Heft ihrer Schriftenreihe präsentiert. Das Thema: Historismus und Gründerzeit, Teil II.
02.05.2017, 18:44 Uhr
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Von Frank Hethey

Nun ist es endlich raus: Die Landesdenkmalpflege hat am Dienstag das neue Heft ihrer Schriftenreihe präsentiert. Das Thema: Historismus und Gründerzeit, Teil II.

Alles Müller oder was? In Bremen hätte dieser Werbeslogan schon vor 130 Jahren seine Berechtigung gehabt. Wohin der geneigte Flaneur seine Schritte auch lenkte, den Bauwerken des historistischen Stararchitekten Heinrich Müller konnte man kaum entgehen. Der neugotische Vorgängerbau der heutigen Glocke – ein Werk Müllers.

Oder die Neue Börse am Markt, von der heute nur noch der Rundbau des Nebengebäudes erhalten ist – ebenfalls ein Müller-Produkt. Das gleiche Phänomen am Domshof, wo sich am Schüsselkorb das prachtvoll ausgestattete „Museum“ befand. „Müller war der Platzhirsch in Bremen“, sagt sein Biograf Uwe Schwartz, „gegen den musste man sich erst einmal behaupten.“

Bremen als Stadt der Renaissance, als Stadt alter Patrizierhäuser? In den Augen von Landesdenkmalpfleger Georg Skalecki ein weit verbreiteter Irrglaube. „Der Historismus hat Bremen viel stärker geprägt.“ Ein gewichtiges Thema also, weshalb das neue Heft aus der Schriftenreihe des Landesamts für Denkmalpflege das Schwerpunktthema des Vorgängerhefts noch einmal aufgreift. Ein Novum, um im mittlerweile 14. Heft der Reihe dem Epochenthema Historismus in seiner ganzen Bandbreite gerecht zu werden.

Umstrittener Zeitgenosse

Unter dem Titel „Historismus und Gründerzeit II“ behandelt der neue Band in insgesamt sieben Beiträgen nicht nur die Baugeschichte bedeutender historistischer Verwaltungsbauten wie Posthaus, Gerichtsgebäude und Polizeihaus. Unter die Lupe genommen werden auch historistische Bankgebäude, Schulen und die nördlichste Kirche im Land Bremen. Natürlich wird auch die Biografie Müllers eine Rolle spielen, eines sehr streitbaren und deshalb auch umstrittenen Zeitgenossen.

Schon beim ersten historistischen Großbauprojekt in Bremen, der Neuen Börse, ließ sich der ambitionierte Architekt nicht zügeln. Mehr oder weniger heimlich habe er ab 1859 die Grundstücke an der Ostseite des Markts aufkaufen lassen, sagt Schwartz. Der Grund: Schon damals regte sich Widerstand gegen den Abriss historischer Bausubstanz, zwei prachtvolle Giebelhäuser und die Wilhadi-Kapelle mussten für den Neubau weichen.

„Aber Müller wollte eben genau dorthin“, sagt Schwartz. „Das wird schon daraus ersichtlich, dass die Hälfte der Bausumme nur für den Ankauf der Grundstücke draufgegangen ist.“ Immerhin sei er klug genug gewesen, nicht in Konkurrenz zum Rathaus zu treten. „Deshalb hat er kein Neo-Renaissance-Gebäude gebaut.“

Historismus galt als Irrweg

Als kühnes Meisterwerk galt die Neue Börse nur zu Müllers Lebzeiten. Schon bald nach seinem Tod 1890 häuften sich die kritischen Stimmen, nach der schweren Beschädigung im Zweiten Weltkrieg rührte sich dann kein Finger für den Erhalt des Gebäudes. „Dabei hätte man es wiederaufbauen können“, betont Skalecki. Ebenso wie das Lloydgebäude, das „leichtfertig abgerissen“ worden sei. Doch der Historismus habe in den frühen Nachkriegsjahren keine Lobby gehabt, habe als Irrweg gegolten. „Erst in den 1970-er und 1980-er Jahren setzte eine Rehabilitierung des Historismus ein.“

Von „sehr intensiv recherchierten Beiträgen mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen“ spricht Skalecki. Besonders anschaulich wird das im Falle Müllers, als dessen Bremer Erstlingswerk bis jetzt Hillmanns Hotel am Herdentorsteinweg galt.

Falschmeldung von 1890

Ein krasser Irrtum, wie Schwartz anhand alter Entwürfe im Staatsarchiv einwandfrei nachweisen kann. Und woher der Fehler? „Da hat wohl einer vom anderen falsch abgeschrieben“, sagt Schwartz. Zuerst tauchte die Falschmeldung 1890 in einem Nachruf auf, seither sei sie immer wieder kolportiert worden – bis ein Blick in alte Akten die Wahrheit ans Licht brachte.

Wie weit die Urteile unter Wissenschaftlern auseinandergehen können, stellt Skalecki in seinem eigenen Beitrag zur Geschichte der bremischen Denkmalpflege unter Beweis. Vehement widerspricht er einer Einschätzung von Landesarchäologin Uta Halle, wonach der 1931 gescheiterte Entwurf eines Denkmalschutzgesetzes bereits nationalsozialistisches Gedankengut aufweise. „Im Gegenteil, es wäre ein hochmodernes Gesetz gewesen, wenn es verabschiedet worden wäre.“

Für die Präsentation des neuen Hefts hatten sich die Autoren einen passenden Ort gesucht – den „Kaisersaal“ im Posthaus an der Domsheide. Dass der Saal einst Teil der Dienstwohnung des Oberpostdirektors war, möchte man kaum für möglich halten. „Dazu muss man wissen: Der Raum hatte repräsentative Zwecke“, erklärt Rolf Kirsch, Verfasser des Beitrags zum Posthaus. Sei doch der Oberpostdirektor der höchste Vertreter des Kaiserreichs in Bremen gewesen.

Mit dem zweiten Teilband zum Historismus ist das Thema laut Skalecki abgehandelt, einen dritten Teilband wird es nicht geben. Zumal schon jetzt entschieden ist, um was es im nächsten, im 15. Heft gehen soll. „Wir wollen die Renaissance stärker beleuchten“, so der oberste Denkmalpfleger.

Info

Georg Skalecki (Hg.): Denkmalpflege in Bremen, Heft 14, Historismus und Gründerzeit II, Edition Temmen: Bremen 2017, 124 S., ISBN 978-3-8378-1050-9, Preis: 5,90 Euro
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