Die zweijährige Mila ist taub. Ihr Arzt stellt jedoch fest, dass ihr Hörvermögen mit einem sogenannten Cochlea-Implantat wiederhergestellt werden könnte. Ein Grund zur Freude? So einfach ist es nicht. Milas Eltern haben einige Einwände: Sie selbst, ebenfalls beide gehörlos, könnten doch auch ohne Gehörsinn ein normales, glückliches Leben führen. Warum also wird Milas fehlendes Gehör als vermeintlicher Makel behandelt, der unbedingt korrigiert werden muss? Milas Fall landet zunächst beim Jugendamt, dann sogar vor Gericht. Am Ende muss die Richterin ein Urteil sprechen: Hat das junge Mädchen nicht ein Recht auf Hören?
Das ist die Geschichte des ZDF-Films "Du sollst hören", der am Montagabend um 20.15 Uhr im Fernsehen läuft und bereits in der Mediathek abrufbar ist. Zum Schauspieler-Ensemble gehört neben bekannten TV-Gesichtern wie Claudia Michelsen und Kai Wiesinger auch der neunjährige Bremer Leif-Eric Werk, der Milas Bruder Mats spielt. Leif-Eric ist schwerhörig, beherrscht die Gebärdensprache fließend, seine Mutter Thekla Werk ist ebenfalls gehörlos. "Eigentlich wurde eine hörende Person für die Rolle gesucht", sagt Leif-Eric. "Ich dachte aber, dass ich auch gut für diese Rolle passen würde."
Also hat er seine Bewerbung eingereicht. Auf einem Video sollte er eine Szene aus dem Drehbuch nachspielen. Anschließend wurde er nach Köln zum Casting eingeladen. "Der Kreis der Mitbewerber wurde immer kleiner", erinnert sich seine Mutter. Am Ende sei sie doch überrascht gewesen, dass ihr Sohn die Rolle bekommen hat. "Aber wir wollen damit zeigen, dass auch Gehörlose diese Rollen spielen können." Leif-Eric habe durch eine schnelle Aufnahmefähigkeit und das Darstellen verschiedener Emotionen überzeugt, meint seine Mutter.
Ein sensibles Thema
Im Juni vergangenen Jahres waren die beiden für die Dreharbeiten in Köln, einen ganzen Monat lang. Am Anfang sei sie doch zwiegespalten gewesen, sagt Thekla Werk. "Aber dann wurden wir dort sehr herzlich empfangen, als würden wir schon zur Familie gehören." Es habe noch andere gehörlose Schauspieler gegeben, außerdem Supervisor und Gebärdendolmetscher, an die sie sich jederzeit hätten wenden können. "Am Anfang war ich sehr aufgeregt", gesteht Leif-Eric, "aber nach ein paar Tagen hatte ich mich an das Ganze gewöhnt."
Den kompletten Film haben sie erst vor wenigen Tagen gesehen. Zunächst sei ihr Sohn doch etwas enttäuscht gewesen, erzählt Werk. Es wurden schließlich mehr Szenen gedreht, als im Film letztlich vorkommen. Nun zeigt sich der 9-Jährige aber mit dem Ergebnis zufrieden: "Der Film ist sehr schön geworden", sagt er.
Seine Mutter hat allerdings doch eine kritische Anmerkung: "Ich hätte mir gewünscht, dass noch mehr vom Leben der gehörlosen Familie gezeigt wird", sagt Werk, die auch Präsidentin des Bundesverbands gehörloser Eltern ist. Im Vordergrund des Films steht nämlich eigentlich die Richterin (gespielt von Claudia Michelsen), die aufgrund des Themas und eigener persönlicher Verwicklungen innerlich zerrissen zu sein scheint. Über sie findet der Zuschauer Zugang zu dieser ethisch-juristischen Frage, mit der sich hörende Menschen wohl noch nicht auseinandergesetzt haben. Dabei sei das Cochlea-Implantat unter Gehörlosen ein sehr sensibles Thema, sagt Werk.
Wie das Urteil der Richterin am Ende des Films lautet, soll hier noch nicht verraten werden. Leif-Eric und seine Mutter haben dazu jedoch eine klare Haltung: Die Familie soll selbst über das Implantat entscheiden, der Staat dürfe da nicht eingreifen.
Kommunikation ist noch immer Barriere
Generell müsse sich aber die Perspektive der Gesellschaft ändern, meint Werk. "Oft geht es darum, was wir nicht können. Dabei habe ich eine genauso gute Lebensqualität wie andere Menschen auch." Die einzige Barriere sei noch immer die Kommunikation. Dies zeigt auch eine Szene aus dem Film: Als es zu einem Autounfall kommt und Aussage gegen Aussage steht, glaubt die Polizei dem gehörlosen Familienvater nicht, obwohl er es ist, der die Wahrheit sagt. "So etwas passiert leider sehr oft", ordnet Werk die Szene ein. "Das ist Lebensrealität." Damit gehörlose Menschen nicht ausgegrenzt werden, sollten insbesondere Behörden verpflichtend Gebärdensprache gelehrt bekommen, schlägt sie vor. Auch Schulen sollten diese als Fach anbieten.
In der Mitte des Films gibt es eine schöne Szene zwischen der Richterin und Mats. Ob er sich auch manchmal wünschen würde, sprechen und hören zu können, fragt sie ihn über eine Gebärdendolmetscherin. "Kann ich doch", antwortet der Junge. "Nein", sagt die Richterin, "ich meine so wie wir. Ohne dass jemand übersetzen muss." Mats antwortet: "Na, dann lern doch meine Sprache." Daraufhin schweigt die Richterin.