Wenn Monika Buchholz von ihren „Kunden“ spricht, klingt es viel geschäftsmäßiger, als sie es meint. „Ich habe die soziale Schiene total drauf“, sagt die 61-Jährige, obwohl das keine Einstellungsvoraussetzung war für sie als Postzustellerin. Seit ungefähr 15 Jahren ist sie fast täglich mit ihrer Karre im Steintor unterwegs. Nicht mehr lange, Ende Juli ist Schluss, Monika Buchholz wird Ruheständlerin. Auch wenn sich das niemand recht vorstellen kann, nicht mal sie selbst.
"Aber ich höre freiwillig auf, weil man ab einem gewissen Alter Probleme hat, genau soviel zu leisten wie ein junger Mensch. Die Post sollte die Anforderungen ein bisschen reduzieren, wenn man 60 wird", findet sie. "Altersteilzeit kann sich ja nicht jeder leisten.” Und als kürzlich ihr Vater starb, wurde Monika Buchholz bewusst: "Man hat gar nicht so viel Zeit." So nachdenklich ist die Zustellerin aber nicht immer. Wenn sie unterwegs ist, spielt die Kundschaft die Hauptrolle.
Das war schon so, als sie mit 14 begann, den Beruf der Einzelhandelskauffrau zu erlernen. „Glas und Porzellan, bei Henseler in der Sögestraße. Da wurde man drauf gedrillt, dass der Kunde König ist. Die erste Woche habe ich nur Weihnachtsengel ausgepackt”, erinnert sie sich. “Ich hab's gehasst. Aber ich bin auch ein kreativer Mensch, und den Blick fürs Schöne, den habe ich dort bekommen.„ Erst wollte sie Spielzeugmacherin werden, daraus wurde nichts. “Ich habe dann Puppen und Bären gemacht, aber eigentlich waren es immer die Bremer Stadtmusikanten, um die es mir ging.”
Liebe zu den Stadtmusikanten
Irgendwann hat sie angefangen, Stadtmusikanten-Muster für Stoffe zu gestalten. „Und inzwischen habe ich wahrscheinlich die größte Sammlung an Stadtmusikantenstoffen aus aller Welt.“ Monika Buchholz sorgt dafür, dass ihre eigenen Dessins sich weltweit verbreiten. „Produkte aus meinen Stoffen gibt es in der Böttcherstraße, im Haus der sieben Faulen“, sagt sie und zählt Grillhandschuhe, Kinderkleidung, Schürzen und Eierwärmer auf. Zum Beispiel. Und: „Ich besticke alles, von Kappen bis zu Turnschuhen.“ Eines von vielen weiteren Hobbys ist das Quilten. An diesem Montag, 22. Juli, wird um 11 Uhr eine Ausstellung ihrer Patchworkdecken in der Heimstiftung im Alten Fundamt, Auf der Kuhlen 1, eröffnet. „Farbenrausch“ heißt ihr knallbunter Favorit.
Das Alte Fundamt liegt direkt auf ihrem Weg. Im Durchschnitt, das verrät die Pedometerfunktion ihrer neuen Smartwatch, ist er 15 000 Schritte lang, jeden Tag. Schmidt- und Hollerstraße, Im Krummen Arm, Tauben-, Brunnen- und Grundstraße, Auf der Kuhlen, Seiler-, Eschen-, Berliner, Mecklenburger und Bremer Straße und nicht zuletzt die Prangen- und die Brokstraße zählen zu ihrem Bezirk. So heißt das wohl im Postjargon. Monika Buchholz spricht von Revier. Das passt auch viel besser – nicht, dass sie jagte, doch sie hat die Menschen immer wach im Blick. Besonders die Alten.
"Ich mache nebenbei Seniorenbetreuung", erzählt Monika Buchholz bei einer Kakao-Pause auf ihrer Zustelltour. "Das ist über persönliche Kontakte entstanden. Wenn jemand krank ist, bringe ich Brötchen mit oder fahre ihn zum Arzt." Kürzlich erst war nach einem Jahr das bundesweite Pilotprojekt "Herbsthelfer" in Bremen gescheitert, in dem Zusteller regelmäßig Kontakt zu älteren Menschen aufnehmen und sich um sie kümmern sollten. Auf dem Land hätten die Leute von der Post eine engere Bindung zu den Kunden", lautete das resignierte Fazit. Bei Monika Buchholz ist das anders. "Ungefähr 15" alte Leute, schätzt sie, haben ihre Handynummer. Und das Extra-Telefon hat sie immer dabei. "Aber mit Klingeln und Gucken ist es nicht getan, viele Zusteller haben einfach keine Zeit." Monika Buchholz nimmt sich die Zeit. Sie konnte ihren Zustellbezirk ein bisschen verkleinern, das macht es ihr einfacher, mal einen Stopp einzulegen.
„Ich bin so'n aufgeschlossener Mensch, ich frage auch schon mal jemanden: Geht's Ihnen nicht gut?“ Der Begehungsplan für die Touren der Zusteller sei enggestrickt. „Ich lasse dann schon mal meine Pause sein, wenn jemand Kummer hat. Die Leute kommen auf mich zu, man kennt sich, es sind viele Freundschaften entstanden, das ist eine schöne Sache. Ich könnte da ein Buch drüber schreiben.“ Aber schon darüber zu sprechen, wäre Monika Buchholz viel zu indiskret. Wie zur Bekräftigung stupst sie den genoppten grünen Gummidäumling, den sie vor sich auf den Cafétisch gelegt hat. „Blattwender heißen die, man braucht sie dauernd, sie machen das Blättern ein bisschen einfacher, aber das Material ist dünner geworden, und dauernd sind sie weg.“
Die Seniorenbetreuung will Monika Buchholz auf keinen Fall aufgeben: Nur Volkshochschulkurse zu geben, zu quilten und zu Hause in Colnrade am Dümmer mit dem Rennrad durch die Landschaft zu fahren und im Grünen zu joggen, das würde ihr nicht reichen. „Mit meinem Auto mit Gasantrieb und dem neuen Elektrofahrrad zum Zusammenklappen komme ich nach Bremen und schnell durch die Stadt“, sagt sie. Und sie will nicht nur wegen der Stadtmusikanten wiederkommen. „Ich hoffe ja, ich kann mal Urlaubsvertretung als Zustellerin machen.“