"So eine schöne Straßenbahn, und dann solche Probleme." Renate Gerlach aus der Neustadt sind die neuen "Nordlicht"-Züge der Bremer Straßenbahn AG (BSAG) einfach zu hoch. "Dabei liebe ich die so, die ist so schick in dem Rot-Grau." So sehr sie die neue Tram ins Herz geschlossen hat, so schwer fällt es der 87-Jährigen, dort einzusteigen. "An Haltestellen ohne Bahnsteig komme ich da mit meinem Einkaufstrolley einfach nicht alleine rein", sagt sie. "Mit den alten Bahnen gibt es das Problem nicht."
Genauso geht es Erna Hudemann, Renate Gerlachs Nachbarin aus dem St.-Pauli-Stift. "Hinten auf die Kipphilfe für den Rollator zu treten, reicht nicht mehr", schildert die 91-Jährige den Unterschied zu alten Bahnen. Dabei geht es zwar nur um Zentimeter, wenn nicht Millimeter – aber um die entscheidenden. "Heute haben wir Glück, es fahren fast nur alte Bahnen", sagt die Rentnerin und hält weiter Ausschau nach der Linie 6. Die Schwierigkeiten mit den "Nordlichtern" träten überall dort auf, wo der Einstieg vom Fahrbahnniveau aus erklommen werden muss. "Zum Beispiel im Ostertor, aber eben auch hier an der Pappelstraße", moniert Erna Hudemann.
Das ist gewöhnlich freitags die gemeinsame Ziel-Haltestelle der beiden, die ihre Wocheneinkäufe auf dem Delme-Markt im Flüsseviertel erledigen. Gewichtig wird das Problem spätestens auf dem Heimweg, wenn der mit Beuteln behängte Hackenporsche und der beladene Rollator in eine der neuen Bahnen gezogen beziehungsweise gehoben werden müssen. Die kurze, aber mitunter aufregende Fahrt führt, je nach Laune, ein oder zwei Stationen weit zum Leibnizplatz oder der Wilhelm-Kaisen-Brücke. Die beiden wohnen ziemlich genau in der Mitte dazwischen.
"Ich brauche beide Hände, um mich hineinzuziehen", sagt Renate Gerlach. "Die Rolltasche steht dann noch draußen. Man muss was zwischen die Türen halten, damit sie nicht zugehen. Ich hoffe immer, dass da tolle Typen in der Bahn sind, die meinen Trolley reinholen. Meistens kommt gleich jemand angeflitzt, denn die Leute wollen ja, dass die Bahn weiterfahren kann. Die staunen dann über das Gewicht." Zum Einsteigen stellten sich die Frauen immer an verschiedene Türen, "weil die Leute sonst überfordert sind".
Auch Erna Hudemann guckt sich immer schon um, "ob da ein paar Männer sind", die assistieren können. "Es gibt einige bei uns im Haus, die nicht mehr die Kraft in den Armen haben." Diesmal ist ihr Einkauf klein ausgefallen. Fünf Pfund Kartoffeln hat sie im Gepäcknetz ihres Rollators verstaut – den sie nun erst recht nicht ins "Nordlicht" stemmen kann. "Schon gar nicht an der Pappelstraße, weil die Fahrbahn an der Haltestelle auch noch eine Senke hat, da steht man dann noch tiefer."
Das beispielsweise könnte eine maßgebliche Rolle spielen, glaubt Andreas Holling. Der Sprecher der Bremer Straßenbahn AG betont zwar, dass das Verkehrsunternehmen nicht für die Straßen an den Haltestellen verantwortlich sei, "aber es gibt noch andere Faktoren, die von Haltestelle zu Haltestelle variieren können". An den neuen "Nordlichtern wird es am Ende nicht allein liegen: "Die Einstiegshöhe der neuen Bahnen beträgt 305 Millimeter, das ist ein halber Zentimeter mehr als beim Vorgängermodell."
Ein Problem könne in der Tat sein, dass die neuen Züge noch neu sind: Die Radreifen sind noch nicht abgefahren. Nach einigen Zigtausend Kilometern lägen die Abnutzungen unter Umständen "im Zentimeterbereich" – und die Straßenbahn entsprechend tiefer. Hinzu komme der Verschleiß der Schienen. "Die Gleise, die wir vor einigen Jahren am Hauptbahnhof erneuert haben, waren um bis zu 2,5 Zentimeter runtergefahren", erinnert sich Andreas Holling. Alles in allem und an günstiger Stelle addiert, könnte so der entscheidende Höhenunterschied zu alten Bahnen zusammenkommen. "Ich verstehe die schwierige Situation, leider gibt es keine Lösung."
Dabei ist die neueste Generation Bahnen extra so konzipiert, dass Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer, die den eigens für sie gedachten Lift nutzen, aber auch Kinderwagen und Rollatoren mehr Platz finden. Auch im stufenfreien Mittelgang. Vorausgesetzt, sie haben es in die Bahn hinein geschafft. Dass das nicht mehr gelingen soll, ärgert Renate Gerlach: "Ich will meine Unabhängigkeit behalten." Auch Erna Hudemann gibt nicht klein bei, sie will mobil bleiben. "Die meisten bei uns sind dröppelig, aber wir sind geistig interessiert." Die beiden Frauen glauben keineswegs, dass früher alles besser gewesen sei – außer der Straßenbahn vielleicht. Als Dauerkarteninhaberinnen wissen sie, was sie wollen: ungehinderten Zugang zu allen Bahnen, erst recht den schicken Neuen.