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Lange Wartezeiten und gestiegene Preise Der Bootsboom

An Wochenenden, sagt Gerhard Buzzi, sei auf der Weser die Hölle los, "dann schäumt die See". Buzzi vermietet Motorboote, seit Corona hat er mehr zu tun als je zuvor. Die Menschen zieht es auf die Weser.
25.07.2021, 08:00 Uhr
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Der Bootsboom
Von Marc Hagedorn

Selbst an diesem ganz normalen Dienstag hat Gerhard Buzzi gut zu tun. Dabei haben die Sommerferien noch nicht begonnen, und die Sonne lässt sich auch nicht blicken, sie hat sich hinter Wolken verkrochen. Trotzdem hat Buzzi an diesem Tag wieder ein paar seiner Boote vermietet. Ob die Leute seit Corona mehr Lust hätten, aufs Wasser rauszufahren? Buzzi muss lachen: „Und ob! Kommen Sie mal am Wochenende vorbei, dann schäumt die See. Dann ist auf der Weser die Hölle los.“

Buzzi betreibt das Unternehmen Bootcharter im Wassersportzentrum Oberweser in Hemelingen an Weserkilometer 359,1. Sieben Boote gehören ihm hier, vier mit 15-PS-Außenbordmotoren und drei schnellere Boote, das schnellste mit 204 PS. Sieben Liegeplätze belegt er im Jachthafen. Wer hier in den vergangenen Monaten überhaupt nur einen Liegeplatz bekommen hat, kann sich glücklich schätzen. „Alles belegt“, sagt Hafenchef Karsten Beyer.

Viele Eigner, die sonst ihre Boote vor Spanien oder Kroatien liegen hatten, haben sie in den vergangenen Monaten in den heimischen Hafen nach Bremen zurückgeholt. Sicher ist sicher. Zu ungewiss, wie sich Corona und mit Corona die Reisebeschränkungen verändern, immer wieder neue Verordnungen, immer wieder neue Regeln, die das Reisen erschweren. „Dann lieber auf der Weser fahren“, sagt Beyer.

Im Wassersportzentrum Oberweser finden Urlauber und Skipper, was sie brauchen. Bootstankstelle, Hafenshop, Slippbahn, Wohnwagenstellplätze. Was fehlt, sind freie Liegeplätze. Die Warteliste sei lang, sagt Buzzi. Und es sei überall dasselbe, „alles dicht“. Wenig Bewegung ist auch auf dem Bootsmarkt. „Jeder will gerade ein Boot kaufen.“
Normalerweise stehen auf der Homepage von Jachtmakler Bremen 70 bis 80 Boote zum Verkauf. Aktuell sind es, Inhaber Thomas Thiel zählt schnell einmal durch, „sieben, acht, neun. Neun Boote.“ Thiel ist Händler im Raum Bremen und der Nordsee für ­Jeanneau, einem der größten Bootshersteller weltweit. „Die Nachfrage liegt deutlich über dem, was die Hersteller produzieren können“, sagt Thiel. Und das schon seit vielen Monaten.

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Seine Frau habe ihn vergangenes Jahr gefragt, warum er erstmals zwischen Weihnachten und Neujahr arbeiten müsse. Weil die Leute sich Boote anschauen wollen, habe er gesagt. Neuboote für dieses Jahr seien nicht mehr zu bekommen, und auch für 2022 seien schon fast alle Boote vorbestellt. „Am besten sollte man sich schon jetzt für ein Boot entscheiden“, sagt Thiel, „dann hat man eine Chance, es 2023 zu bekommen.“

Der Bundesverband der Wassersportwirtschaft (BVWW) hat bei der Jahreshauptumfrage unter seinen Mitgliedern festgestellt, dass ein „super Jahr“ hinter der Wassersportbranche liegt. Es ist sogar die Rede von „goldenen Zeiten“. Fast 86 Prozent aller Unternehmen gehen davon aus, dass sich die positive Entwicklung fortsetzt. „Das ist ein Spitzenwert, den es, soweit wir das aktuell rückverfolgen können, noch nie gegeben zu haben scheint“, sagt BVWW-Sprecher Ben Hoffmann. Nachgefragt sind vor allem Motorboote mit einer Länge zwischen fünf und zwölf Metern.

Bei Thiel in Hemelingen gibt es vom Kleinboot für Jedermann alles bis zum 12,50 Meter langen Schiff. Das neue Kleinboot mit Trailer und Motor kostet 40.000 Euro, bis zu 300.000 Euro die großen Modelle, bei gebrauchten Booten reicht die Spanne von 1000 bis 500.000 Euro. „Die Leute suchen sich ihren Rückzugsort“, sagt Thiel, „sie wollen selbstbestimmt ihren Urlaub machen. Ich höre von immer mehr Kunden, dass sie sagen: Wir verbringen unseren Familienurlaub auf dem Boot.“

Wie umkämpft der Markt für Gebrauchtboote ist, weiß auch Bootsverleiher Buzzi. Für 13.000 Euro habe er sich vor zehn Jahren ein kleines Rennboot gekauft, „heute würde ich dafür 14.000 Euro bekommen.“ Eine Wertsteigerung trotz intensivster Nutzung.

Auch Makler Thiel stellt fest, dass die Preise steigen. Und er warnt davor, dass die Käufer zu leichtgläubig beim vermeintlichen „Schnäppchen ihres Lebens“ zuschlagen. „Bei Ebay heißt es Boot gegen Geld, Sicherheiten gibt es da oftmals keine“, sagt Thiel. Er rät deshalb, jemanden zum Kauf mitzunehmen, der sich auskennt. „Es kann nicht schaden, dass sich ein Schlosser vorher mal den Motor anschaut“, sagt Thiel.
Und wer keines zum Kaufen findet, kann immer noch Leihen. Bootcharter-Mann Buzzi sagt: „Ein paar Stunden raus mit dem Boot auf die Weser Richtung Achim, das ist wie ein ganzer Urlaubstag. Ein Strand reiht sich an den anderen, du kannst von Bord gehen und schwimmen, du kannst anlegen und picknicken.“ Für heute schließt er sein Geschäft. Aber der nächste Kundenansturm wird kommen, da ist er sich sicher. Ein neues Boot für die nächste Saison hat er vor wenigen Tagen schon bestellt.

Zur Sache

Masterplan Freizeitschifffahrt

Von Bremen bis nach Peking sind es rund 7600 Kilometer Luftlinie. Fast genauso so lang ist das Netz der deutschen Binnenwasserstraßen. Viel Wasser, das die Menschen in ihrer Freizeit ganz unterschiedlich nutzen; um in Hausbooten auf Flüssen Urlaub zu machen, um mit dem Kanu die Natur zu erkunden oder um mit den Boot zu segeln.

4,2 Milliarden Euro Umsatz macht der Wassertourismus jährlich nach einer Studie des Bundeswirtschaftsministeriums. Zwei Millionen Deutsche sind in Wassersportvereinen organisiert, sogar sechs Millionen betreiben Wassersport wie Kanu- und Motorbootfahren, Surfen oder Segeln. Von 425.000 Privat- und Charterbooten in Deutschland geht das Wirtschaftsministerium aus. Ein Fünftel der Deutschen hat schon zu Vor-Corona-Zeiten den inländischen Urlaub am Wasser verbracht. Tendenz wegen Corona steigend. Und der Wirtschaftsfaktor Wassertourismus soll noch größere Bedeutung gewinnen.

So sieht es das Bundesverkehrsministerium in seinem gerade veröffentlichten Masterplan Freizeitschifffahrt vor. Das Ministerium von Andreas Scheuer (CSU) teilt mit: „Mit dem Masterplan Freizeitschifffahrt wird ein Paradigmenwechsel eingeleitet, der die Freizeitschifffahrt stärker in den Fokus der Bundeswasserstraßenverwaltung rückt.“ Heißt im Klartext: Freizeit- und Güterschifffahrt sollen künftig gleichgesetzt werden.

Konkret geht es im Masterplan darum, die Infrastruktur zu erneuern, beispielsweise neue Liegeplätze zu schaffen, Vorhäfen auszubauen oder das Schleusenmanagement zu digitalisieren. Überhaupt die Schleusen: Sie sind im Schnitt 105 Jahre alt, rund 30 Prozent gelten als sanierungsbedürftig. Wie viel Geld der Bund dafür in die Hand nehmen wird, ist noch unklar. Im Masterplan ist dazu nur allgemein von einem „hohen Erhaltungs- und Ersatzbedarf“ die Rede.

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