Im Oktober 2023 wurden vor dem Landgericht zwei Männer wegen Drogenhandels zu Freiheitsstrafen verurteilt. Jetzt hat der Bundesgerichtshof die Urteile aufgehoben und die Verfahren gegen beide eingestellt. Eine Folge der Reform des Betäubungsmittelgesetzes im April 2024. Und die sei vorhersehbar gewesen, sagt Strafverteidiger Armin von Döllen. "Mit etwas mehr Weitsicht hätte das Gericht nicht nur erhebliche Kosten einsparen, sondern auch kostbare Justizressourcen sinnvoller einsetzen können."
Die Anfänge dieses Falles liegen lange zurück. Im Sommer 2013 wurden zwei Frauen aus Bremen bei der Einreise nach Finnland mit 15,1 Kilogramm Marihuana festgenommen. Noch im selben Jahr wurden die beiden Drogenkurierinnen in Finnland zu Freiheitsstrafen zwischen drei und vier Jahren verurteilt, die sie lange verbüßt haben.
In Helsinki machten die beiden Frauen auch Angaben zu ihren angeblichen Auftraggebern in Bremen. Aufgrund dieser Aussagen erhob die Staatsanwaltschaft im November 2016 Anklage gegen zwei Männer wegen Handeltreibens mit Marihuana in nicht geringer Menge, seinerzeit noch ein Verbrechenstatbestand.
Verurteilung zehn Jahre nach Tat
Danach geschah sechs Jahre lang nichts. Erst im November 2022 eröffnete das Landgericht die Hauptverhandlung. Der Prozess begann am 5. Juni 2023 und endete im Oktober 2023 mit der Verurteilung beider Angeklagten: zwei Jahre und acht Monate Haft für den einen, zwei Jahre und fünf Monate für den anderen. "Aufgrund rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung" verfügte das Gericht allerdings, dass bei beiden zwölf Monate bereits als vollstreckt galten.
Für Armin von Döllen, Verteidiger von einem der Männer, ist allein schon der lange Zeitablauf zwischen Anklageerhebung und Urteil "skandalös". Und mit Blick auf die Beweislage nach zehn Jahren kann er auch die Verurteilung nicht nachvollziehen. Doch seine eigentliche Kritik setzt an anderer Stelle an – bei der Akribie und dem großen Aufwand, mit dem das Gericht nach so langer Zeit zu Werke gegangen sei. So gab es 14 Verhandlungstage, inklusive der Vernehmung finnischer Ermittler, die eigens dafür eingeflogen wurden.
Und dies alles vor dem Hintergrund der anstehenden Reform des Betäubungsmittelgesetzes. Mehrfach habe man im Prozess darauf hingewiesen, dass sich durch die Novellierung des Gesetzes die ursprünglichen Straftatbestände in Bezug auf Marihuana radikal verändern würden, betont von Döllen. Mit Auswirkungen auf die Strafandrohung (erheblich vermindert) sowie die damit verknüpfte Verjährungsfrist (deutlich kürzer). Man hätte sich daher das gesamte Verfahren sparen können, indem man die kurz bevorstehende Gesetzesänderung abwartet, um es dann einzustellen.
Das sieht man im Landgericht anders. Dass es zu lange bis zur Prozesseröffnung gedauert habe, ist richtig, erklärt Pressesprecher Jan Stegemann. Der Fall sei in die Zeit gefallen, als das Landgericht vollkommen überlastet war und es auch noch keine gesonderte Kammer für Altfälle gab. Zudem handelte es sich in diesem Verfahren um keine vorrangig zu bearbeitende Haftsache.
Doch die Kritik am Umfang und Aufwand des Prozesses weist Stegemann zurück: "Wenn verhandelt wird, dann richtig." Zudem sei keineswegs ein so langer Prozess geplant gewesen und ursprünglich sicher auch nicht, die Ermittler aus Helsinki einzufliegen. "Aber der Prozess wurde höchst streitig geführt." Von daher hätten Dauer und Aufwand auch etwas mit der Strategie der Verteidigung zu tun gehabt.
Auch den Verweis auf die Novellierung des Betäubungsmittelgesetzes lässt Stegemann nicht gelten. Der Prozess sei Anfang 2023 terminiert worden. Zu diesem Zeitpunkt sei noch vollkommen ungewiss gewesen, ob, wann und in welcher Form dieses Gesetz kommen würde. "Da kann ich dann als Richter nicht einfach die Hände in den Schoß legen und abwarten. Theoretisch hätte das neue Gesetz auch erst 2025 kommen können. Oder sogar gar nicht."
Selbst die Urteilsverkündung im Oktober 2023 habe noch deutlich vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes gelegen. "Es bestand also die berechtigte Aussicht, dass das Urteil rechtskräftig wird", betont Stegemann. Hätte der Bundesgerichtshof vor dem 1. April über die Revision entschieden, wäre das Urteil nicht einkassiert worden.
Neue Verjährungsfrist gilt
Zumal rechtlich umstritten gewesen sei, wie die Verjährungsfrist zu berechnen war. "Wird die mögliche Gesetzesänderung berücksichtigt oder gilt die Regelung, die zum Zeitpunkt des Urteils gültig war?" Eine reine Rechtsfrage, sagt Stegemann. Selbst der Generalbundesanwalt habe hierbei die Auffassung der Bremer Kammer vertreten. Zu sagen, man habe schon während des Prozesses gewusst, wie diese letztlich vom Bundesgerichtshof beantwortet würde, "halte ich für anmaßend".
In der Sache allerdings behielt von Döllen recht: "Die Verurteilungen können keinen Bestand haben", urteilte im Januar dieses Jahres der Bundesgerichtshof. Die Tat bezog sich ausschließlich auf Marihuana. Nach den seit dem 1. April geltenden Regeln hätte damit ein milderes Recht zur Anwendung kommen müssen als das vom Landgericht Bremen zugrunde gelegte – mit einem geringeren Strafrahmen, maximal fünf Jahre Haft statt vorher zehn, und damit auch einer kürzeren Verjährungsfrist, die deshalb zum Zeitpunkt des Urteils bereits abgelaufen war. "Das Urteil wird aufgehoben und das Verfahren eingestellt; die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens sowie die den Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen."