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Anlaufstelle auf Helgolander Straße 73 "Nachtcafé" in Walle: Hilfe in Krisensituationen

Vor gut einem Jahr ist in Walle das Projekt „Nachtcafé“ für Menschen in psychischen Krisensituationen gestartet. Seit dem 1. Januar steht es Menschen aus ganz Bremen offen.
22.01.2018, 05:05 Uhr
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Von Anne Gerling

Manche suchen jemanden, der ihnen zuhört und dem sie sich anvertrauen können. Andere wollen einfach nicht alleine sein. Menschen aus der Stadtmitte und dem Bremer Westen können in psychischen Krisensituationen seit gut einem Jahr ins Nachtcafé in der Tagesstätte West an der Helgolander Straße 73 in Walle kommen, anstatt zum Beispiel gleich eine Psychiatrische Klinik aufzusuchen.

Im Nachtcafé sind immer abends ab 20 Uhr bis morgens um 1 Uhr zwei speziell geschulte Fachkräfte vor Ort, sagt Lutz-Uwe Dünnwald, Geschäftsführer der Bremer Werkgemeinschaft (BWG): „Den Menschen wird akut geholfen und sie haben hier Ansprechpartner. Aber: Sie müssen nicht reden und können für sich entscheiden, wie viel Hilfe sie brauchen.“

Um die Einrichtung näher kennenzulernen, hat kürzlich der Sozialausschuss des Waller Beirats in dem Eckgebäude getagt, das der BWG gehört und schon seit mehr als 30 Jahren eine Anlaufstelle für Menschen ist, denen es aufgrund psychischer Erkrankungen schwerfällt, ihren Tag selbst zu gestalten. Sie finden hier Beschäftigungsmöglichkeiten in einer Bücherwerkstatt und einer Nähwerkstatt. 1982 wurde im Erdgeschoss das Café Klatsch eingerichtet, das montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr geöffnet ist. „Die Auslastung liegt mit 130 bis 150 Prozent seit Jahren weit über dem, was ursprünglich vereinbart worden ist“, erzählt Dünnwald, „und die Zahl der Menschen, die hierher kommen wollen, nimmt zu.“

Seit gut einem Jahr werden die Räumlichkeiten nun außerdem für das noch junge Projekt Nachtwerk genutzt. Dabei handelt es sich um eine Zusammenarbeit der BWG und der Gesellschaft für ambulante psychiatrische Dienste (Gapsy). Auch die Gapsy ist langjähriger Träger der ambulanten Versorgung psychisch erkrankter Menschen in Bremen. Zwischen 700 und 750 Menschen versorgt die Gapsy monatlich und hat 2015 auch die Nachtbetreuung übernommen, nachdem der sozialpsychiatrische Dienst der Stadt Bremen sein Angebot in diesem Sektor aufgrund massiver Personaleinsparungen einstellen musste.

Leuchtturmprojekt für Bremen

Zu Nachtwerk gehört neben dem Nachtcafé auch eine nächtliche Telefonberatung, die montags bis freitags von 21 Uhr bis 8.30 Uhr sowie sonnabends, sonntags und an Feiertagen von 17 Uhr bis 8.30 Uhr erreichbar ist. Dort gehen Gapsy-Geschäftsführer Helmut Thiede zufolge pro Nacht im Durchschnitt 20 bis 30 Anrufe ein. Wo es nötig ist, kommen die Gapsy-Mitarbeiter dabei auch zu den Menschen ins Haus. Außerdem bietet Gapsy bei Nachtwerk ein Krisenbett an, das Menschen in akuten Notsituationen zur Verfügung gestellt werden kann. Ausdrücklich ist das Projekt nicht für Menschen in extremen Krisensituationen vorgesehen, die sich selbst oder andere in Gefahr bringen könnten. In diesen Fällen kümmert sich die Polizei darum, die Menschen in eine Klinik zu begleiten.

Nachtwerk ist ein „Leuchtturmprojekt für Bremen“, wie Thiede und Dünnwald unterstreichen. Zum 1. Januar ist das Nachtcafé auf Wunsch der Stadt nun zur nächtlichen Anlaufstelle für ganz Bremen erklärt worden – ausgenommen Bremen-Nord, wo das Psychiatrische Behandlungszentrum für nächtliche Krisensituationen eine „Offene Tür“ anbietet. „Wir wissen noch nicht, wie sich das auswirkt“, so Dünnwald, „die Besucherzahlen in den ersten zwei Wochen sind noch nicht gestiegen.“ Bislang kämen circa 20 Besucher pro Nacht; in den Sommermonaten sei die Zahl auf bis zu 35 Besucher angestiegen. Sollte es zu einer Überstrapazierung kommen, müssten unverzüglich Maßnahmen getroffen werden, so Dünnwald. „Welche, wissen wir noch nicht.“

Auswirkungen auf unmittelbare Nachbarschaft

Dass im Café neuerdings auch nachts Betrieb ist, hat auch Auswirkungen auf die unmittelbare Nachbarschaft. Da die Café-Besucher zum Rauchen auf die Straße gingen, sei es mitunter unerträglich laut, schilderten in der Fachausschusssitzung einige Anwohnerinnen. Die Café-Mitarbeiter seien angehalten, die Besucher um Rücksicht zu bitten, sagt dazu Dünnwald, der außerdem versicherte: „Wir wissen noch nicht, was im Sommer kommt. Aber wir werden dann auch durchaus reagieren.“

Seit jeher machen sich Gapsy und BWG für eine „Ambulantisierung“ der Betreuung psychisch kranker Menschen mit niedrigschwelligen und wohnortnahen Angeboten stark. „Wir wollen zu einer anderen Krisenversorgung kommen“, sagt Helmut Thiede. Er empfiehlt weniger Krankenhausbetten in der Psychiatrie, um die so eingesparten Mittel für ambulante Angebote zu nutzen. Dazu liegt im Gesundheitsressort bereits ein Konzept vor. Im Bremer Westen gibt es schon jetzt viele Einrichtungen, die sich mit psychischen Erkrankungen beschäftigen. Auch anderswo könnten Nachtcafés mit angedockter Kriseninterventionseinheit geschaffen werden, so die Idee. Mittlerweile beschäftigt sich im Gesundheitsressort eine Arbeitsgruppe damit, wie solch eine regionalisierte Krisenversorgung aussehen könnte. Konkret laufen dort auch Vorbereitungen für eine mögliche Anlaufstelle im Bremer Osten. Bei den Waller Ortspolitikern stieß das Thema auf großes Interesse. Fachausschusssprecherin Conny Barth (Linke) etwa ist überzeugt: „Es ist total wichtig, dass regional so etwas entsteht.“

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