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Neue Gestaltungssatzung Nur noch rot-brauner Klinker

Für das Stephani-Viertel gilt seit Anfang Juni eine neue Gestaltungssatzung. Danach müssen sich Neubauten oder Sanierungen am vorherrschenden Baustil der 1950er-Jahre orientieren.
02.09.2018, 18:34 Uhr
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Von Christiane Mester

Altstadt. Die bauliche Gestaltung des Stephani-Viertels zählt zum stadtkulturellen Erbe Bremens, und soll erhalten bleiben. Dieser Anspruch ist mit Inkrafttreten des 10. Ortsgesetzes, Anfang Juni, rechtskräftig geworden. Wer ein Gebäude im Viertel sanieren, umbauen oder errichten will, muss dies nun im 50er-Jahre-Stil tun. Es gelten detaillierte Gestaltungsvorgaben. Was einige Anwohner begrüßen, könnte für die Bremer Seemannsmission, die derzeit mit einem Investor über den Verkauf ihres Gebäudes verhandelt, zum Problem werden.

Das historische Stephani-Viertel war einst geprägt von engen Gassen und hohen Packhäusern. Während des Zweiten Weltkriegs wurde es fast vollständig zerstört, danach wurde nur ein Gebäude wieder aufgebaut: Die Kirche St. Stephani. Die alte Struktur des Viertels an der Weser – vergleichbar mit dem Schnoor – wurde nicht wieder hergestellt. Wo früher Wohnen und Gewerbe möglich waren, sollte nur noch gewohnt werden.

Grundlegend für diese Nutzungsänderung war das stadtplanerische Leitbild der „funktionalen Stadt“. Demnach sollen Wohnen, Arbeiten und Gewerbe in getrennten Bereichen stattfinden und die einzelnen „Inseln“ einer solchen Stadtlandschaft mit großen Straßen für den Autoverkehr verbunden werden. Diese Idee, die deutschlandweit in vielen kriegszerstörten Städten umgesetzt wurde, ist nicht erst im Zuge des Wiederaufbaus entstanden, sondern noch während der Nazizeit. So war im Falle des Bremer Stephani-Viertels ein Teil der alten Häuser bereits in den 1930er-Jahren der Stadtsanierung und dem Straßenbau zum Opfer gefallen und nicht den Fliegerbomben.

Ein Vorbild in Hannover

In den 1950er-Jahren wurde das Stephani-Viertel von Grund auf neu geplant. Vorbild für die Gestaltung war die Wohnsiedlung „Rund um die Kreuzkirche“, die 1951 in Hannover entstanden war. Dort hatte man das Musterbeispiel einer geschlossenen Nachbarschaftssiedlung realisiert. Denn das Leitbild der organisch strukturierten Stadt ist nicht auf die Flächennutzung beschränkt, sondern drückt sich auch in der baulich einheitlichen Gestaltung dieser einzelnen Funktionsbereiche aus. Die Gebäude, die rund um die Stephani-Kirche nach den Plänen der Architekten Bernhard Wessel, Carsten Schröck – und im Falle des Semannsheims, Richter und Kläner – verwirklicht wurden, sind die am Reißbrett kreierte Vision eines Wohnquartiers aus einem Guss.

Dieses Aussehen ist bis heute erhalten geblieben und tritt deutlich hervor. Ganz gleich, ob Reihen- oder Mehrfamilienhaus – die Fassaden bestehen aus rot-braunen Klinkersteinen, die Fenster sind weiß und die Dächer dunkelgrau. Das einheitliche Erscheinungsbild haben die Abgeordneten der Stadtbürgerschaft zum stadtkulturellen Erbe erklärt, als sie Ende Mai dieses Jahres das 10. Ortsgesetz verabschiedeten. Die damit verbundene Gestaltungssatzung bezieht sich auf das Gebiet zwischen Stephanibrücke, Eduard-Schopf-Allee, Doventorstraße, Diepenau, Weserpromenade und Vor Stephanitor.

Was der Anlass für die politische Entscheidung war, ist in der Begründung des Ortsgesetzes nachzulesen: Das Aussehen eines Gebäudes sei im Zuge einer energetischen Sanierung grundlegend verändert worden und das sei nach geltendem Recht nicht zu verhindern gewesen, heißt es dort. Seit Anfang Juni gelten nun besondere Anforderungen an die Gestaltung von Fassaden, Dächern, Dachaufbauten, der Einfriedung und für etwaige Werbeanlagen. Die neue Gebäudereihe, die jüngst entlang der Weser fertiggestellt wurde, dürfte im Geltungsbereich der Satzung so nicht mehr gebaut werden. Das Klinkermauerwerk der Häuser ist farblich zu hell geraten und die Fensterrahmen zu dunkel. Verwendet werden darf nur noch ein rot-brauner Klinker mit glatter Oberfläche, im Dünnformat. Die Fugen der Fassade sind in Hellgrau auszubilden, Fenster und Balkonbrüstungen müssen weiß sein und das matt-dunkelgraue Dach soll nahezu bündig mit der Fassade abschließen. Antennenanlagen müssen dem Farbton der Eindeckung entsprechen und Solaranlagen dürfen nicht aufgesetzt angebracht werden, sondern nur ebengleich eingelassen werden. Vor den Gebäuden ist als Einfriedung zum öffentlichen Raum ausschließlich eine Hecke in heimischen Arten zulässig. Darüber hinaus ist eine Außendämmung der Fassade lediglich im Einzelfall erlaubt und zieht weitere Bestimmungen nach sich.

Anwohner Rüdiger Wedell ist Eigentümer eines Reihenhauses im Stephani-Viertel, das er Ende der Neunziger erworben hat. Der Familienvater zeigt sich erfreut über den Erlass der Gestaltungssatzung: „Mir gefällt die einheitliche Ästhetik. Ich finde es wichtig, sie genau so zu erhalten, wie sie ist.“ Das Stephani-Quartier liegt in direkter Nähe zur Innenstadt und Grundstücke in solch zentraler Lage steigen bekanntlich im Wert. Wer sein Haus im Stephani-Viertel verkaufen möchte, muss nun allerdings einen Käufer finden, der eine Vorliebe für den baulichen Stil der 50er-Jahre hat.

Dass die detaillierten Gestaltungsvorgaben der Satzung einen Verkauf möglicherweise erschweren könnten, darüber macht Rüdiger Wedell sich jedoch keine Sorgen. Im Gegenteil: „Ein Haus, das in einer Umgebung mit einheitlichem Look steht, dürfte sogar besser verkäuflich sein“, vermutet er. In der Nachbarschaft gingen die Meinungen in dieser Frage allerdings auseinander, berichtet Wedell. Einige befürchteten sehr wohl einen Wertverlust ihrer Immobilie und seien dagegen gewesen, dass die Politik ihr Eigentum zum „50er-Jahre-Museum“ erklärt habe. Manch einer sehe sich dadurch in seiner persönlichen Freiheit beschränkt. Dieser Ansicht ist Wedell nicht. „Auf der Gartenseite können wir nach wie vor machen, was wir wollen“, sagt er. Im Übrigen habe er nicht vor, sein Eigenheim zu verkaufen.

In dieser Situation befindet sich aktuell die Bremer Seemannsmission. Der Verein verhandelt mit einem Investor über den Verkauf des Seemannheims, bestätigt Vereinsvorstand Arendt Hindriksen dem STADTTEIL-KURIER. Der Interessent wolle das Gebäude abreißen und auf dem Grundstück Wohnungen errichten. „Wir haben niemanden gefunden, der bereit gewesen wäre, es zu erhalten“, sagt Arendt Hindriksen. Vor diesem Hintergrund sei es erfreulich, dass sich die Gestaltung des Neubaus an den neuen Weser-Häusern orientieren soll. Dass dies nicht mehr möglich ist, ist ihm völlig neu.

Hindriksen zeigt sich bestürzt: „Von einer Gestaltungssatzung wussten wir gar nichts.“ Auch habe der Vorstand keine Kenntnis davon gehabt, dass im vergangenen Jahr ein öffentliches Beteiligungsverfahren durchgeführt wurde und eine Anwohnerversammlung stattgefunden hat. Die geänderte Rechtslage habe bei den Gesprächen mit dem jetzigen Interessenten keine Rolle gespielt. Man habe sich lediglich gewundert, warum der Bauvorbescheid des Bauamts noch immer auf sich warten lasse.

Sollte der Verkauf scheitern, wäre der Schaden für den Verein groß, sagt Hindriksen. „Das wäre der Worst Case, denn wir sind ziemlich in der Bredouille.“ Der Winter steht vor der Tür und die Heizkosten drohten dem Verein über den Kopf zu wachsen. Das Dach sei schadhaft, die Wände dünn und die Heizungsanlage ein Relikt der 50er-Jahre. Die soziale Arbeit der Seemannsmission sollte schon bald woanders stattfinden. Das neue Gebäude sei bereits gefunden, so Hindriksen. Finanziert werden soll es mit dem Erlös aus dem Verkauf des Seemannheims im Stephani-Viertel.

Weitere Informationen

Der Text der Gestaltungssatzung für das Gebiet im Stephani-Viertel, ist online unter www.bauleitplan.bremen.de abrufbar.

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